Erkenntnis

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Nach wenigen Minuten hatte Astrid wieder die Augen geöffnet. Sie konnte immer noch nicht glauben, was sie eben gehört hatte. Diese ältere Frau soll Hicks Mutter und die Frau von Haudrauf sein? Diese wurde doch bei einem Angriff der Drachen verschleppt. Alle Versuche, sie zu finden, waren gescheitert und sie wurde schließlich für tot erklärt.
„Das kann nicht sein." Astrid nahm einige Schritt Abstand von den beiden. Valka versuchte es ihr zu erklären, aber irgendwie schien die blonde Wikingerin nicht recht verstehen zu wollen. Astrid war heute schon viel zu viel passiert und das Hicks längst tot geglaubte Mutter jetzt wieder lebendig vor ich stehen würde, war das Sahnehäubchen auf dem Kuchen der verrückten Ereignisse an einem Tag.
„Doch ich bin Hicks Mutter. Lange habe ich mich um das Wohl der Drachen gekümmert und dabei meine Heimat vergessen, doch erst durch Eret neben mir, habe ich erfahren, welch Schicksal Hicks getroffen hat. Und ich werde ihn wieder zur Vernunft bringen."
Worte, die Astrid sich vor wenigen Stunden noch selber eingeredet hat. Und dann kam Hicks, der mit einem Schlag ihre Vorstellungen zunichtemachte. Sie schüttelte den Kopf.
„Nein, nein. Hicks kann nicht mehr bekehrt werden. Ich habe lange auf ihn gewartet. Ich habe ihn geliebt und dann hat er mich abserviert und beleidigt. Ich glaube kaum, dass sie etwas ausrichten können. Wenn sie überhaupt Hicks richtige Mutter sind." Wieder ronnen die Tränen aus Astrids Augen. Sie hatte viel zu viele Schmerzen, als dass sie jetzt noch Hoffnung schöpfen könnte.
„Astrid. Vielleicht war eine Person nicht stark genug gewesen. Aber wenn du, Haudrauf und ich es versuchen und Hicks wieder von Drago abwenden können, dann würde die Macht dieses alten Herrschers zerfallen. Das Imperium würde zerbrechen und der Frieden würde wieder über alle Archipele des Nordens einkehren." Valka versuchte ihr die Dringlichkeit zu verdeutlichen. Astrid schien aber nicht sehr begeistert. Immerhin sah sie diese Frau zum allerersten Mal. Sie konnte nicht sagen, ob sie wirklich Hicks Mutter war. Aber nach alle den verrückten Dingen, die heute passiert sind, konnte das kaum noch gesteigert werden. Also versuche die blonde Wikingerin mal zu glauben, dass Hicks Mutter vor ihr stand.
Und der Plan schien der einzige Weg zu sein, Hicks wieder auf ihre Seite zu ziehen. Haudrauf war sehr passiv gewesen, als sich Astrid mit Hicks konfrontiert sah. Wenn Diese Frau, sie und Haudrauf es versuchen würden, wäre eine Chance in Sicht. Hoffentlich, denn ohne einen Hicks, der so böse war, könnte Astrid es nicht weiter ertragen zu leben.
„Na gut. Ich glaube ihnen mal. Aber wehe, wenn das hier eine Falle von Hicks ist, dann werde ich euch persönlich in Stücke hacken." Valka lächelte nur: „Die Hoffersons. Doch alle gleich in der ganzen Familie. Deine Tante war in meinen Alter nicht anders." Das machte Astrid stutzig. Ihre Tante war wirklich so. Wie konnte die Frau das denn wissen? Dass es sich hierbei um Hicks Mutter handelte, schien immer wahrscheinlicher, aber das konnte man erst am Ende richtig beurteilen, wenn dieser Plan gelingen würde.
„Also gut, Valka." – „Ja Astrid. Kannst du mir erzählen, wo sich Haudrauf befindet, oder ob er überhaupt noch lebt?" – „Haudrauf lebt noch", sagte Astrid.
Sofort weiteten sich die Augen von Valka vor Freude, als die blonde Wikingerin fortfuhr: „Er ist, soweit ich es noch hören konnte, in Ketten gelegt worden. Wo er ist, kann ich dir aber nicht sagen. Er wird sicherlich mit all den anderen führenden Personen aus dem Dorf zusammen festgehalten."
Die ältere Frau wollte am liebsten sofort auf ihren Drachen springen und ins Dorf fliegen, aber sie erinnerte sich, dass Berk nun von Truppen besetzt war und von diesen aus allen Nähten platzte.
„Wir müssen sehr vorsichtig sein, wenn wir wieder ins Dorf gehen. Am besten ist es, wenn wir uns wie die Truppen von Hicks verkleiden. Eine Rüstung haben wir schon.", meldete sich Eret zu Wort. Er hatte am Rande gestanden und alles genau verfolgt. Er hatte immer noch die Rüstung mit Dragos und Hicks Insignien an. Technisch gesehen bräuchten sie nur noch eine für Valka.
„Gut. Ich nehme die Rüstung von dem einen toten Soldaten und was dann?", fragte Valka. „Wir werden ins Dorf gehen. Astrid spielt die Gefangene. Während du sie zu den anderen Gefangenen bringst, werde ich auskundschaften, wo sich Haudrauf befindet. Ich werde dich sofort informieren. Danach befreien wir Haudrauf und zusammen mit Astrid werden wir uns Hicks vornehmen, wenn er sich irgendwo alleine aufhält. Dann sehen wir weiter." – „Klingt erst einmal nach einem Plan. Aber wir wollen wir Hicks überzeugen, wenn er sicherlich gegen uns alle kämpfen wird?" Jetzt war es Astrid die ihren Zweifel einbrachte.
„Ich habe noch ein wenig Gift von einem Schnellen Stachel dabei. Das Lähmt fast alle Muskeln. Nur ein Piks und Hicks kann sich nicht mehr bewegen, für die nächsten Stunden." Astrid nickte. Und es nahm ihr auch Zweifel an dem Plan. Denn ein Hicks, der sich nicht bewegen kann, kann auch nicht kämpfen.

Währenddessen waren alle Waffen des Dorfes zusammen getragen. Hicks hatte sich mittlerweile in sein altes Haus begeben und dort sein Quartier bezogen. Es war irgendwie merkwürdig gewesen, als er die Türschwelle zu seinem alten Zimmer beschritten hatte.
Er konnte es nicht richtig deuten, aber als er seinen Schreibtisch sah mit den unveränderten Skizzen seiner Arbeiten, war es als ob sich etwas Warmes in seinem Körper ausgebreitet hätte. Eine wohlige Wärme. Das Gefühl, wieder nach Hause gekommen zu sein. Sehr komisch und doch befremdlich.
Bei Drago hatte er fünf Jahre gelebt und gedacht, es wäre sein neues Zuhause geworden, aber dieser Anblick. Es schien so, als ob Haudrauf alles mit Absicht so gelassen hätte. Merkwürdig.
„Gurrr." Plötzlich stand Ohnezahn im Zimmer. Der Drache hatte sich durch die schmale Tür gequetscht und begrüßte seinen Reiter mit einem Schnurren.
„Hey Kumpel. Schon komisch, oder? Ich weiß zwar nicht, was gerade mit mir passiert, aber irgendwie fühle ich mich anders. Es ist alles so – familiär hier. Als ob man nach einem kalten harten Arbeitstag nach Hause kommt, sich die Rüstung vom Leibe streift und bei einem heißen Kräuterbad vor dem Kamin den Abend ausklingen lässt. Jemand wartet auf dich, der dich liebt."
Und da traf es Hicks wie ein Schlag ins Gesicht: „Astrid!" Er hatte sie verletzt. Mehr als es tausend Schwerte je hätten tun können.
Ein Unwohlsein breitete sich in ihm aus. Sein Herz schlug unangenehm hoch. Erst jetzt begriff er, was er getan hatte. „Bei den Göttern, sie hat mich all die Jahre nicht vergessen. Sie hat sich in mich verliebt." Vor Schock sackte Hicks auf sein altes Bett. Er hatte Astrid wehgetan. Er hatte einem Menschen wehgetan, der ihn liebte.
Mit einmal blickte er zu Ohnezahn: „Ich muss sie finden!"

The Dark RiderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt