Die Schmerzen tausend Schwerter

3.3K 173 21
                                    

„Hicks?" entkam es leise hauchend Astrids Mund, als sich der Blick des in schwarz gehüllten Reiters zu Haudrauf und ihr wandte. Vor ihnen befand sich eine Person, die sich, wenn überhaupt, nur schwer mit dem alten Hicks vergleichen ließe. Eine deutlich kräftigere Statur als noch vor fünf Jahren. Einen Wachstumsschub, dass er die blonde Wikingerin um fast einen Kopf überragte. Seine Gestalt erinnerte keineswegs an den kleinen zierlichen Jungen, den die Wikinger damals aus ihrem Dorf gejagt hatten.
Haudrauf war genauso erschüttert bei dem Anblick konnte es sich einfach nicht um Hicks handeln. Er schien viel zu groß, viel zu mächtig, viel zu einschüchternd, als dass es sich um seinen ehemaligen Sohn handeln könnte. Das war nie im Leben Hicks. Das konnte er nicht sein. Selbst in fünf Jahren würde sich kein Wikinger derartig wandeln.
Aber seine Zweifel wurden beseitigt, als eine Stimme unter dem Helm hervor klang, die keinen anderen Schluss zuließ. Diese Person dort auf dem Nachtschatten war Hicks Horrendous Haddock der Dritte. Der rechtmäßige Nachfolger Haudraufs auf das Amt des Häuptlings.
„Diese Insel samt ihrer Bewohner ist ab sofort Eigentum des Reiches von Drago Blutfaust. Ihr werdet ihn als einzigen legitimen Herrscher ansehen, ihn ehren und ihm Steuern zahlen. Zum Wohle und zur Vergrößerung des Reiches. Wer Widerstand leisten sollte, wird mit voller Härte gegen die nun geltenden Gesetze des Reiches bestraft werden. Und ich glaube nicht, dass ich das noch viel weiter erläutern muss."
Sein Tonfall war streng und beherrschend. Man erkannte die Stimme von Hicks wieder, aber konnte man keinen Hauch von Unsicherheit mehr heraus hören. Als ob der Hicks, den sie alle gekannt hatten, charakterlich ausgetauscht worden war. Niemals hätte Hicks vor vielen Jahren so zu einem der Dorfbewohner gesprochen.
„Hicks? Bist du das?" Es waren die einzigen Worte, die Haudrauf entkamen. Völlig erstarrt vor Schreck, dass es sich bei dieser Person tatsächlich um seinen Sohn handelte, konnte keine klaren Gedanken mehr fassen. Wenn er nicht als Feind ihm gegenüberstehen würde, hätte Haudrauf ihn als einen Wikinger gelobt, der sich prächtig entwickelt hat. Zwar immer noch verhältnismäßig dünn war er doch von imposanter Erscheinung in seiner schwarzen Lederrüstung. Doch die Zeiten standen auf Krieg und das Manöver, mit der weißen Flagge Hicks zu besänftigen schien nach hinten losgegangen zu sein. Fest in der Rolle als treu ergebener Lakai Dragos und mit der zu bedenkenden Vergangenheit schien keine Sicht auf Frieden.
Aber nun war das ganze Dorf mit Drachen umzingelt. Und auf ihnen bis an die Zähne bewaffnete Krieger, die schon viele Schlachten gehen haben. Mit diesem Ballast im Nacken schien ein Sieg für die Berkianer unmöglich. Sie würden sterben, bevor sie ihre Waffen ziehen könnten. So gesehen hatten sie auf ganzer Linie verloren. Die Armee von Hicks hatte die Insel besetzt, überall waren Truppen zu sehen und keiner schien diese Kette von Ereignissen noch aufhalten zu können.
„Hicks. Wie kannst du das nur deinem Heimatvolk antun?!" Es war Astrid, die wieder das Wort ergriff. Sie hatte sich aus ihrer Starre gelöst und blickte den jungen Heerführer durch die Sichtschlitze seines Helmes direkt in die Augen. Sie konnte nur hoffen, dass sie zu ihm durchdringen würde. Hicks schien sich charakterlich sehr gewandelt zu haben. Und das war noch untertrieben ausgedrückt.
„Astrid? Du hast mich gleich erkannt?" In diesem Moment griff Hicks an seinen Helm. Zog ihn über den Kopf und gab sein um fünf Jahre Gealtertes Gesicht preis.
Die Augen der blonden Schildmaid wurden groß. Hicks Gesicht ist viel kantiger geworden als früher. Viele Narben zierten seine Haut. Die Haare waren viel wuscheliger und auch der früher verträumte Blick mit dem er sie oft angesehen hatte, fehlte gänzlich. Als hätte man Hicks Charakter ausgetauscht.
„Ja Hicks. Ich habe dich gleich erkannt. Wie sonst auch. Du und dein Nachtschatte fallt hier in unser Dorf ein und annektiert es einfach so? Was glaubst du wer du bist?! Ich habe dich fünf Jahre lang vermisst, habe gehofft, dass du einmal wieder zurück in unser Dorf kommen würdest, aber nicht so. Nicht als Eroberer eines Tyrannen. Was ist aus dir geworden Hicks."
Sie war den Tränen nah, als sie diese Worte an ihn richtete. Immer hatte sie gehofft, dass sie mit ihm zusammen kommen könnte, doch mit diesem Auftreten zerschellten sie, wie ein Schiff an der Klippe im rauen Sturm. Jahre der Hoffnung vergebens. Dieser Hicks war nicht mehr der kleine Junge, der aus dem Dorf verbannt wurde. Jener Hicks war ein Kriegstreiber unter einem Tyrannen geworden, der Dorf um Dorf unterjochte und dabei nicht vor Toten zurückschreckte. Und die Antwort, die auf all die Fragen folgte, streute noch zusätzlich Salz in die Wunde.
„Wieso sollte ich in euer Dorf zurückkehren, wenn nicht aus einem anderen Grund. Drago hat mit das Zuhause gegeben, was ich immer gesucht habe. Er hat Respekt vor meinen Fähigkeiten und die meines Drachens. Ich habe für ihn diese Armee erschaffen, mit der wir alles unter den Sternen beherrschen können. Ihr habt mich nur außen vor gelassen. Ihr wart es doch, die mich mit Steinen beschossen hatten, als ich versuchte, den Krieg zwischen Drachen und Menschen zu beenden. Ihr wart es, die mich verbannt hatten. Ach nein. Das warst ja du Vater. Und du Astrid hast nichts unternommen. Du hättest mir folgen können. Eines Tages hätte ich dich schon gefunden. Aber die Kriegerin in dir ist ja viel zu stolz, als dass sie sich mit einem Hicks einlassen würde, oder?"
Jetzt platzte es Astrid aus allen Fugen: „Das stimmt gar nicht! Ich habe dich geliebt. Wollte mit dir zusammen sein. All die Jahre habe ich gewartet und habe gehofft, dass es ich dich vielleicht wieder sehen würde. Aber scheinbar bist du nicht mehr der Hicks, den ich gekannt habe. Nichts weiter als ein weiteres Monster, was dieser Insel schaden will. Wieso habe ich mich bloß in dich verliebt gehabt."
Unter Tränen schmiss sie ihre so geliebte Axt auf den Boden und rannte aus dem Dorf. Alle mit großen Augen das Geschehen verfolgend. Die Krieger von Hicks wollten ihr schon nachjagen, als er den Befehl gab: „Lasst sie. Kein Schwert der Welt kann den Schmerz verursachen, den sie jetzt verspürt. Wir haben eine Besatzung vorzunehmen. Was kümmert da der Liebeskummer eines Wikingermädchens. Ach ja. Legt Haudrauf in Ketten."
Mit leicht verzogenen Mundwinkel stieg Hicks von seinem Drachen ab und machte sich daran die Dorfbewohner zu zählen. Da es keine Schlacht gab, musste viel getan werden.

„Schneller!" – „Wolkenspringer kann nicht schneller. Und außerdem ist er noch nie mit mehreren Drachen so zusammen geflogen." Eret machte Druck. Sie waren schon im ganzen Archipel herumgeirrt. Einmal hatte der Kompass gesponnen, ein anderes Mal hatte diese Göre von Merida fast die Karte ins Meer geschmissen. Langsam fragten sich die beiden, warum sie sie überhaupt mitgenommen hatten. Für eine Prinzessin verhielt sie sich rüpelhafter als die meisten Wikinger zusammen.
Aber nun hatten sie die richtige Richtung. Bis Bek würde es nicht mal mehr eine Stunde dauern...

The Dark RiderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt