Noch ein Zwischenfall

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Demetri blieb vor der Tür stehen. Warum, konnte ich mir wohl denken. Er wollte wohl sicher gehen, dass ich auch nicht aus dem Lehrerzimmer raus kommen konnte. Angestrengt lauschte ich, doch noch konnte ich nichts hören. Vielleicht hatte er einfach seine Fähigkeit angewendet, von der Felix mir erzählt hatte.

Zunächst glaubte ich, dass ich mir die Schritte einbildete, aber als sie immer lauter wurden, war ich mir sicher, dass da gerade wirklich jemand kam. Diese Person machte nicht viel Krach, es musste also jemand Leichtes sein. Zudem ging diese Person sehr vorsichtig, wahrscheinlich schlich sie durch das Schulgebäude, aus Angst, jemand könnte sie oder ihn bemerken. Also durfte dieser Eindringling hier gar nicht drin sein – zumindest im Moment nicht. Wenn es sich also um einen der Schüler handelte, würde dies auch erklären, wieso Demetri mich versteckte und wieso er seine Gabe für diesen Menschen gebrauchen konnte, da er alle Schüler kannte.

Ich lauschte den immer näher kommenden Schritten. Mittlerweile konnte ich auch die etwas zu schnelle Atmung und das aufgeregte Herz hören. Plötzlich räusperte Demetri sich, um auf sich aufmerksam zu machen. Sofort erschrak die Person, was am Herzschlag besonders leicht festzustellen war. Zudem machte die Person einen großen Satz, rutschte aus und fiel auf den Allerwertesten. Ich musste mich noch immer zusammen reißen, um nicht laut zu lachen, als der dumpfe Aufprall längst wieder verhallt war. Abgesehen von dem panisch klopfenden Herzen und der flachen Atmung, nahm ich nur Demetri wahr, der sich in Bewegung gesetzt hatte, um dem Menschen aufzuhelfen. „Was tust du hier? Du weißt genau, dass du um diese Uhrzeit das Wohngebäude nicht zu verlassen hast!" Kaum stand der arme Schüler wieder auf den Beinen, musste er sich eine Standpauke anhören. Aber Demetri hatte Recht; wenn ich alleine gewesen wäre, wenn dieser Zwischenfall mit Giulia eben nicht gewesen wäre, dann wäre dieser Mensch jetzt wohl tot. Wenn sich später dann aber auch noch mehr Vampire tagsüber in der Schule aufhielten, würde das für jeden Schüler zur tödlichen Falle werden, der es tatsächlich wagt, gegen die Hausordnung zu verstoßen.

„I-ich..." stotterte die Schülerin panisch. Mir klappte die Kinnlade herunter. Natürlich hatte ich die Stimme sofort erkannt. Da hatte sich Jasmin, meine alle beste Freundin, doch tatsächlich verbotenerweise in das Schulgebäude geschlichen. Dabei hatte sie noch nie gegen die Regeln verstoßen! Was tat sie hier nur? Der Drang, das Zimmer zu verlassen, mich nach draußen zu stürzen und sie endlich wieder zu sehen, war verdammt groß. Nichts hätte ich in diesem Moment lieber getan. Aber die Angst, ihr weh zu tun, sie in Gefahr zu bringen oder sie gar zu töten, war noch größer. Ich setzte mich auf den Boden und lauschte dem Gespräch.

„Jasmin, ich frag dich zum letzten Mal: was machst du hier?" Demetri klang wirklich mehr als sauer. Meine Freundin war wirklich nicht der ängstliche Typ, aber ich wusste selbst nur zu gut, wie angsteinflößend dieser Vampir werden konnte. „Ich... ich wollte... nur mein Buch holen!" brachte sie schließlich heraus. Ihre Stimme zitterte. Es war kaum zu überhören, dass sie am liebsten geflohen wäre. „Wenn du deine Hausaufgaben die Nacht über nicht machst, ist das am nächsten Abend dein Problem! Aber das gibt dir noch lange nicht das Recht, am Tag das Wohngebäude zu verlassen und schon gar nicht, das Schulgebäude zu betreten!" fuhr er sie an. Sie tat mir unendlich leid. Ich konnte regelrecht hören, wie sauer mein Mentor gerade war. Würde er so mit mir reden, hätte ich vermutlich weitaus panischer reagiert, als Jasmin es im Moment tat.

„Es tut mir Leid." Sagte sie kleinlaut. Ihr Herz klopfte noch immer panisch. Merkwürdigerweise machte mir dies gar nichts aus. Vielleicht war unsere innige Freundschaft der Grund dafür, dass meine Sorge über meine Blutgier siegte. „Verschwinde von hier." Knurrte Demetri. „Wag es ja nicht, noch einmal denselben Fehler zu begehen. Das würde weitaus schlimmere Konsequenzen für dich haben, als dieses Mal. Um deine Strafe werde ich mich morgen kümmern." Noch immer hatte er sich kein Stück abreagiert. Er klang noch immer super gefährlich. Ich hoffte so sehr, dass er noch schwarze Augen hatte. Vorhin hatte ich überhaupt nicht darauf geachtet, obwohl sein Gesicht eine gefühlte Ewigkeit keine 20 Zentimeter von meinem Entfernt gewesen war, als er mich von der Frau abgehalten hatte.

„Okay." Jasmin antwortete ganz leise, zudem klang es so, als würde die gegen den Boden gerichtet sprechen. Sie traute sich sicher nicht mehr, ihm in die Augen zu sehen. Ganz ehrlich, hätte ich mich an ihrer Stelle auch nicht mehr getraut. Kaum hatte sie dieses eine kleine Wort ausgesprochen, rannte sie davon. Ich stand wieder auf und ging ein paar Schritte zurück, als Demetri sich wieder zur Tür bewegte, ehe er diese öffnete.

Noch immer sah er wütend aus. Obwohl diese nicht gegen mich gerichtet war, lief mir dennoch ein eiskalter Schauer über den Rücken. „Stell dich nicht so an, du weißt genau, dass ich nicht auf dich sauer bin." Brummte er und gab mir zu verstehen, ihm zu folgen. Schnell schnappte ich mir mein Buch und lief ihm hinter her.

„Ich will nichts hören. Ich habe keineswegs überreagiert. Du brauchst deine Freundin nicht in Schutz zu nehmen. Neugeborene wie du unterschätzen viele Situationen. Dadurch kommen dann einige Unfälle zustande, die bei normal denkenden Vampiren nicht vorkommen würden." Versuchte er sich zu erklären. „Ich kann mir vorstellen, dass kein menschlicher Schüler dieses Gebäude wieder lebend verlassen wird, wenn hier noch mehr Vampire sind. Ich hab ja eben selbst erfahren müssen, wie man auf den bloßen Geruch eines Menschen reagiert." Sagte ich. Daraufhin bedachte er mich mit einem skeptischen Blick. „Was denn?" fragte ich unschuldig nach. „Ich hätte nicht wirklich erwartet, dass du tatsächlich so vernünftig denkst, obwohl ich hier gerade deine beste Freundin fertig gemacht habe." Gab er zurück und hielt mir die Eingangstür auf. „Es dient ja nur zu ihrer eigenen Sicherheit. Vielleicht hätte ich sie sogar umgebracht, wenn ich alleine gewesen wäre. Dadurch, dass ich mich dann noch auf dem vorgeschriebenen Weg befunden hätte, wäre es dir vielleicht nicht so schnell aufgefallen." Demetri schwieg kurz, als würde er nachdenken. „Felix hat dir von meiner Fähigkeit erzählt, als ihr beiden alleine wart, was?" Er schien plötzlich etwas nachdenklich. „Ja. Ist das etwa ein Problem für dich?" fragte ich grinsend. „Nein, natürlich nicht!" lachte er. „Das erspart mir immerhin Arbeit, im Vergleich dazu, wenn du nichts davon wissen würdest." Ich wusste genau, dass er damit meinte, dass er so sicher gehen konnte, dass ich mich an die vorgeschriebenen Routen halten würde.

„Wenn du aber so vernünftig denkst, auch wenn es um deine Freunde geht – ich denke, du wirst ich mit der Existenz als Vampir recht schnell anfreunden." Ich wunderte mich nicht einmal mehr darüber, dass es das Thema so plötzlich wechselte. Ich hatte gerade keine besondere Lust darauf einzugehen. Das mit dem Themenwechsel hatte ich auch drauf. „Was wird ihre Strafe sein?" wollte ich stattdessen wissen. „Ach, nichts, was der Rede wert wäre. Sie darf entweder was im Schloss oder dem Schulgebäude putzen und zusätzlich Nachsitzen aufgebrummt bekommen." Okay, das klang wenigstens ganz human. Ich hatte schon wesentlich schlimmeres befürchtet. „Was würde denn passieren, wenn sie das wieder tut?" Ich bezweifelte, dass sie das wirklich machen würde, aber ich wollte mich mit den Strafmaßen vertraut machen. „Dann würde sie einen Tag im Kerker übernachten. Klingt dramatischer, als es ist, keine Sorge. Aber das sollte selbst bei Härtefällen fruchten." Daran zweifelte ich keinen Moment.

„Aber mal ernsthaft; als du dich so sehr gegen die Verwandlung gewehrt hattest, hab ich befürchtet, dass ich mit dir ganz schön was zu tun haben würde. Aber jetzt, nachdem du tatsächlich im Lehrerzimmer geblieben bist, obwohl ich nicht mehr vor der Tür stand und du offensichtlich deine Freundin erkannt hast, bin ich mir ziemlich sicher, dass du hier ziemlich schnell deinen Abschluss machen wirst und zur Wache aufsteigst." Demetri sah zu mir herunter. Eine Antwort erwartete er nicht, das sah ich ihm an. „Ich hatte einfach Angst, sie in Gefahr zu bringen. Immerhin ist sie meine Freundin." sagte ich wahrheitsgemäß. „Halten wir mal fest: du bist eine stink normale Neugeborene, die schneller dem Blutrausch verfällt, als Felix einen Vampir auseinander nimmt, aber dennoch bist du hin und wieder in der Lage, ganz vernünftig zu denken. Das wird dir noch ganz schön zu Gute kommen. Das wird aber auch vor allem Aro brennend interessieren." Da war ein merkwürdiges Funkeln in seinen Augen. War das etwa Stolz? War er tatsächlich stolz darauf, einen doch so ‚vernünftigen' Schützling wie mich zu haben? Hatte er etwa eine Wette mit Felix am Laufen? Wundern würde es mich wahrlich nicht. Ich verwarf den Gedanken schneller, als er gekommen war.

Mittlerweile befanden wir uns wieder im Abteil der Räume für uns Vampirschüler. Im Aufenthaltsraum blieb Demetri stehen. Ich blieb ebenfalls stehen und sah ihn an. „Ab hier kann ich dich wieder alleine lassen, da kein Mensch sich hier her traut." Erklärte er. „Die Angestellten wissen Bescheid?!" fragte ich entsetzt. Dass hier alle Vampire waren... War es nicht verboten, dass die Menschen von unserer Existenz wissen? Stand immerhin in dem dicken Wälzer in meiner Hand. „Genau aus diesem Grund arbeiten sie für uns. Sie wollen alle Vampire werden. Schaffen sie es aber nicht, uns zu überzeugen, landen sie auf der Speisekarte." Er sagte das so kalt, als wäre dies das alltäglichste überhaupt. Okay, war es für Vampire ja eigentlich auch. Wieso wunderte mich seine Aussage eigentlich noch?

„Also, ich lass dich dann mal alleine. Du kannst dich auch gerne hier unten aufhalten, nur darfst du diesen Bereich nicht verlassen. Du weißt ja, dass ich das schnell mitbekomme." Bemerkte er unnötigerweise, zwinkerte mir verschwörerisch zu, ehe er verschwand. Ich seufzte nur und ließ mich auf eines der Sitzkissen fallen, die auf dem Boden vor einem großen Fernseher lagen. Für heute hatte ich eindeutig genug erlebt. Jetzt wollte ich einfach nur meine Ruhe und einfach das machen, was man in meinem Alter am liebsten tut: chillen.

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Sorry, dass dieses Kapitel
erst so spät online geht, aber
ich komme mit dem Laptop nur
über's Kabel ins Internet.
Aus diesem Grund kann ich auch nicht
sagen, ob ich es schaffe, nächsten
Donnerstag das nächste Kapitel
hoch zu laden :/

Die Schule der angehenden WachenWhere stories live. Discover now