Blutbad

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  Ich erstarrte. Kevin? Unser kleiner Kevin? Welches verdammte Arschloch tat so etwas? „Kommt mit!" Demetri verschwand mit den Schülern. Was zur Hölle war da draußen verdammt nochmal los? Wieso prügelten sie sich? Hatte das etwa irgendetwas mit dem Selbstverteidigungskurs von Felix etwas zu tun? Ich musste einfach wissen, was da los war.

Still verharrte ich in meinem Versteck und wartete, bis ich Demetri nicht mehr hören konnte. Auch der Herzschlag von Raverna und den beiden anderen war verschwunden. Mir war es egal, dass ich hierbleiben sollte. Er konnte machen was er wollte, aber wenn sich jemand mit meinen Freunden anlegte und sie so schwer verletzte, dass sie nur noch auf dem Boden lagen und sich nicht mehr rührten; ich konnte mich in so einer Situation einfach nicht mehr verstecken. Wenn ich mich in das Chaos mischen würde, würde ich vielleicht nur meinen Freunden auffallen, wenn überhaupt. Sie hatten alle sicher nur Kevin im Kopf. Und selbst wenn sie mich bemerkten, dann konnte ich immer noch die Ausrede von der nicht vorhandenen Zwillingsschwester anwenden. Klar, Klischeehafter ging wohl kaum noch, aber das war mir gerade alles mehr als egal.

Mir war bewusst, dass mir eine saftige Strafe bevorstehen würde aber, wenn ich meine Möglichkeiten abwägte, war es mir das allemal wert. Möglichst leise öffnete ich die Tür und ignorierte dabei die panische Frau mit ihrem quengelnden Gör. Ich spitzte meine Ohren, immer auf der Hut, ob ich einen Vampir kommen hörte. Gleichzeitig musste ich aber schnell sein. Sobald mein Mentor meine Aktion bemerkte, konnte ich das alles vergessen.

Schnell war ich an der Eingangstür angekommen hörte den ganzen Tumult aber nur leise. Demnach musste sich alles auf dem Schulgelände abspielen. Die verdammte Tür knarrte laut, aber ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen. Ich schlich mich in die Richtung des Gebäudes. Glücklicherweise befand sich auf dieser Strecke kein Vampir. Was das anging, hatte ich heute ausnahmsweise Mal Glück.

Schon von Weitem konnte ich sehen, was da abging. Schüler stürzten sich aufeinander, schlugen mit den Fäusten aufeinander ein, andere schrien sie an, wieder andere versuchten ihren Freunden zu helfen; so entstanden große Gruppen, die aufeinander einprügelten. Manche lagen auf dem Boden. Einige von ihnen rührten sich fast gar nicht mehr, die Restlichen stöhnten vor Schmerzen und versuchten sich wieder aufzurappeln. Und dann war da noch Kevin.

Ich ging näher ran um mehr zu sehen. Ich atmete nicht, aus Angst, die Kontrolle über mich zu verlieren. Würde ich jetzt in einen erneuten Blutrausch verfallen, würde ich sofort auffliegen. Überall waren kleinere und größere Pfützen aus Blut. Diejenigen die am Boden lagen, waren auf einen roten Fleck auf dem hellen Steinboden gebettet. Der Kontrast machte die Situation nicht ansehnlicher. Mehrere Lehrer stürmten hinter dem Wohngebäude hervor und kümmerten sich um die teils mit blutigen Händen kämpfenden Schüler.

Kevin war leicht zu finden. Meine Freunde standen alle bei ihm. Sie weinten, zitterten am ganzen Körper und konnten den geschockten Blick nicht von dem schwachen, geschundenen Körper lösen. Demetri hatte sich über ihn gebeugt und begutachtete möglichst vorsichtig seine Verletzungen.

Plötzlich hob er den Kopf. Er starrte direkt in meine Richtung. Erschrocken schnappte ich nach Luft, wobei sich mein Körper sofort auf den extremen Blutgeruch einschoss. Es war ein merkwürdiger Duft, wenn sich das Blut von so vielen verscheiden riechenden Personen vermischte. Sofort hielt ich mir Mund und Nase zu, biss die Zähne fest zusammen und versteifte mich auf den Gedanken, dass jetzt alles aus wäre, wenn ich mich rühren würde. Ohne wirklich darüber nachzudenken wandte ich die kindische Methode an, sich nicht zu rühren, der festen Überzeugung wegen, man würde nicht gesehen werden, wenn man sich nicht bewegte. Ich hätte wohl reflexartig auch noch die Augen geschlossen, wenn ich den Blick von meinem Mentor hätte abwenden können.

Ich konnte seinen Blick nicht deuten. Er schien verdammt ernst, vielleicht etwas zu ernst. Gleichzeitig schien er durch mich hindurch zu sehen. Ich machte mich innerlich schon einmal auf das größte Donnerwetter aller Zeiten gefasst. Automatisch begann ich mir das Szenario vorzustellen, in dem er mich zur Sau machen würde. Ganz zu schweigen von den grauenvollen Strafen, die auf mich warten würden. Vielleicht machte er mit mir genau das im nächsten Training, was er mir vor Kurzem erst erzählt hatte: mich auseinandernehmen und dann wie ein Puzzlespiel wieder zusammensetzten. Wohlmöglich absichtlich falsch, sodass er einen Grund hätte, mich erneut auseinanderzunehmen. Oder noch schlimmer: ich würde mir selbst die fehlerhaft angebrachten Teile abreisen müssen.

Ich schluckte schwer und versuchte die Bilder schnellstmöglich wieder zu vergessen. In dem Moment gesellte sich Felix zu Demetri und kniete sich so neben Kevin, dass mir der Blick auf diesen versperrt war. Je länger dies anhielt, desto unruhiger wurde ich. Ich wollte endlich wissen, was da los war. Ich konnte lediglich die Reaktion meiner Freunde sehen. Sie wurden ruhiger, zitterten nicht mehr so sehr, dafür liefen aber umso mehr Tränen über ihre Wangen.

Demetri und Felix begannen miteinander zu sprechen. Ich hörte, dass sie etwas sagten, aber es war zu leise, um dass ich es hätte von hier aus verstehen können. Mein Blick schweifte durch die Gegend. Irgendwo musste ich einen Platz finden, von dem aus ich mehr sehen und vor allem mehr hören konnte. Gleichzeitig sollte es weit genug weg von allem sein. Je näher ich an das Blut rangehen würde, desto größer war die Gefahr, dass ich vielleicht doch etwas riechen würde, obwohl ich nicht atmete. Um das wirklich einschätzen zu können, fehlte mir eindeutig die Erfahrung und das Wissen mit und über meinen neuen, vampirischen Körper.

Ich sah mich um und entschied mich schließlich, durch die Gassen zu gehen. Über verdammt viele Umwege gelangte ich fast am anderen Ende der Stadt zunächst auf die Höhe des Schulgeländes, dann immer näher dort hin. Schließlich konnte ich durch einen ausgefallenen Stein in der Mauer direkt auf das Schulgelände blicken, war aber, zumindest für die anderen Schüler unsichtbar. Gleichzeitig wehte der Wind in eine günstige Richtung. Der Blutgeruch ging an mir vorbei, mein Geruch wurde aber auch nicht in Richtung der Lehrer geweht. Aber eigentlich konnte mir das egal sein. So lange Demetri noch abgelenkt war und sich vollkommen auf Kevin, unsere Freunde und Felix konzentrierte, merkte er hoffentlich nicht, dass ich mich ihm wiedersetzt hatte.

Aber irgendwie konnte ich einfach nicht glauben, dass er mich nicht bemerkt hatte. Am liebsten würde ich ihn später fragen, ob er mich denn gar nicht bemerkt oder eben gesehen hatte. Würde ich das aber wirklich tun, und er hätte mich, durch wie viele unwahrscheinliche Wunder auch immer, wirklich nicht gesehen und ihm dann diese Frage stellen... Um das zu machen, wäre ich wirklich verdammt dumm.

Ich beobachtete das, was sich mir bot. Die Lehrer, die die anderen Schüler mittlerweile, teils auch mit Gewalt, ignorierte ich größtenteils und sah nur rüber zu meinen Freunden, Felix und Demetri. Noch immer diskutierten sie. Jetzt konnte ich aber auch verstehen, was sie sagten und begriff auch, wieso ich sie eben nicht verstanden hatte. Sie sprachen auf Vietnamesisch oder Thailändisch miteinander. Es war nicht zu überhören, dass es eine Asiatische Sprache war, aber die restlichen hätte ich erkannt. Dass sie aber so lange miteinander diskutierten und Demetri die ganze Zeit über eine Hand an Kevins Halsschlagader hatte um seinen Puls zu überprüfen, machte mir zunehmend Angst. Es war auch nicht zu übersehen, dass meine Freunde mit der zunehmenden Zeit die verstrich, ohne dass wirklich etwas passierte, ebenfalls immer beunruhigter wurden. Schließlich richtete sich Felix auf, ehe er seinen Schützling vorsichtig hoch ob. Erst jetzt konnte ich sehen, wie schwer verletzt er wirklich war. Sein Gesicht war kaum noch zu erkennen, zu viel Blut bedeckte sein Gesicht. Es rann aus mehreren Wunden, aus Mund und Nase. Kaum ein Fleck auf seinem restlichen Körper war nicht rot. Er musste ewig in seinem eigenen Blut gelegen haben, dass sich der Stoff seiner Kleidung dermaßen damit hatte vollsaugen können.

Ich wollte das nicht sehen. Nie würde ich dieses schreckliche Bild aus dem Kopf bekommen, da war ich mir sicher. Aber ich konnte einfach nicht wegsehen. Dieser schreckliche Anblick hielt mich gefangen, obwohl ich wusste, dass ich auf meine Umgebung achten musste, um schnellstmöglich fliehen zu können, wenn es zu riskant werden würde. Zu allem Überfluss begann es auch noch zu regnen. Ich kauerte mich hinter der Mauer etwas enger zusammen, zog meine Kapuze des Pullis über und sah wieder durch das Loch. Die Regentropfen begannen die kleineren Blutpfützen zu verdünnen, ehe sie in kleinen Rinnsalen davon geschwemmt wurden.

Felix stand mittlerweile wieder neben Demetri. Jetzt würde es riskant werden. Richtig riskant. Immerhin war er jetzt nur noch mäßig abgelenkt. Wenn sich jetzt seine Gabe meldete, war ich mehr als fällig. Genau genommen war ich gerade sehr viel gefährlicher für meine Freunde, als die Schüler, die eben auf sie losgegangen waren. Auch dieser große Kampf hatte sich aufgelöst, die Lehrer machten die Verantwortlichen gerade mehr als zur Sau. In denen ihrer Haut wollte ich jetzt auf keinen Fall stecken. Naja, ich würde mir nachher sicherlich ohnehin noch genügend von Demetri anhören. Das würde wohl an Ärger für die übrig gebliebenen Schüler reichen. Dass er mich nicht bemerkt hatte, war so unwahrscheinlich, wie eine Eins in Mathe. Zumindest bei mir.

Felix setzte sich in Bewegung, Kevin lag ruhig in seinem Arm. Vorsichtig lauschte ich nach seinem Herz. Es schlug nur sehr schwach, viel zu langsam und unregelmäßig. Er hatte viel zu viel Blut verloren. Vielleicht hatte er auch noch irgendetwas innerlich davongetragen. Selbst jetzt, da er bewusstlos da hing, war sein Gesicht schmerzverzerrt.

Demetri hatte auf einen Schlag wieder all meine Aufmerksamkeit. Er war wie von der Tarantel gestochen aufgesprungen. Das hatte meinen Blick und erst recht meine Gedanken wieder auf meine, momentanen, eigenen Probleme gerichtet: nämlich ihn. Er drehte sich direkt in meine Richtung. Seine Augen verengten sich zu kleinen Schlitzen, seine Miene wurde wirklich mehr als grimmig. Ich rührte mich keinen Millimeter. Noch immer atmete ich nicht. Mein Herz rutschte regelrecht in meinen Schuh, als er Felix zu verstehen gab, schon einmal vor zu gehen. Ich schluckte schwer und zog mich schon mal warm an.

Auch Demetri setzte sich jetzt in Bewegung. Allerdings ging er am Schulgebäude vorbei, wobei er über den ein oder anderen am Boden liegenden Schüler steigen musste. Kaum verschwand er aus meinem Blickfeld, suchte ich die Gegend provisorisch nach anderen Lehrern ab. Aber keiner von ihnen befand sich wo anders als auf dem Gelände bei den anderen Schülern. Auch Felix war mittlerweile im Schloss verschwunden, dass ich von meinem Platz aus ebenfalls sehen konnte. Vielleicht hatte er jetzt auch gerochen, dass ich alleine, ohne Demetri, das Gebäude verlassen hatte. Ein Glück für mich, dass Demetri anscheinend nur meine Gedanken lesen konnte und nicht auch Felix' von Weitem. Gott sei Dank konnte er mir meine nur anhand meines Gesichtes ablesen. Was mir wohl auch zu Gute kam, war, dass sich Felix erst einmal um Kevin kümmern musste und so nicht sofort in der Lage war, meiner Spur zu folgen. Aber das brauchte er auch nicht. So wie es aussah, hatte Demetri mich bemerkt. Wundern würde es mich nicht. Zudem war seine Reaktion wohl offensichtlich. Auch der Weg stimmte, den er eingeschlagen hatte.

Plötzlich näherten sich schnelle Schritte. Viel zu schnell, viel zu leise und zu leicht, um einem Menschen zu gehören. Es war eindeutig ein Vampir. Und dieser kam immer und immer näher. Direkt in meine Richtung. Er rannte an jeder Gabelung der vielen Gassen zwischen den alten Häusern in die Richtung, die zu mir führte. Kurz zog ich in Erwägung, einfach wegzulaufen, aber das würde nichts bringen. Demetri würde mich sowieso finden, egal, wo ich mich verstecken würde.

Zwei Gassen weiter, rechts neben mir, huschte eine dunkle Gestalt aus der Gasse, ehe sie abbog und in einer anderen, weiter weg von mir, verschwand. Verwirrt sah ich dem Vampir hinter her. Es war der, dessen Schritte ich eben gehört hatte, da war ich mir sicher. Aber es war offensichtlich, dass es keiner der Lehrer war. Der anhaltende Regen würde es mir vielleicht unmöglich machen, dessen Geruch aufzunehmen, aber ich wollte ohnehin kein Risiko eingehen. Immerhin befand sich ganz in der Nähe noch immer ein Haufen Blut auf dem Boden. Vorsichtig richtete ich mich ein wenig auf und folgte dem Fremden. Kaum war ich so weit von der Mauer entfernt, dass mich keiner mehr sehen konnte, richtete ich mich ganz auf und lief weiter.

Es war vollkommen ruhig, nur der Regen war zu hören. Mittlerweile war ich zwar vollkommen durchnässt, aber das war wirklich nur eine verdammt winzige Nebensache. Plötzlich zerriss ein greller Schrei die Stille. Ich zuckte zusammen, rannte aber dennoch so schnell ich konnte in die Richtung, aus der dieser eben gekommen war. Es musste dieselbe Gasse sein, in die auch zuvor dieser Vampir gegangen war.

Ich bog um die Ecke und sah, dass dieser Vampir sich tatsächlich dort befand. Natürlich hatte er mich bemerkt. Sofort ließ er das Mädchen fallen, sah mich schockiert an, ehe er mit einem gewaltigen Satz auf das Dach des nächsten Hauses. Ich unternahm keinen Versuch ihm zu folgen. Auf dem Boden lag Carla, eine dieser Tussen, die glaubten, sie seien etwas Besseres, nur, weil ihre Eltern einen Arsch voll Kohle hatten. Ich hatte sie nie sonderlich leiden können, aber jetzt, da sie so leblos vor mir lag, konnte ich es einfach nicht glauben.

Ich kniete mich neben sie auf den nassen Boden und beugte mich über sie. Vielleicht hatte sie der Vampir doch noch nicht getötet. Noch bevor ich das genauer überprüfen konnte, schreckte mich ein weiteres, beunruhigendes Geräusch auf: zwei Vampire näherten sich mir. Beide aus der Richtung des Schlosses. Ich erkannte, um wen es sich handelte. Sie näherten sich verdammt schnell. Eine Flucht wäre zwecklos gewesen, also blieb ich bei Carla und sah sie mir näher an. Vorsichtig drehte ich ihren Kopf zur Seite um die Bisswunde zu begutachten. Sie war verdammt tief. Kein Blut floss mehr heraus, auch ihr Herz schlug nicht mehr. Sie war schneeweiß. Es war nicht zu übersehen, dass sie keinen einzigen Tropfen Blut mehr im Körper hatte.

Es waren nicht einmal 5 Sekunden vergangen, seitdem Carla geschrien hatte und dass Demetri und Felix in der Sackgasse auftauchten. Ich sah auf, als beide stehen blieben. Diese finsteren Blicke werde ich sicher nie vergessen.

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Rakete 4
Es war so knapp! Wenn Carla doch bloß nicht
gewesen wäre, oder dieser Vampir...
Aber wer ist das überhaupt? Und wieso jagt der
in Volterra?
Was jetzt wohl mit Arina passiert?

Tja, da müsst ihr euch wohl doch noch bis
morgen gedulden :D  



Die Schule der angehenden WachenWhere stories live. Discover now