Wo ist dieser Drachenreiter?

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Langsam überwog bei ihr die Verzweiflung. Sie kauerte immer noch hier in der dunklen Ecke der Zelle und rührte keinen einzigen Muskel. Ihr war kalt. Sie zitterte. Bestimmt waren sie weiter in Richtung Norden gefahren, dort wo diese Barbaren herkamen, und es wagten, ihr geliebtes Schottland zu schänden. Merida war außer sich. Aber was konnte sie anderes ausrichten. Sie war hier auf diesem riesigen Schiff, angekettet wie ein reudiger Köter und wartete darauf, dass jemand wieder zu ihr herunter kommen würde.
Schon lange kam keine Wache mehr in ihre Zelle, um ihr das Wasser zu wechseln oder neues zu geben. Auch das Brot, welches noch übrig war, da sie eh keinen einzigen Bissen herunter bekam, rührte sie nicht mehr an. Zu groß war der grünlich wirkenden Schimmelpilz darauf geworden. Man konnte förmlich zusehen, wie dieses pelzige Geflecht aus Sporen den Laib in sich hüllte und das restliche an Nährstoffen, die eigentlich für die junge schottische Prinzessin gedacht waren, in sich einverleibte.
Ihr Kleid waren schon lange verdreckt und zerrissen. Es waren nur noch Fetzen übrig geblieben, die sie nur dürftig von der Kälte schützten und dem ein oder anderen einen Blick auf sie gaben. Denn manchmal kam ein Soldat herbei, der nur nach ihr lechzte. Zum Glück war da doch dieser Hicks. Das war schon Ironie. Dieser junge Mann von gerade mal zwanzig Jahren, der ihr so geliebtes Land erobert hatte, verbot seinen Männern, sich an den gefangenen Frauen zu vergreifen. Das war schon merkwürdig, denn sie kannte mehr als genug Geschichten, in denen Frauen von Wikingern vergewaltigt worden waren. Das war aber auch das einzig positive an diesem braunhaarigen Kerl, der wohl nichts anderes kannte, als andere Völker zu erobern und sie sich ein zu verleiben.
Sie zog sich weiter in die Ecke der Zelle zurück. Ein Windstoß brachte sie wieder zum Zittern und bescherte ihr eine Kälte, die sie denken ließ, dass sie wohl nie dieses Gefängnis erreichen würde. Merida dachte an den Tod. Sie würde sicher hier erfrieren oder verdursten, denn es hatte sich schon eine Eisschicht über dem verdeckten Wasser gebildet, die immer dicker zu werden schien. Die schottische Prinzessin wusste, dass wenn sie nicht bald dort ankommen würden, wo es zur Hölle auch immer lag, dann würde sie hier in dieser Zelle auf diesem Schiff zu Grunde gehen.
Den Heerführer der Wikinger würde das sicher freuen, aber obwohl. Sie war eine Art Faustpfand für ihn gewesen. Sie durfte gar nicht sterben. So bizarr es auch klang, dieser Hicks durfte ihr gar nichts antun, oder jedenfalls jetzt noch nicht. Aber trotzdem. Er könnte sie immer gerade so am Leben belassen, was wohl schlimmer wäre, als tausend Tode zu sterben. So betrübte sich der kleine Hoffnungsschimmer wieder und Merida sackte wieder zu Boden. Ihr Blick war nach unten gerichtet. Auf die Dielung. So lange war sie hier schon eingekerkert, dass sie wohl das Muster jedes einzelnen Brettes auswendig kannte. Wo man sich die scharfen und schmerzhaften Splitter einzog, wenn man nicht aufpasste und wo es am angenehmsten war zu liegen und wo nicht. Diese Zelle war ihr vorübergehendes zu Hause geworden. Doch schon bald würde sie irgendwo anders hinkommen. Hicks hatte ja etwas von seiner Hauptstadt erzählt, oder die von dem, für den dieser Drachenreiter mit dem schwarzen Drachen arbeitete.
Das war ihr eh sehr skurril vorgekommen. Zwar schien dieser Hicks sie und die anderen Schotten zu hassen wie die Pest, doch war es auch komisch, dass er so freundschaftlich mit seinem Drachen und den Männern teilweise umging. Aber besonders bei diesem Nachtschatten. Sie waren fast wie Brüder, die sich blind verstanden und vertrauten. Es war schon komisch. Und sicher auch ein Vorteil für Merida, denn solch ein Mensch konnte niemals durch und durch böse sein, so wie er mit Drachen umging, als wäre er einer von ihnen.
Dann auf einmal rührte sich etwas. Merida hörte wieder Schritte. War es der Soldat, der sie gerne begaffte, oder doch Hicks, der sie noch einmal erschrecken wollte. Genau wusste sie es nicht, aber auf jeden Fall kam da jemand, und wie sie bald hören konnte nicht allein. Nach den Schritten waren es sicher mehr als zwei Männer ihrem Urteil nach.
Tatsächlich traten drei Soldaten von Hicks an die Zelle heran. Sie waren bis an die Zähne mit Schwertern und Dolchen bewaffnet. Der eine hatte eine Fessel in der Hand, so eine, wie man sie auch benutzt hatte, als man sie hierher in diese Zelle gesperrt hatte. Sie würde also wieder irgendwo hin gebracht werden, nur wo war die Frage.
„So Prinzessin. Mitkommen!", sprach einer in einem fordernden Ton und wies die anderen beiden Soldaten an, die Zelltür zu öffnen. Schlüssel klapperten und die Tür quietschte, als man sie öffnete. Der Mann in schwarzer Lederrüstung trat ein, befestigte die mobile Fessel an Meridas Handgelenken und Knöcheln und befreite sie von den anderen Ketten. „So meine kleine. Unser Anführer möchte dir etwas zeigen. Wir legen nämlich bald an und da will er dir ein kleines Geschenk bereiten." Mit einem hämisch fiesen Grinsen, das bis ins Mark der jungen Prinzessin drang und sie aufs tiefste erschaudern ließ, zog er schließlich an den Ketten, sodass es zu folge hatte, dass sie fast hin gefallen wäre. Merida rappelte sich aber noch. Der Mann ergänzte nur noch: „An Deck mit ihr. Lord Haddock erwartet sie schon!" Der Befehl kam grob, doch befolgten die beiden anderen Männer ihn und schleppten sie fort.
Merida befürchtete nur jetzt, was Hicks mit ihr anstellen würde wollen. Hatte er die Anweisung gegeben, sie nicht zu vergewaltigen, weil er es selbst tun wollte? Hatte dieser Mann doch keinen guten Kern in der Seele? Nein, das konnte auch nicht sein. Sie sollte ja an Deck geschafft werden und nicht in seine Kajüte. Sicher wollte er Merida etwas zeigen, was sie sehen sollte. Oder man würde sie über Bord schmeißen. Das wäre wohl die grausamste Art und Weise, einen Menschen jetzt zu töten. Im eiskalten Salzwasser würde es sich anfühlen, als ob tausend Nadeln in den Körper stechen würden. Nach nur drei Minuten des quälend stechend kalten Schmerzes dann würde, der Körper den Geist aufgeben und die schottische Prinzessin wäre eine blasse auf dem Wasser treibende Leiche, an der sich die Fische, die in diesen Gewässern überleben konnten, satt fräßen.
Sie stellte sich die schlimmsten Gedanken vor, doch wusste sie genau auch nicht, was sie an Deck erwarten würde.
Immer weiter schleifte man die junge rothaarige Prinzessin durch die unzähligen Gänge des Schiffes, bis endlich eine Treppe in Sicht kam. Stufe für Stufe quälte sie sich weiter hoch, bis man schließlich die Tür an Deck öffnete. Grelles Licht blendete in ihren Augen und machte ihr das Sehen nicht gerade leicht. Sie war so lange unten in dieser dunklen Zelle gewesen, dass ihre Augen nicht einmal das flackernde und warm wirkende Licht der Öllampen ertragen konnten, die die Wärter und Soldaten mit sich führten. Und jetzt auf einmal dieses grelle Sonnenlicht. Das konnte sie nicht ertragen. Sie wandte schreckhaft ihren Kopf ab und versuchte dem Licht zu entfliehen. Vergebens. Der Wärter schubste sie nach vorne und schrie: „Los weiter! An Deck mit dir!"
Merida hatte keine andere Wahl. Sie musste weiter. Also tat sie einen Schritt nach dem anderen. Stufe um Stufe erklomm sie die Treppe, bis ihr Körper gänzlich im Tageslicht befand. Sie war an Deck. Es war auch nicht mehr so schlimm mit dem Licht, nur brauchte sie enorm viel zeit, um sich wieder an diese Verhältnisse zu gewöhnen.
Kurz sah sie sich um. Es war viel Los an Deck. Die Männer stellten Rampen beriet, um sicher bald beim Anlegen das Schiff verlassen zu können. Die Segel wurden gerefft und sonst war sehr viel los hier. Nur ein Mann und sein Drache bewegten sich nicht. Er Kerl mit den braunen Harren und grünen Augen, der einfach nur am Bug des Schiffes stand und in die Ferne schaute. Der Wind weht leicht durch seine Haare und bewegte diese. Auch sein Drache schaute gebannt auf den Punkt, den Merida noch nicht klar erkennen konnte.
„Los weiter!" Der Mann hinter ihr gab ihr einen Ruck, damit sie sich endlich weiter bewegen sollte. Schritt um Schritt näherte sie sich Hicks, der immer noch gebannt auf den Horizont starrte und nicht einen Muskel bewegte. Es dauerte bei dem großen Schiff noch eine halbe Minute, dann stand sie direkt hinter ihm. Der Mann, der sie her gebracht hatte sprach nur demütig vor seinem Heerführer: „Mein Herr. Hier ist die Prinzessin, wie ihr gewünscht hattet." Hicks schwieg immer noch. Er rührte sich einfach nicht. Erst nach einer knappen Minute und der großen Verwunderung aller beteiligten sagte er: „Gut Herr Hauptmann. Machen sie alles weitere zum Anlegen bereit. Der Heimathafen ist nicht mehr fern. Wegtreten. Mit Merida komme ich alleine zurecht." Ganz nach dem Befehl räumte der Mann das Feld und überließ Hicks die Stellung. Der bewegte nur folgend seine rechte Hand und signalisierte Merida, dass sie zu ihm kommen sollte.
Als sie neben an seine Seite trat, konnte sie Hicks starren Blick erst wahrnehmen. Als hätte man ihn aus einem Stück Holz geschnitzt, blickte er steif nach vorne. Nur der Nachtschatten Ohnezahn kreuzte den Blick mit der schottischen Prinzessin und fing an zu knurren, was Merida wiederum veranlasste, ein Stück zurück zu weichen.
„Er wird dir nichts tun, so lange es ich ihm nicht befehle. Aber werde ich nicht immer da sein, wenn Ohnezahn bei dir sein sollte. Ich würde mich in Acht nehmen.", gab er von sich und bewegte endlich seinen Kopf zu Merida, um ihren Blick zu kreuzen. Seine Stimme war monoton und streng. Fast als würde er gar kein Mensch sein. „Sieh dort. Da wird man dich hinbringen. Das ist Drakenburg. Die größte Stadt Nordeuropas und mein Verdienst an die Menschheit. Hier treffen Kunst Kultur und Handel aufeinander in Dragos geeintem Großreich. Schottland wird auch bald davon profitieren, wenn du dich benimmst!" Sein Tonfall wurde wieder strenger zum Ende hin. Merida machte dies ein wenig Angst. Aber da war noch etwas anderes.
Als sie ihren Blick nach vorne richtete, bemerkte sie erst jetzt, dass vor ihnen eine riesige Festungsstadt lag. Die Mauern waren gigantisch und in der Form eines zehn zackigen Sternes geformt worden. Mitten drin ragte aus der gigantischen Stadt eine riesige Burg hervor, die alles überragte. Merida war erschüttert. So etwas hatte sie noch nie gesehen und noch schlimmer war, es flogen viele Drachenreiter hier...

Eret konnte sich nur noch an sehr wenig erinnern. Es war viel geschehen in den letzten Tagen. Deprimierendes und dann dieses grauenhafte Finale von diesem komischen Drachenreiter. Sein Drache war ihm genommen worden und dann auch noch er. Ihn hatte man verschleppt. Das war gar nicht gut. Was würde denn seine Mannschaft ohne ihn machen? Er war doch ihr Kapitän und musste für sie sorgen.
Still war es um ihn, als er langsam wieder zu sich kam. Eret konnte ein Feuer prasseln hören. Als er die Augen öffnete, konnte er sehen, die das warme Licht von den Flammen an den Felswänden einer Höhle zurück geworfen wurde. Er war verwirrt. „Wo bin ich hier? Und was ist mit mir geschehen?", fragte er zu sich selbst, als er sich umschaute. Doch ein brennender Schmerz hinderte ihn weiter daran. Es stach auf seiner Brust und brannte, als ob der schwarze Reiter noch einmal sein Brandeisen auf seine haut an die selbe Stelle gejagt hatte. Es war sehr schmerzhaft.
Aber Eret biss die Zähne zusammen und brachte sich in eine sitzende Haltung. Erst jetzt bemerkte er dabei, dass er auf eine Art Bett lag, dass mit vielen Fellen gepolstert worden war. Dann auf einmal aber eine Stimme.
„Oh du bist wach. Schau Wolkenspringer...unser Reiter ist wach geworden." Eret schaute sich noch einmal um. Aber erschrak er zutiefst, als er DAS sah. Eine Frau mit braunen Haaren, die schon leicht mit grauen Strähnen durchsetzte waren, kam in Gefolge dieses gigantischen und braunen Drachens näher. Es war derselbe, der sie doch vorhin angegriffen hatte, oder täuschte sich der gewitzte Drachenjäger von allen da? Er konnte es nicht genau wissen.
Es kam schwer aus ihm heraus, doch schon bald formten sich in seinem Mund erste Worte: „Wer...wer bist du und wo...wo ist dieser Drachenreiter?" Aber die Frau fing bei der Frage nur an zu lachen...

The Dark RiderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt