Kapitel 49

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POV - Lauren Fallmont

Hier mit Alicia zu liegen, einfach nur in ihren Armen, war etwas was ich grundsätzlich nicht für möglich gehalten hatte. Doch sie war da. Sie war völlig bei mir.
Ehrlicherweise würde alles was sie mir erzählt hatte wohl nie aufhören in mir zu arbeiten. Das alles musste so unglaublich traumatisierend für sie gewesen sein. Allein wenn ich an ihre Worte dachte, zog eine kalte Gänsehaut über meinen Rücken.
Alicia hatte getötet. Sie hatte Menschen getötet und zugesehen wie Menschen getötet wurden, die ihr nahe standen. Alicia hatte über ein Jahr im Krieg verbracht und trotzdem stand sie noch hier und war kein völliges Frack. Alicia lebte und vielleicht würde sie irgendwann heilen. Vielleicht konnte sie mit mir heilen. Ich wünschte mir nichts sehnlicher als ihr das zu ermöglichen. Der Schmerz in ihren Augen, die Erinnerungen die sie immer noch quälten würde ich ihr niemals nehmen können, aber vielleicht konnte ich ihr helfen neue Erinnerungen zu schaffen. Glückliche Erinnerungen mit mir. Immer noch sahen mich diese blauen Augen an und zum ersten Mal sah ich Ihnen nicht nur das Meer, Saphire und Eis, sondern auch etwas neues. Zum ersten Mal sah ich in diesen Augen das blau eines wolkenlosen Himmels, der von der Sonne erleuchtet war. Diese Augen strahlten zum ersten Mal nicht nur Dominanz, Kälte, Kraft oder Besitz aus sondern schlichtweg Zufriedenheit. Ich wollte diesen Anblick nie wieder vergessen. Ich lehnte mich nach vorne und verband unsere Lippen in einer sanften Bewegung miteinander. Alicias weiche Lippen schmiegten sich an meine und fanden sofort den richtigen Rhythmus miteinander. Dieser Kuss war nicht verlangend, nicht gierig, sondern auf eine ruhige Art leidenschaftlich. Dieser Kuss fühlte sich nach zuhause an. Alicias Lippen trafen mit leichtem Druck immer wieder auf meine während sie mich in ihren Armen hielt. Es schien als wollte sie mir mit diesem Kuss beweisen, dass sie mehr an mir begehrte als nur meinen Körper und ich wusste spätestens ab diesem Moment, dass ich sie liebte. Ich liebte diese Frau abgöttisch. Mehr als mich selbst, mehr als jeden Zentimeter auf diesem Planeten. Mein Bauch schien sich in einen Schmetterlingsschwarm zu verwandeln, mein ganzer Körper prickelte und leichte Blitze durchzogen meine Haut dort, wo Alicias Hände diese berührten. Ich drückte mich näher an Alicia und ließ mich bedingungslos in den Kuss fallen.
Wir lösten uns erst voneinander als ein Klingeln von Alicias Handy uns aus unserer Einheit riss.
Sanft zog sich Alicia von mir zurück und griff nach ihrem Telefon, aber nicht ohne mich noch mit einem Blick der absoluten Hingabe zu betrachten, der mein Herz sofort schneller schlagen ließ. Hatte sie mich jemals zuvor schon einmal so angesehen?
>>Die Pizza ist in 10 Minuten da... kannst du sie entgegen nehmen? Ich muss dringend duschen<<, verkündete sie leise und wandte sich mir wieder zu, während sie das Handy zurück auf den Tisch legte.
Ich sog alles mögliche an Luft durch meine Nase ein um meinen Kreislauf nach diesem Kuss irgendwie zu stabilisieren. Das hatte mich mehr außer Atem gebracht als manche Bettaktivität. Noch immer schlug mein Herz kräftig in meiner Brust.
>>Klar doch...<<, murmelte ich, während ich sie immer noch unverwandt ansah. Diese Frau war so unendlich schön.
Ein Lächeln stahl sich auf ihre vollen Lippen und sorgte dafür, dass ich sie sofort wieder küssen wollte. Sie war so verboten attraktiv. Ich hatte sie noch nie so oft Lächeln sehen, wie in den letzten Stunden und das war etwas, was mein Ego für immer füttern würde.
>>Danke honey<<, flüsterte sie mir ins Ohr, was sofort für ein leichtes Zittern meines Körpers sorgte. Doch bevor ich weiter darauf eingehen konnte, richtete sich Alicia mit mir auf und hob mich hoch, während sie aufstand. Jetzt war auch endlich klar, warum sie so ungemein viel Kraft hatte. Sie setzte mich vorsichtig auf meinen Füßen ab und entfernte sich dann einen kleinen Schritt von mir. Selbst ohne Schuhe war sie mindestens zehn Zentimeter größer als ich.
>>Ich lege dir Geld vorne auf die Kommode im Eingangsbereich, wenn sie zu spät liefern, dann spar dir das Trinkgeld ruhig<<, sagte Alicia mit einem Zwinkern und wandte sich um Richtung Flur.
Ich quittierte ihre Aussage nur mit einem Lachen. Geiz war eigentlich keine Eigenschaft die ich Alicia zuschreiben würde, aber wenn jemand ihrer Auffassung nach seiner Arbeit nicht ordentlich nachkam schien ihr dies wohl die angemessene Bestrafung.
Inzwischen hörte ich Alicia weiter durch das Haus laufen Richtung Bad und kurz darauf das Geräusch einer Tür die geschlossen wird.
Ich ließ mich wieder auf die Couch fallen und atmete tief durch, während ich in die immer schwächer werdende Glut starrte. Was für ein Wochenende. Ich wünschte, ich könnte Stacy davon erzählen, aber das war natürlich völlig unmöglich. Ich vertraute ihr, keine Frage, aber ich durfte gleichsam auch keinesfalls ein Risiko eingehen. Und auch nur einer Menschenseele hiervon zu erzählen wäre ein immenses Risiko. Stacy. Das war ein Gedanke, den ich die letzten 36 Stunden völlig verdrängt hatte, aber irgendwas schien da mit Misses Wood nicht im Reinen zu sein. Alicia hatte mir nur gesagt, ich solle dafür sorgen, dass sich Stacy von Misses Wood fern hielt, aber nicht warum. Sollte ich sie danach fragen? Besser nicht, sie hatte das letzte Mal schon sehr aufgewühlt gewirkt deswegen und Alicia war so intelligent, dass ich ihre Entscheidungen und Anweisungen eigentlich nicht in Frage zu stellen brauchte. Darum würde ich mich am Montag kümmern. Ich betrachtete meine blauverfärbten Handgelenke um welche sich kreisförmige Striemen zogen. Alicia hatte es fast etwas zu gut gemeint mit den Handschellen. Ich schob die Ärmel des Pullovers wieder darüber. Hoffentlich würde das bis Montag wenigstens etwas besser aussehen, sonst müsste ich wohl zu einem Pullover mit besonders langen Ärmeln greifen um das irgendwie zu verstecken.
In diesem Moment ertönte die Türklingel und ich zuckte vor Schreck zusammen. Die Pizza! Das hatte ich schon wieder ganz vergessen. Ich sprang vom Sofa auf und lief immer noch barfuß zur Haustür. Auf der Kommode lag ein Fünfziger den ich mir schnell schnappte bevor ich die Tür aufriss.
Als ich jedoch sah, wer mir da gegenüberstand gefror mir das Blut in den Andern.
>>Ich hab hier zwei Pizzen für... - Fallmont? Was machst du denn hier?<<, trafen mich völlig unvorbereitet die Worte von Megan Leather, die in einer roten Uniform und mit einem Basecap auf dem ein Pizza-Logo prangte vor mir stand und mich mindestens so verwundert anstarrte wie ich sie. Das konnte doch jetzt nicht wahr sein.
Seit wann und warum überhaupt lieferte die reiche Megan Leather Pizza aus? Jetzt bloß ruhig bleiben. Einfach nur die Pizza annehmen, ihr einen schönen Abend wünschen und die Tür schließen. Eine Sache von zwei Minuten, wenn überhaupt. Doch Megan schien diesbezüglich andere Pläne zu haben.
>>Hier steht die Pizzen sind für eine A. Morgan und du bist definitiv nicht A. Morgan. Außerdem bist du doch arm Fallmont, was machst du in so einem Haus?<<, kam es nun von Megan und sie sah mich forschend an während ihr Blick immer wieder zu ihrer Auslieferungsanweisung huschte und dann zu meinem überforderten Gesicht.
Offenbar war Megan dumm genug um nicht sofort Eins und Eins zusammenzuzählen, aber gleichzeitig schlau genug um immerhin einen Fehler im System zu bemerken. Gleichzeitig hätte ich ihr für diese Aussage am liebsten ins Gesicht geschlagen. Wie sehr ich sie doch hasste.
Ich schluckte schwer, ich brauchte eine richtige gute Ausrede.
>>Ich, äh, ich bin hier um auf die Katzen aufzupassen und die Besitzerin hat mir erlaubt, dass ich mir Pizza bestellen darf.<<, kam es stockend von mir und kalter Schweiß sammelte sich langsam aber sicher auf meiner Stirn. Ich versuchte bemüht ruhig Luft zu holen. Mein Herz schlug mir bis zur Kehle und ich hatte das Gefühl langsam aber sicher daran zu ersticken.
Megan hob abschätzig die Augenbrauen und musterte mich eingehend.
>>Warum fährst du überhaupt Pizza aus, ich dachte deine Eltern sind so reich?<<, platzte es nun aus mir heraus. Ich musste sie so lange wie möglich ablenken von dem Fakt, dass ich definitiv nicht hier war um auf imaginäre Katzen aufzupassen. Angriff war ja bekanntlich die beste Verteidigung. Megan rümpfte die Nase.
>>Mein Vater hat das Restaurant gekauft und ich darf es verwalten sobald ich mit meinem Abitur fertig bin, aber davor wollte er, dass ich weiß was meine Angestellten so machen und deshalb muss ich heute diese niedere Arbeit verrichten. Im Gegensatz zu dir Fallmont, muss ich meine Zukunft nicht in fremden Häusern verbringen.<<, erklärte sie sich und ich musste mich stark zusammenreißen um ihr nicht die Baseballkappe vom Kopf zu reißen und ihr damit quer durchs Gesicht zu schlagen. Wie konnte ein Mensch nur so herablassend sein und trotzdem im Leben gewinnen? Dieses System war so unfair und ich konnte nichts dagegen tun. Zu allem übel hatte Megans Vater genau heute beschlossen ihr diese Lektion zu erteilen. In 24 Stunden hätte die Welt schon wieder ganz anders ausgesehen. Ich hörte wie hinter mir im Haus eine Tür geöffnet wurde und mir war schlagartig klar, dass Alicia dabei war das Bad zu verlassen. Ich wurde zusehends panisch.
>>Aha, ja, kann ja nicht jeder so viel Glück im Leben haben wie du Leather. Bekomme ich jetzt meine Pizza? Bitte!<<, fragte ich kühl und hielt ihr ungeduldig den Fünfziger hin.
>>Oh, ich weiß gar nicht ob ich dir das so wechseln kann<<, erwiderte Megan gespielt besorgt und nahm das Geld fast wie in Zeitlupe entgegen. Ich hörte eine weitere Tür hinter mir, die geschlossen wurde. Wahrscheinlich war Alicia im Schlafzimmer gewesen um sich neue Sachen anzuziehen und jetzt auf direktem Weg zurück ins Wohnzimmer und damit vorbei an der Haustür. Die Schritte kamen näher. Die Panik kroch in meine Glieder und ließ meine Hände ungesund zittern.
>>Dann behalt den Rest man, jetzt gib schon her!<<, rief ich patzig sowie panisch und schnappte nach den Pizzakartons in ihrer linken Hand. Ich bekam diese auch zu fassen, bevor Megan reagieren konnte, doch bei meiner schnellen Geste nach vorne rutschen meine Ärmel hoch und gaben den Blick frei auf meine geschundenen Handgelenke, was Megan natürlich nicht entging. Ihre Augen wurden groß als sie die farbenfrohen Hämatome sah und weiteten sich vor entsetzen.
Im selben Moment tauchte Alicia hinter mir auf, denn ich vernahm nur noch ein:
>>Was dauert denn hier so... oh.<<, von ihr, bevor auch sie mitten im Satz abbrach und sich der Situation bewusst wurde. Megans Augen wurden noch einmal um ein vielfaches größer, was ich nicht für möglich gehalten hatte, während sie zwischen Alicia, mir und meinen Handgelenken hin und her starrte.
Und dann schien ihr ein Licht aufzugehen. Sie hatte eins und eins zusammengezählt und auf ihrem Gesicht breitete sich das widerlichste Grinsen aus, dass ich jemals gesehen hatte.
Immer noch zu Schock gefroren stand ich da und auch Alicia hinter mir bewegte sich keinen Millimeter.
>>Ich wusste es..., ich wusste doch, dass zwischen euch irgendwas abartiges läuft<<, rief sie und deutete mit ihrem Zeigefinger triumphierend auf uns, während sie bereits zwei Schritte rückwärts ging. Ihre Mundwinkel zuckten gefährlich vor überbordender Freude, während sie uns eingehend musterte.
Immer noch wusste ich nicht was ich sagen sollte. Mir war kotzübel und alles schien sich zu drehen.
Alicia fand als erste von uns beiden ihre Stimme wieder.
>>Miss Leather, ich denke Sie misinterpretieren hier etwas<<, sagte sie und ihre Stimme war unglaublich ruhig. Gefährlich ruhig um genau zu sein. Doch Megan lachte nur hysterisch auf. Das war eine Situation die Alicia nicht mehr retten konnte. Sie hatte keine Gewalt über Megan und ihr Verhalten und das wusste Megan nur zu genau.
>>Oh Miss Morgan, das glaube ich nicht. Jetzt sind Sie dran. Jetzt bekommen Sie, was Sie verdienen<<, spuckte Megan uns vor die Füße und ging noch zwei Schritte rückwärts. Mir wurde kurz schwarz vor Augen, während die Pizzen mit einem klatschenden Geräusch auf dem Boden landeten. Alicia machte indes zwei große Schritte nach vorne, sodass sie nun vor mir stand und Megan wieder bedrohlich nah gekommen war.
>>Miss Leather, ich warne Sie. Diese Verleumdungsklage wollen Sie nicht riskieren!<<, fauchte Alicia nun und wollte noch einen weiteren Schritt auf Megan zugehen, doch geistesgegenwärtig packte ich sie am Arm. Alicia konnte hier nichts mehr ausrichten, diese Situation war aussichtslos. Megan würde nicht schweigen, es sei denn Alicia würde sie lebendig begraben und diese Straftat sollte sie nicht begehen, auch wenn Alicia aussah als würde sie gerade nichts lieber tun.
>>Das soll ruhig die Polizei entscheiden..<<, kam es böse grinsend von Megan die so unglaublich glücklich schien, als ob sie gerade im Lotto gewonnen hatte. Ich spürte wie Alicias Muskeln sich anspannten, bereit auf Megan los zustürmen doch ich hielt sie mit aller Kraft zurück.
>>Lass es Alicia, bitte, es hat keinen Sinn<<, murmelte ich wie geistesabwesend während Megan vergnügt glucksend zu ihrem Auto rannte, den Motor startete und mit quietschenden Reifen die Straße hinunter raste.
Immer noch standen wir an Ort und Stelle, die Pizza vor uns auf dem Boden ausgebreitet. Niemand von uns beiden sagte etwas. Es fühlte sich an wie der schlimmste Alptraum, in dem ich jemals gefangen gewesen war. Doch der unbändige Schmerz der durch meinen Körper zog und zuckte, verdeutlichte mir, dass das alles andere als ein Traum war. Das hier war die Realität. Der Pizzageruch stieg mir in die Nase und mit einem Schlag überkam mich die Übelkeit, ich ließ Alicias Arm los und wandte mich blitzschnell um nur um in einen der angrenzenden Büsche zu kotzen. Ich würgte. Immer und immer wieder, während mir die Tränen vor Übelkeit und Schmerz über die Wangen liefen. Ich spuckte nur Magensäure, doch es wollte nicht aufhören. Immer wieder schüttelten mich schlimme Wellen des Erbrechens. Alicia stand immer noch neben mir. Sie bewegte sich nicht. Sie sagte nichts.
Schließlich richtete ich mich wieder auf und wischte mir über den Mund. Mein ganzer Körper bebte vor Erschöpfung und ich versuchte den saueren Geschmack zu ignorieren, um mich nicht erneut übergeben zu müssen. Mein ganzer Körper war bedeckt von kaltem Schweiß und ich zitterte in der kalten Abendluft.
Ich sah Alicia an und das Leuchten in ihren Augen war verschwunden. Sie waren so dunkel wie noch nie.
Wortlos wandte sie sich um und rannte ins Haus. Verdutzt blieb ich für einen kurzen Moment an Ort und Stelle, bevor ich ihr auf wackeligen Beinen und nicht annähernd so schnell folgte. Ich fand sie im Schlafzimmer, in welchem Sie in routinierter Bewegung eine große, bereits gepackte Tasche aus dem oberen Ende des Schranks hob und auf dem Bett abstellte. Konzentriert griff sie unter das Bett, es war ein kurzes Rascheln zu vernehmen und sie zog eine durchsichtige Plastiktüte hervor in welcher offensichtlich sowohl ein Pass als auch Unmengen an Bargeld steckten. Wortlos stand ich daneben. Völlig überfordert von der Gesamtsituation und nicht im entferntesten fähig auch nur irgend etwas zu tun oder zu sagen. Alicia quetschte die Plastiktüte samt Inhalt ebenfalls in die Reisetasche und griff nach ihren Schuhen die neben dem Bett standen.
Wollte sie etwa einfach so abhauen? Wollte sie flüchten? War das ihr Plan? Wie lange hatte sie das als Notfalloption geplant, wenn sie bereits eine gepackte Tasche im Schrank hatte? Langsam drang zu meinem Gehirn durch, was sie hier eigentlich tat. Was sie vor hatte.
Inzwischen hatte sie ihre Sneaker an und schulterte mit einem schnellen Handgriff die Reisetasche. Sie wollte den Raum verlassen, doch mit einem schnellen Schritt stellte ich mich ihr in den weg. Sie durfte nicht einfach gehen, nicht jetzt, nicht so.
>>Was hast du vor Alicia?<<, fragte ich erstickt und meine Stimme war rau vom Erbrechen noch einige Minuten zuvor.
Alicia vermied es mit allen Mitteln mich in diesem Moment anzusehen.
>>Wonach sieht es denn aus Lauren?<<, fragte sie unwirsch und schob mich grob zur Seite um an mir vorbei zu gehen, wobei ich gegen den Türrahmen prallte. Der Schmerz zog durch meinen Arm doch ich ignorierte ihn.
Ich setzte mich ebenfalls in Bewegung und lief ihr hinterher, während sie ihren Mantel und die Autoschlüssel packte.
>>Du... Du kannst doch nicht einfach abhauen? Wo willst du denn hin? Was soll aus mir werden?<<, rief ich panisch und den Tränen nahe, während ich Alicia bis in die Garage folgte. Sie warf die Tasche und ihren Mantel auf den Rücksitz des Autos, bevor sie sich zu mir umwandte.
Jetzt sah sie mich an und in ihren Augen tobte ein einziges durcheinander. Ein Sturm der Gefühle und Emotionen. Sie wollte es vor mir verbergen doch es gelang ihr nur bedingt. Warum stieß sie mich gerade jetzt von sich weg? Warum nur?
>>Lauren, hör zu, ich muss gehen. Das weißt du genauso gut wie ich. Ich kann nicht ins Gefängnis und du, du... du hast dein ganzes Leben noch vor dir. Es ist besser wenn du nichts weißt. Pass einfach auf dich auf<<, sagte sie und diese Worte kamen so klar und schnell über ihre Lippen als wären sie einstudiert. Ich wusste nicht was ich dazu sagen sollte, ich wusste nur, dass ich das ganz sicher nicht hören wollte. Wut, Verletzung und Angst fluteten mein Gehirn.
>>Du kannst mich doch nicht einfach hier zurück lassen!<<, protestierte ich, während Alicia die Fahrertür öffnete und bereits auf dem Sitz platz nahm. Alicia antwortete nicht, sie vermied es erneut mich anzusehen und schnallte sich an, bevor sie nach der Tür griff um diese zu schließen. Doch ich packte die Tür am oberen Ende und hielt sie mit aller Kraft auf.
>>Lass los Lauren!<<, kam es auffordernd von Alicia doch ich dachte nicht mal annähernd daran.
>>Bitte Alicia, nimm mich wenigstens mit wenn du gehst, lass mich hier nicht zurück. Bitte, ich flehe dich an!<<, schluchzte ich nun während dicke Tränen über meine Wangen liefen, ohne auf ihre Aufforderung einzugehen. Für einen kurzen Moment hielt Alicia inne und der tödliche Keim der Hoffnung pflanzte sich in mein Herz, doch dann schüttelte sie kaum merklich den Kopf und die Pflanze starb, ehe sie aufblühen konnte. Es fühlte sich an, als würde mir jemand ein glühend heißes Messer durch die Rippen stoßen.
>>Lauren, hör mir zu: Ich verabschiede mich hiermit von dir! Ich gehe. Also bitte, lass die Tür los<<, sagte sie und sie konnte das Zittern in ihrer Stimme nun auch nicht mehr verbergen. Sie versuchte stark zu sein und sich nichts anmerken zu lassen, doch auch ihr Körper war merkwürdig angespannt, als würde sie ebenfalls unsichtbare Schmerzen erleiden.
Die Tränen flossen immer ungehinderter über mein Gesicht. Sie hatte es mir versprochen. Sie hatte mir versprochen, sie würde sich verabschieden bevor sie gehen würde und das hatte sie so eben getan. Sie hatte sich verabschiedet. Mein Brust zog sich derart schmerzhaft zusammen, dass mir die Luft wegblieb, doch ich ließ die Tür los und trat einen Schritt zurück. Sofort schloss Alicia die Autotür und startete den Motor. Etwas begann in diesem Moment in mir zu zerbrechen.
Alicia trat aufs Gas und fuhr mit qualmendem Auspuff aus der Garage. Sie ging, sie fuhr wirklich davon. Sie ließ mich zurück. Aber ich brauchte sie doch. Sie durfte nicht gehen. Sie durfte mich nicht hier in ihrem Haus zurücklassen. An diesem Ort, der alles und doch nichts ohne sie war. Ich wollte doch noch so viel mit ihr. Ich wollte alles. Ein ganzes Leben. In diesem Moment kam wieder Bewegung in meinen Körper und auf nackten Füßen rannte ich ihrem Auto hinterher, dass nun auf die Straße einbog. Meine Fußsohlen kratzen hart über den Asphalt und jeder Schritt tat wahnsinnig weh. Doch rannte weiter auf das Heck ihres Autos zu. Alicia beschleunigte hörbar den Wagen.
>>Aber ich liebe dich doch...<<, schrie ich in die Dunkelheit, doch sie hielt nicht an. Die Rücklichter ihres Autos wurden in der Ferne immer kleiner und ich hörte auf zu rennen. Ich blieb stehen und sank auf die Knie, mitten auf dem kalten Asphalt in der Dunkelheit, in einer mir sonst so fremden Vorstadtsiedlung.
Ich weinte.
So sehr wie ich noch nie in meinem Leben geweint hatte. Und dann schrie ich. So laut es meine Stimme zuließ in der Hoffnung, damit meinem Schmerz platz einzuräumen. Als ich schließlich nicht mehr schreien konnte, weinte ich nur noch. Mein ganzer Körper krampfte sich immer wieder zusammen und die Angst schien mir sämtliche Luft zum Atmen zu nehmen. Die Panik hatte meinen ganzen Körper in Beschlag genommen und meine Hände begannen zu kribbeln vor lauter Sauerstoffunterversorgung aufgrund meiner Schnappatmung. Mein linke Brust schmerzte so sehr, dass ich glaubte einen Herzinfarkt zu erleiden und in diesem Moment wäre es die größte Erlösung gewesen. Doch es war kein Herzinfarkt, ich würde nicht sterben. Ich würde am Leben bleiben und ein Leben ohne Alicia führen müssen. Ich würde hier sein während sie fort war.
Diese Gedanken sorgten dafür, dass mein Weinen wieder stärker wurde.
Die Kälte um mich herum spürte ich schon gar nicht mehr, während ich auf dem Asphalt hockte und versuchte wieder ein Mindestmaß an Kontrolle über meinen Körper zu erlangen. Doch es gelang mir nicht. Ich zuckte, zitterte, weinte und wiegte mich immer wieder vor und zurück. Meine Augen brannten und es schien, als hätte der Teufel persönlich einen Teil meiner Seele aus meinem Körper gerissen und nur eine blutende, triefende Stelle hinterlassen.
In der Ferne erschien Blaulicht und Sirenen schallten durch die Nacht. Sie übertönten bald schon mein weinen. Ich sollte von der Straße. Ich sollte auch abhauen, wenn niemand hier war, dann könnten sie Megans Geschichte vielleicht nicht beweisen. Doch ich konnte mich nicht bewegen. Mein Körper gehorchte mir nicht mehr. Ich schien mich immer mehr von mir selbst zu trennen. Als würde mein metaphysischer Teil den Körper verlassen und darüber schweben. Als würde ich diese unnütze Fleischhülle einfach zurücklassen und ganz ohne Physis fortbestehen. Das Blaulicht kam immer näher und schließlich kam ein Auto mit quietschenden Reifen vor mir zum stehen.
Wie durch einen Schleier nahm ich wahr, wie jemand aus dem Auto stieg und eine Polizistin auf mich zugelaufen kam.
Sie sprach mit mir, doch ich konnte nichts hören. Ich konnte auch nichts sagen. Ich saß einfach nur da und starrte sie an, während sie versuchte zu mir durchzudringen. Sanft aber bestimmt spürte ich schließlich wie ich von ihr auf meine Beine gezogen wurde und zu einem weiteren Auto geführt wurde, an welchem mich zwei Rettungssanitäter empfingen und mich sofort in eine Wärmedecke hüllten.
Dann wurde alles schwarz und ich spürte wie meine Beine nachgaben.
Ich fiel.

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Ich weiß, dass dieser Plotttwist einige von euch sicher nicht glücklich stimmen wird, aber ich kann mich von der Dramatik nicht lösen und das wird wohl auch für immer so bleiben.
Gleichzeitig ist das natürlich noch nicht das Ende.
Ich möchte mich trotzdem an der Stelle für alle fleißigen Votes, Kommentare, Nachrichten und Rückmeldungen bedanken die ich von euch erhalte! Es motiviert mich sehr zum Schreiben und macht mich gleichzeitig auch sehr glücklich!
Danke dafür und bis zum nächsten Kapitel!

-Karla

Dominate meWhere stories live. Discover now