Der Schlossgarten

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  Nachdem ich die erste Staffel komplett durchgeschaut hatte, sah ich auf die große Uhr, die an der Wand hing. Es war schon ziemlich spät. Die Anderen hatten mittlerweile Mittagspause. Die zweite Staffel war zwar da, aber allein bei dem Gedanken, dass meine Freunde gerade Spaß hatten, zusammen saßen und irgendwelchen Blödsinn laberten, so, wie wir es immer getan hatten, verging mir die Lust an Allem.

Ich schnappte mein Buch und ging nach oben in mein Zimmer, nachdem ich die DVD verstaut und den Fernseher ausgeschalten hatte. Dort angekommen legte ich das Buch zu meinen Schulsachen in den Schreibtisch und ging zum Sofa. Hier drinnen war es ganz schön stickig. Lag vielleicht daran, dass das Mauerwerk verdammt alt war. Ich zündete eine der Vanille Duftkerzen auf dem Couchtisch an und warf mich auf das weiche Polster. Dort blieb ich einfach liegen und starrte an die Decke. Langsam erfüllte ein angenehmerer Vanille Duft den Raum. Obwohl ich mich nicht bewegte, fiel mir mein nerviger Pony immer wieder ins Gesicht. Schließlich setzte ich mich murrend auf und band sie zusammen, den Pony fixierte ich mit einer Klammer, die noch immer auf dem kleinen Tisch vor mir lag. Komisch, dass auch Vampire nicht von dem berühmten Bad-Hair-Day verschont blieben. Aber mir war es immer noch ein Rätsel, wieso die anderen Mädchen diese kleinen Klammern immer zu verloren. Ich wusste immer, wo meine sind. Schon als Mensch war das so. Aber mich sollte es nicht weiter stören.

Gerade als ich es mir wieder bequem gemacht hatte, hörte ich, wie sich Schritte näherten. Ich sprang auf, pustete in derselben Bewegung die Kerze aus und blieb starr, mit dem Blick immer in Richtung der Tür, stehen. Ein Blick auf den jetzt wohl arbeitslosen Wecker verriet mir, dass wieder Unterricht war. Zunächst hatte ich geglaubt, Demetri anhand der Schritte zu erkennen, aber da musste ich demnach falsch liegen. Für Felix war die Person viel zu leise, für einen Menschen ebenso. Zudem hätte ich dann einen Herzschlag hören müssen. Hieß es nicht auch, dass sie Menschen hier wussten, dass hier Neugeborene waren? Nur ein Dummkopf würde sich dann hierher wagen, wenn er Bescheid wusste.

Ich lauschte angestrengt, doch ich erkannte niemand anderen. Es musste Demetri sein. Aber er hatte doch im Moment Unterricht!

„Mach dir nicht ins Hemd, ich bin's. Felix hält gerade eine Spezialstunde in Selbstverteidigung." Erklärte eine körperlose Stimme, die all meine Zweifel, es könnte nicht mein Mentor sein, vernichtete. Ich entspannte mich sofort. Keine zwei Sekunden später stand er vor mir. Ich hatte keine Notwendigkeit gesehen, die Tür hinter mir zu schließen. „Aber was machst du dann hier? Ich hätte eher gedacht, dass du dann irgend etwas Besseres zu tun hast, als mich zu kontrollieren." Sprach ich meine Gedanken aus. Demetri blieb in der Mitte des Raumes stehen und sah mich an.
„Ich wollte dich gar nicht kontrollieren. Ich weiß immer, wo du gerade bist." Erinnerte er mich.
„Der weltbeste Stalker, was?" meinte ich scherzhaft.
Er lachte auf. „Oh ja. Warum ich eigentlich hier bin, ist, weil ich dich fragen wollte, ob du mit mir in den Schlossgarten kommen willst. Du hast den immerhin noch gar nicht gesehen. Bei Nacht ist der meiner Meinung nach noch schöner als am Tag."

Ich war etwas verwirrt über diese Frage, aber mir sollte es Recht sein. Ich meine, ich hatte wirklich keinen Plan, was ich tun sollte. Er schien meine Gedanken mal wieder von meinem Gesicht ablesen zu können, denn er gab mir zu verstehen, ihm einfach zu folgen. Auf dem Weg in den Garten herrschte dann aber wieder eine unangenehme Stille, die ich möglichst schnell brechen wollte.

„Dann sind die Anderen alle bei Felix in der Turnhalle?" fragte ich nach.
„Ja. Sie prügeln sich gerade gegenseitig grün und blau. Unter Aufsicht eines Lehrers." Lachte er.
„Bin ich froh, dass mir das erspart bleibt. Ich habe nämlich verdammt schnell blaue Flecken bekommen." Meinte ich scherzhaft.
„Das Vampirtraining kann aber auch beinhalten, dass du ein paar Körperteile verlierst."
Ich sah ihn schockiert an. So, wie er das eben sagte, meinte er das ernst.
„Ja, das meine ich ernst."
Ich schluckte schwer. „Wirklich?" fragte ich unsicher.
„Ja. Hat aber seine Gründe. Wenn Vampire miteinander kämpfen, neigen sie generell dazu, sich gegenseitig irgendwelche Gliedmaßen abzureißen. Im Training bekommst du beigebracht, wie man dann am Besten reagieren sollte. Versuche in so einem Fall immer, deine Körperteile wieder zu bekommen, bevor sie verbrannt werden. Kommst du mal mit einem Arm weniger zurück, werden dich die Meister ohne zu zögern beseitigen. Man kann abgerissene Körperteile auch ganz einfach wieder anbringen, keine Sorge. Bist du die Schmerzen dabei einmal gewöhnt, bringt dich das im Kampf auch nicht mehr aus dem Konzept." Während er mir all das erklärte, waren wir in dem Schlossgarten angekommen und all die angsteinflößenden Beschreibungen vergessen.

Ich war überrascht, wie schön dieser Garten bepflanzt war. Überall war es grün, und es wuchsen überall bunte Blumen. „Gefällt es dir hier?" fragte Demetri. Ich nickte stumm. Der Geruch der Pflanzen erfüllte hier die gesamte Luft. „Die Ehefrauen der Meister, Athenodora und Sulpicia, kümmern sich um den Garten hier." Er blieb hinter mir stehen und legte mir die Hände auf die Schultern. Als ich ihn daraufhin ansah, deutete er auf zwei Frauen, die gerade neue Blumen pflanzten. „Sind sie das?" fragte ich nach, nur um ganz sicher zu gehen. Er nickte nur.

„Komm mit, wir gehen da rüber. Von da aus hat meinen einen schönen Ausblick." Ich hatte die beiden Frauen stumm beobachtet und gar nicht gemerkt, dass er ein Stück weitergegangen war. Schnell lief ich ihm hinter her und setzte mich zu ihm auf die kleine, halb zerfallene, Mauer. Tatsächlich hatte man einen wahnsinnig schönen Überblick über die Landschaft um Volterra herum.

„Hast du dich mittlerweile mit deiner Situation abgefunden?" Brach Demetri das erneute Schweigen. Ich schüttelte den Kopf. „Damit, dass ich ein Vampir bin, ja, damit habe ich mich abgefunden. Aber nicht mit der Tatsache, dass ich mich weder mit meinen Freunden noch mit meinen Eltern treffen darf, geschweige denn, sie kontaktieren darf. Was habt ihr eigentlich meinen Eltern erzählt? Immerhin darf ich in den Ferien nicht nach Hause."
„Das hier ist jetzt dein Zuhause." Erklärte er mir und sah mich dabei ernst an. „Das war anfangs für keinen von uns leicht, aber du wirst dich daran gewöhnen, versprochen." Er wich meiner Frage nach meinen Eltern also aus.
„Und was wissen meine Eltern?" wollte ich energisch wissen.
Demetri seufzte nur und zog etwas aus seiner Manteltasche. Er gab mir einen Zeitungsartikel. „Den wollte ich dir heute noch vorbeibringen." Ich faltete das Stück Papier auseinander und begann zu lesen.

Der Artikel berichtete von einem Internat in Italien. Die wenigen Schüler die dort unterrichtet wurden, begaben sich auf einen Ausflug. Der Bus hatte einen Unfall. Den Rest wollte ich gar nicht lesen. Dort standen in Form einer Todesanzeige alle Schüler, die bereits aussortiert worden waren. Dass mein Name auch darunter war, konnte ich mir denken, ohne hin zu sehen.

Ich faltete den Artikel wieder zusammen und gab ihn Demetri stumm zurück. „Habt ihr meinen Eltern einen Brief geschrieben?" fragte ich. „Ja, hab ich. Da ich für dich verantwortlich bin, ist es meine Aufgabe gewesen, deine Eltern von deinem Tod zu unterrichten."
Ich konnte mir nicht erklären, woher plötzlich diese Wut kam. Ich wusste nicht einmal, auf wen ich wütend war. Auf Demetri, der meine Eltern belogen und mich für tot erklärt hatte, oder dass er mich verwandelte.
Auf die Rektoren der Schule, die diesen ganzen Scheiß überhaupt ins Rollen gebracht hatten. Auf meine Eltern, die mich gezwungen hatten, hier her zu kommen, obwohl ich mich geweigert hatte. Auf mich selbst. Ich hätte mich wehren können. Ich hätte weglaufen können. Ich hätte niemals etwas sagen können und meine Gedanken einfach für mich behalten können.

„Hey, ganz ruhig. Reg dich nicht auf. Und schon gar nicht hier. Wenn die Meister erfahren, dass du dich nicht im Griff hast, kann ich auch nicht mehr viel für dich tun." Das, was mein Mentor gerade versuchte mir klar zu machen, war mir gerade verdammt egal. Ich versuchte, zumindest äußerlich, möglichst ruhig zu bleiben, spürte aber, dass immer mehr Wut in mir hoch kochte, ohne, dass ich etwas dagegen unternehmen konnte. Ich steigerte mich immer weiter in die ganzen Vorwürfe hinein. Vor allem in die, die ich mir gegenüber hatte.

Plötzlich wurde ich am Arm gepackt, reflexartig entriss ich der Person meinen Arm und begann zu knurren. Erst, als Demetri hinter mir stand, die Hände schmerzhaft auf den Rücken drehte und mir den Mund zuhielt, wurde ich so richtig sauer. Ich konnte einfach nicht begreifen, dass ich dafür bestraft werden sollte, dass ich es nicht zulassen wollte, dass man mich festhält!

Mit einem einzigen, kräftigen Ruck versuchte ich mich zu befreien, aber das Gegenteil war der Fall. Demetri knurrte mir leise, aber bedrohlich ins Ohr, ehe er mich mithilfe eines Beines von meinen Beinen riss und auf den Boden presste. „Du beruhigst dich jetzt lieber wieder ganz schnell. Ich will dich hier nicht auseinander nehmen!" Ich brummte leise vor mich hin. Mit dem Ganzen war ich wirklich alles andere als zufrieden, aber ich wollte wirklich nicht, dass Demetri mir irgendetwas abriss, ganz so, wie er es mir zuvor erklärt hatte. Mein Selbsterhaltungstrieb siegte eindeutig über meine Wut und ich spürte, wie ich langsam wieder runterkam.

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Rakete 2:
Ich hoffe, dass euch das kleine Kapitel
gefallen hat :)
Wir sehen, bzw. lesen uns morgen wieder :D  




Die Schule der angehenden WachenOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz