Praxis

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Noch bevor ich irgendetwas anderes wahr nehmen konnte, schlug mir ein Geruch entgegen, der mich wirklich alles um mich herum vergessen ließ. Gleichzeitig loderten die Flammen in meiner Kehle noch viel heißer auf, als jemals zuvor. Mechanisch griff ich mir wieder an den Hals. Ein merkwürdiger Laut war zu hören. Erst im Nachhinein begriff ich, dass es ein leises Wimmern gewesen war, dass aus meiner Kehle kam.

Es roch so furchtbar köstlich. Ich konnte nicht sehen, von wo genau dieser Duft ausging, aber ich wusste genau, in welche Richtung ich hätte laufen müssen. Ich müsste nur meine Zähne in die weiche Haut schlagen, um an das süße, warme Blut zu kommen... Instinktiv versuchte ich mich von Demetri loszumachen. Kaum bemerkte er mein Vorhaben, verstärkte er aber seinen Griff. "Felix, komm raus." Während er das sagte, ließ er meine Hand los, hielt mich aber schon grob an den Schultern fest. "Lass mich los." flehte ich leise. "Gleich. Warte noch kurz." flüsterte er mir zu. Ich wusste nicht, worauf ich warten sollte. Ich wollte mich nur noch auf den Menschen stürzen und sein Blut trinken. Ich wurde immer unruhiger, je länger ich mich in diesem Raum befand. Der süße Geruch erfüllte die ganze Luft und trieb mich schier in den Wahnsinn. Meine Kehle brannte so furchtbar schmerzhaft, dass es mir mittlerweile schwer fiel, mich auf den Beinen zu halten. Demetri schien dies zu spüren und drückte mich an sich. "Es ist gleich vorbei." versprach er. Solange er mich so hielt, würde ich mich so schnell nicht befreien können.

Noch bevor ich Felix sah, hörte ich seine Schritte. Irgendetwas bewegte sich bei ihm, die Geräusche konnte ich nicht zu ordnen. Bis auf eines. Ich hörte den schnellen Herzschlag eines Menschen, der offenbar gerade panische Angst hatte. Der Herzschlag war nicht so schlimm wie die Hitze die von der Person ausging. Als ich sie sah, verstärkte sich der Drang, diesen Menschen einfach anzufallen und sein Blut zu trinken nochmals. Der Geruch des frischen Blutes breitete sich noch weiter in dem gar nicht mal so kleinen Trainingsraum aus. Also mussten die Beiden zuvor in einem Nebenraum gewesen sein und sich hier nur kurz aufgehalten haben. Schnell schob ich den Gedanken beiseite und fixierte nur noch meine Beute. Bereits von hier konnte ich die Halsschlagader pulsieren sehen. Allein dieser Anblick trieb meine Gier ins Unermessliche.

Ich wurde immer unruhiger. Ich wollte nur noch trinken und meinen brennenden Durst löschen. Demetri verstärkte seinen Griff nochmals. Felix ließ den Menschen in der Mitte des Raumes fallen. Er fiel hin, versuchte sich mehrmals panisch aufzurappeln, rutschte aber immer wieder aus und fiel erneut hin. Das war mir alles sowas von egal. Ich wollte nur an das Blut ran kommen. Wieder versuchte ich mich aus Demetris Griff zu befreien. "Sieh ihn dir nicht zu genau an, verlass dich auf deine Instinkte." Ich nahm Demetris Worte nur noch am Rande meines Bewusstseins wahr. Alles in mir war auf den Menschen fixiert. Plötzlich spürte ich, wie sich sein Griff lockerte. "Denk an das, was wir eben durchgegangen sind." sagte Demetri noch, ehe er mich gänzlich los ließ.

Ich wusste nicht, wie ich die Distanz überbrückt hatte, aber das spielte keine Rolle. Bevor der Mensch wirklich bemerkt hatte, dass ich mich in Bewegung gesetzt hatte, war ich bereits bei ihm, riss seinen Kopf hoch und biss ihm in den Hals. Dabei traf ich genau die Schlagader. Wahrscheinlich hatte ich viel fester zugebissen, als nötig gewesen wäre. Ich nahm nur am Rande wahr, wie mein Opfer schrie und versuchte sich gegen mich zu wehren. Ich saugte gierig jeden noch so kleinen Blutstropfen aus seinem Hals.

"Hey, Arina, du kannst so viel saugen wie du willst, er ist längst blutleer. Lass ihn los." Ich hatte nicht bemerkt, wie er in meinen Armen gestorben war, geschweige denn, dass Demetri an mich heran getreten war und versuchte, auf mich einzureden. Sofort ließ ich ihn fallen, sprang auf und starrte den leblosen, blassen Körper zu meinen Füßen an. Ich konnte nicht begreifen, was ich da soeben getan hatte. Gerade als ich begann, sein Gesicht zu betrachten, zog Demetri mich wieder weg, Dabei drehte er mich so, dass ich der Leiche den Rücken zudrehte und ihn ansah. Er öffnete gerade den Mund um irgendetwas zu sagen, als ich bereits wieder dasselbe wahrnahm wie zuvor: einen Herzschlag, die Hitze die vom pulsierenden Blut ausging und natürlich dieser süße Duft. Dieses Mal roch es allerdings ein wenig anders und es gab ein merkwürdiges Echo. Ich spürte, wie mich wieder diese unbändige Gier überkam. "Du kommst drüber hinweg." versprach mein Mentor, ehe er mich wieder los ließ.

Ich stürzte mich zunächst auf den Menschen, der mir näher war. Mich interessierte so ziemlich gar nichts mehr, abgesehen von dem Blut. In gefühlter Rekordzeit leerte ich beide Körper bis auf den letzten Tropfen. Kaum war der dritte Mensch blutleer, ließ ich auch die Frau fallen und richtete mich wieder auf. "An deiner Zeit könnten wir noch ein bisschen arbeiten, aber du bist sehr sauber." bemerkte Felix spitz. Ich sah ihn etwas perplex an, er fing daraufhin nur an schallend zu lachen. "Du solltest nicht alles ganz so ernst nehmen, was Felix sagt. Er redet viel Mist. Vor allem versucht er gerne die Neuen zu verarschen." Demetri kam zu mir, legte mir schon fast freundschaftlich eine Hand auf die Schulter und warf Felix einen gespielt bösen Blick zu, was diesem wiederum noch mehr Anlass dazu gab, zu lachen. Auch Demetri musste lachen, nur ich nicht. Das war einfach ziemlich viel auf einmal.

Als die Beiden sich wenige Sekunden später wieder gefangen hatten, schob Demetri mich sanft in Richtung der Tür. "Felix, du räumst hier mal auf." Ich blieb stehen und drehte mich um. Felix schnappte alle drei Leichen, stapelte diese auf seinen Armen, als wären sie bloß nasse Handtücher. "Was passiert jetzt mit den Leichen?" fragte ich an meinen Mentor gewandt. Ehe dieser antworten konnte, mischte sich Felix ein: "Willst du mir helfen?" Dabei grinste er breit. Es wahr wohl kaum zu übersehen, dass er nicht damit rechnete, dass ich mir das Ganze schon gerne ansehen würde. Ich hoffte, dass ich somit vielleicht auch irgendwann eine gewisse Routine bekommen würde, dann hätte ich nicht so ein schlechtes Gewissen, wenn ich einem Menschen das Leben genommen hatte.

"Gerne." antwortete ich und genoss, wie verdutzt Felix mich daraufhin ansah. "Das war nicht ernst gemeint, Arina." sagte Demetri. Auch er war reichlich verwirrt über meinen plötzlichen Sinneswandel. "Wieso nicht? Ich muss mich schließlich daran gewöhnen, Menschen zu töten. Vielleicht hilft das ja dabei." erklärte ich. Demetri sah mich ungläubig an. "Das bezweifle ich. Aber wenn du dir das angucken möchtest; ich halte dich nicht auf." sagte er und wandte sich an Felix. Offensichtlich waren die beiden wirklich gute Freunde. "Willst du sie mitnehmen?" fragte er nach. "Klar, wieso nicht. Ich bin mal gespannt, wie sie darauf reagiert." Breit grinste Felix mich an. "In Ordnung, dann gehst du mit ihm mit, ich muss noch etwas anderes erledigen. Felix, verdirb sie mir nicht." Demetri warf ihm einen mahnenden Blick zu, als dieser nur breit grinste und versuchte, möglichst unschuldig zu gucken. Mein Mentor seufzte nur, drehte sich um und gig zur Tür heraus. Auf der Schwelle blieb er nochmal kurz stehen und drehte sich nochmal um. "Wenn ihr fertig seid, dann gehst du nochmal ins Klassenzimmer, holst dein Buch und gehst dann direkt wieder in dein Zimmer. Keine Umwege, ich weiß immer, wo du dich gerade aufhältst." warnte er und verschwand. Verwirrt sah ich zu Felix hoch. "Was meint er damit?" fragte ich nach. Felix deutete mir, ihm zu folgen, was ich auch sofort tat. "Das ist Demetris Gabe. Wenn er jemanden getroffen hat, weiß er immer, wo sich diese Person aufhält, auch die Menschen, die diese Person kennt. Ist manchmal etwas nervig, weil man ihn so nie ärgern kann, aber es hat wirklich mehr Vor- als Nachteile. Man gewöhnt sich daran. Aber es ist dir auf jeden Fall zu raten, dich an das zu halten, was er dir sagt. Gerade dann, wenn du zu einem bestimmten Ort gehen sollst. Er kann ziemlich sauer werden." Ich hörte ihm stumm zu. Zu seinem letzten Satz könnte ich jetzt zwar was sagen, aber ich hielt lieber die Klappe. Nur ungern erinnerte ich mich an seine Standpauke, die er gleich am ersten Unterrichtstag gehalten hatte, als alle anderen sich erst ziemlich spät zum Unterricht bequemt hatten. "Ich weiß, ich kann das auch. Aber glaub mir; du hast noch lange nicht alles gesehen, was wir was das angeht so drauf haben." gab er zu.

Wieder hatte ich längst die Orientierung verloren, als es begann, merkwürdig zu riechen. "Was riecht hier so komisch?" fragte ich nach. "Siehst du die Tür da unten, am Ende der Treppe?" Ich blickte den schier endlos langen Gang entlang. An dessen Ende führte eine Treppe noch weiter ins Erdreich hinunter. Anschließend führte ein ungefähr drei Meter langer Gang zu einer massiven Tür. "Ja." antwortete ich. "Dort unten entledigen wir uns den ganzen Leichen. Oftmals bleiben ein paar davon liegen, weil nicht alle rein passen. Das kommt allerdings nur dann vor, wenn Heidi wieder da war. Die Leichen werden immer so schnell wie möglich weggeschafft. Den Geruch hält kein Vampir lange aus, wenn die zu verwesen beginnen." Felix beobachtete genaustens meine Reaktion. Ich versuchte mir nicht anmerken zu lassen, dass ich meine Entscheidung mitzukommen gerade schwer bezweifelte. "Würden da noch welche rum liegen, würde es noch viel schlimmer stinken." meinte er.

Mittlerweile standen wir oben an der Treppe. Ich ging Felix etwas zögerlich hinter her. "Wenn es dir zu viel wird, dann gehst du einfach wieder zurück. Du weißt ja, wo du dann hin sollst." Vor der Tür blieb er stehen und drückte gegen die Tür. Allerdings gab diese nicht nach. "Wer hat die denn schon wieder abgeschlossen?" brummte Felix verärgert und hielt mir den Stapel Leichen hin. "Halt mal." Verwirrt sah ich ihn an. "Wie soll ich die denn alle halten können?" Die waren doch viel zu schwer! "Streck die Arme aus." Ich tat widerwillig, was er mir auftrug. Er legte mir alle drei Leichen auf die Arme. Noch hielt er sie, aber ich machte mich darauf gefasst, gleich auf den Haufen drauf zu fallen, wenn ich unter dessen Last zusammen brechen würde. Aber ich hielt dem Gewicht stand. Ich wusste zunächst gar nicht, dass er sie losgelassen hatte. Ich realisierte dies erst, als er gerade die Tür aufschloss. Er steckte den Schlüssel wieder weg und nahm mir die Leichen wieder ab. "Du hast nicht gewusst, dass du so stark bist, oder? Das ist als Vampir normal." Ich erwiderte nichts mehr. "Mach dich auf komischen Geruch gefasst." meinte er grinsend, als er gegen die Tür trat und diese aufsprang. Vorsorglich hörte ich auf zu atmen.

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Das war's dann auch mit diesem
Kapitel :)
Ich hoffe, es hat euch gefallen, und ihr
seid schon gespannt darauf, wie es
nächsten Donnerstag weiter geht :D

Die Schule der angehenden WachenWhere stories live. Discover now