Theorie

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Ich war längst mit dem Buch fertig. Kopfüber hing ich auf dem Bett und starrte die Wand verkehrt herum an. Mir war so furchtbar langweilig. Meinen Laptop hatte ich versucht anzubekommen, aber irgendwie wollte er nicht so recht. Ich hatte alles versucht, was in meiner Macht stand, um ihn wieder zu beleben, aber ich scheiterte kläglich. Das Einzige was ich jetzt gerade versuchte, war das Gerät erst einmal zu laden. Ich befürchtete, dass ich ihn angelassen hatte, bevor ich Demetri gesucht hatte. Und das war immerhin fast vier Tage her. Da würde es mich nicht wundern, wenn der Akku wirklich mehr als leer war. Jetzt konnte ich nur abwarten. Immer wieder wanderte mein Blick zu dem flachen schwarzen Computer auf dem Schreibtisch. Das Lämpchen leuchtete noch immer rot, also ladete er zumindest mal. Ich seufzte frustriert.

Plötzlich klopfte es an der Tür. Sofort sprang ich auf und stürmte zur Tür. Jede Abwechslung war willkommen. "Dir muss ja furchtbar langweilig gewesen sein, wenn du so guckst." Demetri schien doch ziemlich amüsiert über meinen Gesichtsausdruck zu sein. Ich antwortete nicht und ignorierte diesen Kommentar einfach. "Wie auch immer, komm mit." Er drehte sich um und ging den Gang in Richtung des Aufenthaltsraumes zurück. Etwas verdattert sah ich ihm kurz nah, ehe ich schnell meinen Schlüssel schnappte, die Tür hinter mir zu zog und ihm hinter her lief.
"Wo gehen wir hin?" fragte ich nach.
"Zuerst gehen wir in das Klassenzimmer, anschließend gehen wir zum praktischen Teil über, wofür wir dann in den Trainingsraum gehen. Dort treffen wir uns dann mit Felix." erklärte er.
"Aha. Dann ist das also meine erste Unterrichtsstunde?"
"Ganz genau."
"Und was ist das Thema?" wollte ich neugierig wissen.
"Das hab ich dir gestern schon gesagt. Es wird um die Ernährung gehen." half er mir auf die Sprünge.

Ich erinnerte mich an das Gespräch von gestern. Es kam mir fast so vor, als würde ich wirklich jedes noch so kleine und unwichtige Detail nennen können, wenn mich jemand danach fragen würde. Auch wenn es nur um ein Hintergrundgeräusch oder einen Fussel auf Demetris Jacket gehen würde.

Der Gang den wir entlang gingen, war ewig lang und dunkel. Obwohl hier nicht das kleinste bisschen Licht hinein drang, konnte ich wirklich alles sehen! Fast so, als ob meine Augen über ein eingebautes Nachtsichtgerät verfügen würden. Richtig abgefahren. Die Fackeln an den Wänden waren nicht angezündet, wohl weil es sich nicht lohnte. Zudem sah ich ja alles, also waren die ja ohnehin überflüssig.

Als wir am Ende des Ganges eine Treppe hinauf gingen, roch ich bereits die modrige Luft riechen. "Gehst du den Gang entlang, kommst du im Keller des Schulgebäudes raus. Von dort aus kannst du dich dann ganz normal im Gebäude bewegen. Du darfst es nur nicht verlassen." erklärte er, als er eine schwere Eisentür öffnete. Sie befand sich in einem verdammt abgelegenen Eck des Kellers und sah aus, als würde sie zu einem Heizungskeller führen. Von hier aus war es mir ein leichtes den Keller der Schule auszumachen, genauso wie den Weg zu jedem einzelnen Raum. "Was ist mit den Fenstern? Da kommt doch das Sonnenlicht rein." Wenn Vampire wirklich im Sonnenlicht verbrennen, dann würde ich den Keller nicht verlassen. "Mach dir darüber mal keinen Kopf. Dass Sonnenlicht kommt zwar herein, aber die Fenster bestehen aus einem besonderen Glas, dass das UV Licht draußen hält. Nur diese Strahlen reagieren mit der Haut eines Vampirs." erklärte er. Und schon war er verschwunden. Ich hatte keine Lust, ihm direkt hinter her zu rennen, also begab ich mich in normaler Geschwindigkeit in das Zimmer, dass eigentlich mein Klassenzimmer war. Auf dem Weg dorthin bemerkte ich die markante Spur, die mein Mentor hinterlassen hatte. Er hätte auch genauso mit Schlamm verschmierten Schuhen nach oben gehen können. Seinen Geruch nahm ich mindestens genauso leicht wahr.

Im Klassenzimmer schließlich angekommen, saß Demetri bereits an seinem Pult und deutete auf den Schreibtisch – meinen alten Platz – um mir zu zeigen, dass ich mich hin setzten sollte. Ich tat was er von mir wollte. "Ich würde dir eigentlich als erstes deinen Stundenplan geben, aber da du sozusagen Privatunterricht erhälst, brauchst du keinen." Stattdessen warf er mir einen dicken Welzer zu, der schon fast wie die Gesetzessammlung aussah, die ich ich mal im Unterricht benötigt hatte. "Guck nicht so. Da steht alles Wichtige drin. Die Eigenschaften der Vampire sind ganz vorne aufgelistet, dann jedes einzelne Gesetz, die Regeln an die du dich hier zusätzlich noch zu halten hast und all sowas. Les es dir einfach durch." Verwirrt blickte ich auf das Buch. "Wozu brauch ich dann eigentlich auch noch Unterricht?" fragte ich vorsichtig nach und schlug das Buch auf. "Der Unterricht besteht hauptsächlich aus Praktischem. Zusätzlich gehen wir gemeinsam das ganze Buch durch. Es wird bei dir wahrscheinlich noch einen ganzen Haufen Fragen aufwerfen."

Ich überflog die Eigenschaften der Vampire. Das mit dem Bluttrinken überraschte mich nicht, aber da war noch etwas anderes.
"Wir schlafen nicht?"
"Nein." antwortete er.
"Gar nicht?" hackte ich nach.
"Nein, niemals." Demetri klang etwas gelangweilt. Erst als ich aufsah, bemerkte ich, dass er gerade mit irgendwelchen Papieren beschäftigt war. Ich wartete noch eine gefühlte Ewigkeit, bis ich nochmal eine Frage stellte. In der Zwischenzeit tat ich so, als würde ich lesen, dabei starrte ich die Seite lediglich an. "Wie genau funktioniert das mit dem Bluttrinken eigentlich?" Demetri sah auf. Er schien ein bisschen überrascht über diese Frage. "Das wollte ich dir eigentlich gleich erklären. Warte noch einen Moment, bis ich hier fertig bin." bat er. Ich nickte stumm und sah wieder in das Buch. Halbherzig blätterte ich darin herum, überflog ein paar Zeilen, las aber nicht wirklich. Dennoch blieb die gesamte Seite als eine Art Foto in meinem Gedächtnis gespeichert.

Als er dann schließlich aufstand, schloss ich das Buch und sah ihn aufmerksam an. "Also, dann wollen wir mal." murmelte er leise vor sich hin. Ich beobachtete ihn, wie er in wenigen Sekunden den Umriss eines Menschens an die Tafel zeichnete. Er erklärte mir zunächst noch einmal im Schnelldurchlauf wie der Blutkreislauf der Menschen funktionierte, wobei er die Adern und Venen mit roter und blauer Kreide grob einzeichnete, sowie das Herz. Er gab mir den Tipp, die Halsschlagader meines Opfers zu durchtrennen, um am schnellsten an möglichst viel Blut zu kommen. Zudem würde das viel Ärger und Gerangel mit dem Menschen ersparen, sowie weniger Sauerei machen. Zusätzlich brachte das den Menschen sehr schnell um. Auf meine Frage hin, wie ich denn die Halsschlagader finden würde, erklärte er mir, dass ich sie einerseits unter der Haut pulsieren sehen würde, gerade dann, wenn das Opfer Angst hatte, andererseits würde ich die Hitze spüren. Demetri meinte, dass es nichts leichteres für einen Vampir gab, diese Stelle zu finden und einfach zuzubeissen. Was letzteres anbelangt, riet er mir, mich einfach auf meine Instinkte zu verlassen. Mein Körper würde ganz von alleine alles nötige tun. Hatte ich erst einmal das Opfer vor der Nase, bräuchte ich über nichts mehr nachzudenken.

"Hast du soweit noch Fragen?" Demetri stand vorne an der Tafel und sah auf seine Uhr. Anscheinend hatte er noch irgendetwas vor. Oder er hatte mit Felix eine Uhrzeit abgemacht. "Nein." antwortete ich schlicht. "Perfekt. Wir liegen genau in der Zeit. Dann treffen wir uns jetzt mit Felix und gehen über zum praktischen Teil." verkündete er und ging zur Tür. Ich ging ihm stumm hinter her. In der Theorie klang alles wirklich simpel. Ich müsste alles nur meinem Instinkt überlassen. Aber dennoch hatte ich Bedenken. Was, wenn mir das doch mehr ausmachen würde, einem Menschen das Leben zu nehmen, nur, damit ich meinen Durst stillen könnte? Was, wenn ich es einfach nicht fertig brachte, den Menschen zu beißen, wenn er einmal anfangen sollte, sich zu wehren?

"Mach dir keinen Kopf. Am Anfang ist es ungewohnt. Wenn du darüber nachdenkst, erscheint das Ganze im Moment ziemlich absurd, aber wenn du erst einmal den Menschen vor der Nase hast und das frische Blut riechst, reagiert dein Instinkt. Dann schaltet sich dein Hirn automatisch ab. Hast du das erste Mal hinter dir, fällt es dir in der Regel ganz leicht." Er hatte offenbar bemerkt, dass mir das bevorstehende wirklich quer im Magen lag. Wir kamen an der 'Kreuzung' vorbei, an der ich auch wieder hätte in mein Zimmer gehen können. Stattdessen gingen wir gerade aus weiter und blieben schließlich vor einer großen Tür stehen. Ohne zu zögern stieß Demetri diese auf und packte mich in der selben Bewegung am Handgelenk. Er schob mich vor sich her in den Raum und schloss hinter uns die Tür.

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Ich hoffe, dass euch das Kapitel gefallen
hat :)
Was in diesem Raum passiert ist, wissen
bisher nur Felix, Demetri, Arina und ich ;)
Ihr erfahrt es nächsten Donnerstag :D

Die Schule der angehenden WachenМесто, где живут истории. Откройте их для себя