Strafen

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Zu meiner Überraschung sah er wirklich alles andere als wütend aus. Eher erleichtert. Jetzt war ich verwirrt. Müsste er eigentlich nicht stinksauer sein? Immerhin hatte ich den Weg verlassen, den er mir vorgegeben hatte. Zudem war ich gerade drauf und dran gewesen, eine Frau abzumurksen und nichts hätte mich aufhalten können. Wäre er nicht gekommen, würde heute noch eine vierte Leiche im Säurebecken landen.

Ich traute mich nicht irgendetwas zu sagen. Felix stand zwei Meter weiter und sah in die Richtung, in die Giulia eben geflohen war. „Menschen die hier durch die Gänge gehen, arbeiten hier. Denen darfst du nur dann etwas tun, wenn du dafür den Befehl von einem der Meister bekommst, oder von mir. Sagt irgend ein anderer Vampir hier zu dir, du sollst einen dieser Menschen töten, rechne damit, dass sie nicht den los werden wollen, ohne sich zu beschmutzen, sondern dich." erklärte er und sah mich eindringlich an. Ich nickte nur stumm. Allerdings wusste ich ganz genau, dass ich mich nicht beherrschen würde können, wenn erneut ein Mensch meinen Weg kreuzen würde. Wenn Demetri mich dann nicht wieder aufhalten würde, dann wäre hier wohl ein Mensch weniger unterwegs. Aber wenn einer der anderen Vampire mich aus dem Weg schaffen könnte, nur, wenn er oder sie mich dazu bringt, einen dieser Leckerbissen zu töten...

„Ich werde dich die nächsten paar Monate nicht mehr alleine durchs Schloss laufen lassen. Entweder ich begleite dich, oder Felix. Wir sind wohl zur Zeit die Einzigen, die dich in Schach halten können, wenn es nötig sein sollte. Felix, weil er dich im Notfall ohne irgendwelche Skrupel auch noch auseinander nehmen würde und ich, weil du offenbar auf mich hörst. Das ist nicht schlecht, sogar eher zu deinem Vorteil." Mein Blick flog sofort zu Felix, der breit grinste und seine Knöchel knacken ließ. Mir lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. Mein Gesicht musste wohl Bände sprechen, denn sein Grinsen wurde noch breiter.

Demetri ließ mich wieder los, blieb aber immer noch so dicht vor mir stehen. Er wandte sich zu Felix um. „Sollen wir Aro davon berichten?" fragte dieser, Demetri schüttelte nur den Kopf. „Er wird es ohnehin von ihr erfahren, wenn sie ihm die Papiere bringt." er wandte sich wieder mir zu. „Bist du wieder bei klarem Verstand?" Wieder nickte ich stumm. „Gut, dann begleite ich dich." Felix brummte nur leise, ehe er verschwand.

Mein Mentor entfernte sich endlich wieder so von mir, dass ich auch wieder etwas anderes als seinen Geruch wahr nahm. Allerdings lag noch immer dieses penetrante Parfüm in der Luft, was mich sofort wieder an den Geruch ihres Blutes erinnerte. „Denk nicht drüber nach. Normalerweise kommst du gar nicht in Kontakt mit den Menschen." Wieder war es Demetri, der mich zurück in die Realität holte. Er gab mir zu verstehen, ihm zu folgen. Ich war froh, dass die Frau in die entgegengesetzte Richtung geflohen war. Stumm ging ich neben ihm her. Immer wieder warf ich einen Blick aus dem Augenwinkel zu ihm rüber, aber schien vollkommen in Gedanken versunken zu sein. Entweder ich bildete mir es ein, oder er war verdammt angespannt. Ich wollte lieber gar nicht wissen, was ihn beschäftigte.

„Du musst in Zukunft besser aufpassen." Noch immer sah er mehr auf den Boden als nach vorne. Verwirrt sah ich ihn an. Wie kam er plötzlich darauf? „Hier laufen drei Menschen herum. Verlierst du in ihrer Gegenwart die Kontrolle, wird dich das das Leben kosten, solange du eine Schülerin bist. Steigst du zur Wache auf, musst du Aro beweisen, dass du es nicht absichtlich getan hast. Solltest du aber einen der Menschen mutwillig töten, wird dich das dann nicht mehr umbringen, aber du wirst eine Strafe erhalten, die keiner freiwillig über sich ergehen lassen würde. Je nachdem wie du vorgegangen bist, desto länger wird die Folter dauern." Erst jetzt sah er mich wieder an. Seine Miene war vollkommen ausdruckslos, auch seine Augen verrieten nicht die kleinste Emotion, geschweige denn, einen Gedanken. „Was für eine Strafe?" wollte ich erschrocken wissen. Es musste ja furchtbar sein, wenn das einem gestandenen Vampir Angst machte. Zunächst antwortete er nicht. „Erinnerst du dich an deine Verwandlung?" wollte er stattdessen wissen. Wie konnte ich mich an diese Qualen nicht erinnern? Ich nickte. „Genau diese Schmerzen werden dir dann zugefügt. Allerdings besteht die Möglichkeit, dass diese dann noch viel schlimmer sind. Wird es tatsächlich einmal soweit kommen, wirst du innerhalb von Sekunden um den Tod betteln." Noch immer war keinerlei Gefühle bei ihm zu erkennen. Er sah mich nur abschätzend an und wartete wohl auf irgend eine Reaktion meinerseits. Ich wollte weder darüber nachdenken, noch mich an die Verwandlung erinnern. Am aller Schlimmsten war aber die Vorstellung, dass das Ganze noch viel schlimmer sein würde. Ich schwor mir, alles dafür zu geben, dass dies niemals passieren würde. Lieber würde ich als Schülerin die Kontrolle verlieren und anschließend sterben, als noch einmal diese Qualen erleiden zu müssen. Schnell schüttelte ich den Kopf, in der Hoffnung, diese Gedanken so vertreiben zu können.

Demetri lachte kurz auf. Plötzlich schien er so entspannt wie immer. Ich wurde aus diesem Mann einfach nicht schlau. Wechselnde Launen, die schlimmer waren als bei einer Frau. Und das will was heißen, immerhin können wir wirklich verdammt launisch werden. So musste sich also ein Mann fühlen, wenn er seine Freundin mal wieder nicht versteht. „Hab ich dir jetzt Angst gemacht?" fragte er grinsend. Ich sah ihn einfach nur an und merkte selbst, dass ich dabei ziemlich ratlos aussehen musste. Hatte er mich etwa verarscht? Aber er klang so überzeugend...
„Ich hab die Wahrheit gesagt, falls du das gerade anzweifelst. Die strafe fällt wirklich als Folter aus. Aber das ist bisher nur ein paar Mal vorgefallen. Wird hier jemand gefoltert, dann meist aus anderen Gründen." Er klang so, als ob das das Alltäglicheste auf der Welt wäre. „Für was wird man denn so bestraft?" fragte ich unsicher. „Das brauchst du im Moment noch nicht zu wissen, da das für dich als Schülerin gar keine Rolle spielt. All die Vergehen auf die eine Strafe angesetzt werden, stehen in deinem Handbuch, das wir jetzt holen gehen." Mehr sagte er nicht.

Ein paar Minuten später waren wir am Klassenraum angekommen. Demetri wartete an der Tür, solange ich schnell auf meinen Platz ging und mein Buch holte. In dem Raum roch es angenehm nach Kreide, Tinte und frisch gespitzten Stiften. Ich hatte den Geruch das letzte mal gar nicht bemerkt. „Du hast es das letzte Mal bemerkt, nur nicht wahr genommen, weil du wohl zu viel im Kopf hattest. Mit der Zeit nimmst du alles gleichzeitig wahr." Ich drehte mich zu ihm um. Er lehnte lässig am Türrahmen, hatte die Arme vor der Brust verschränkt und beobachtete mich leicht belustigt.

„Diese Unaufmerksamkeit ist eine typische Eigenschaft der Neugeborenen, nach ungefähr einem Jahr vergeht das alles." Woher zur Hölle wusste er, was ich dachte? Schockiert sah ich ihn an. „Du kannst Gedanken lesen?" fragte ich ungläubig. Grinsend schüttelte er den Kopf. „Wenn du so viele Neugeborene gesehen hast wie ich, merkst du, dass sie verdammt leicht zu durchschauen sind. Man sieht ihnen die Gedanken regelrecht an." versuchte er mich zu beruhigen, auch, wenn das nicht wirklich fruchtete.

„Na los, gehen wir. Ich muss noch ein paar Dinge erledigen." Demetri gab mir zu verstehen, dass ich mich beeilen sollte. Schnell schnappte ich das Buch und lief ihm hinter her, da er bereits ein paar Schritte voraus gegangen war. Kaum befand ich mich wieder neben ihm , passte ich mich seinem Tempo an. „Wenn du in deinem Zimmer bist, bleibst du da solange drin, bis einer von uns beiden zu dir kommt und dich abholt. Morgen früh komme ich dann um dich für den Unterricht abzuholen. Denk dran, das Buch bis dahin mal anzuschauen." Das würde ich auf jeden Fall tun. Eine andere Beschäftigung als die Schule hatte ich ohnehin kaum. Dass ich nicht schlafen konnte, sorgte dafür, dass mir wesentlich mehr Zeit zur Verfügung stand.

Ich ging die ganze Zeit über stumm neben ihm her. Wir gingen gerade die Treppe hinunter, als mein Mentor plötzlich neben mir zu einem Eisblock zu gefrieren schien. Er rührte sich nicht, atmete nicht und gab ansonsten auch eher das Bild einer Statue ab. Im Bruchteil einer Sekunde änderte sich die komplette Situation. Er warf mich über die Schulter, riss die Tür zum Lehrerzimmer auf, dass sich direkt hinter uns befand auf, warf mich hinein und schloss die Tür ebenso schnell, wie er sie geöffnet hatte. „Bleib da drin und gib keinen Laut von dir!" flüsterte er so leise, dass ich ihn zwar verstand, aber jemand mit einem normalen Gehör direkt neben ihm wohl kaum etwas mitbekommen hätte.

Ich rappelte mich schnell auf und stellte mich hinter die Tür. Durch das Schlüsselloch konnte ich zwar nichts sehen oder riechen, aber ich konnte alles hören. Gespannt lauschte ich, wieso Demetri eben so komisch reagiert hatte.

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Nächsten Donnerstag erfahrt ihr,
was dort vor sich geht.
Das Kapitel ist bereits fertig, also könnt ihr
wahrscheinlich bereits gegen Mittag die
Fortsetzung lesen :)
Um euch die Zeit bis dahin zu vertreiben,
könnt ihr - wie auch die letzten Male -
eure Vermutungen äußern, wie es denn
weiter gehen könnte. Ich bin mal gespannt,
was ihr so denkt :D

Die Schule der angehenden WachenWhere stories live. Discover now