Elvira (X)

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Piep. Piep. Piep.

Was ist das? Woher kommt dieser Ton? Und warum hat er jetzt aufgehört?

Ich öffne langsam meine schweren Lider und muss feststellen, dass das Licht im Zimmer, das durch das Fenster dringt, viel zu hell ist, sodass ich meine Augen reflexartig schließen muss. Nach einiger Zeit, als sich meine Augen an die Helligkeit gewöhnt haben, kann ich meinen Blick durch den Raum wandern lassen.

Alles liegt an seinem gewohnten Platz, wo ich es liegen gelassen habe. Die Tür ist verschlossen, die Lampen sind noch immer an, mein Bett ist durcheinander und leer. Stopp. Warum ist mein Bett leer? Sollte ich nicht darin liegen? Die Sorge steigt wieder in meinen Körper und hemmt meine rationalen Antworten zu allem. Ich liege auf den Boden, aber warum?

Ich versuche aufzustehen, aber es fällt mir schwer, dies umzusetzen. Mit meinen zittrigen und schwachen Beinen laufe ich zum Fenster und setzte mich auf die schmale Fensterbank, damit ich nicht wie ein Skelett zusammenbreche und wieder auf dem Boden lande.

Ich schaue erneut in mein Zimmer und suche jede Kleinigkeit ab, die für meinen Zustand Hinweise geben könnte. Was ist nur los mit mir? Was ist nur passiert?

Vor der Tür sehe ich Blut und muss erst einmal schlucken. Danach sehe ich ein paar Meter vor mir entfernt ein blutiges Messer. Ich kralle mich an meine Hose, um diese Situation zu verarbeiten, aber es macht mich nur krank. Warum liegt das Messer nicht auf seinem Platz unter dem Bett?

Plötzlich taucht eine Erinnerung von gestern auf und ich schaue schlagartig auf meine Hände, auf denen sich noch Blut befindet, das jedoch getrocknet ist. Ich erschaudere und bekomme eine Gänsehaut, die mich am ganzen Leib einhüllt.

Wie konnte ich nur so reagieren und mich selbst verletzen? Ich hatte eine Einbildung gehabt und reagiere so über das Maß. Kann es sein, dass ich verrückt werde und Hilfe brauche? Ich schüttele aufgrund dieser Gedanken heftig meinen Kopf und drehe mich zum Fenster, damit ich diesen Anblick loswerde, obwohl es eher schwer sein wird, dies zu vergessen.

Ich sehe Autos auf den Straßen fahren und Menschen auf den Gehwegen laufen. Haben die Menschen gestern meine Schreie gehört? Ich bezweifle es, aber ich kann mir nicht sicher sein.

Piep. Piep. Piep.

Plötzlich höre ich wieder ein Piepen, worauf ich zusammenzucke und etwas näher zum Fenster rutsche. Bilde ich mir jetzt schon Töne ein, oder woher kommen diese Geräusche?

Ich schaue mich in meinem Zimmer um und sehe mein Handy klingeln, das auf meinem Schreibtisch liegt. Mit vorsichtigen Schritten hole ich es und laufe wieder zum Fenster hinüber.

Ich nehme den Anruf an, ohne vorher auf den Bildschirm zu sehen, wer mich nun anruft.

,,Hallo? Elvira?", sagt eine besorgte Stimme.

,,Ja. Ich bin es. Was ist los, Magdalena?", erwidere ich und lehne meinen Kopf an die Fensterscheibe, um auf die Menschenmenge zu blicken.

,,Ich habe mir Sorgen gemacht. Warum bist du nicht ans Handy rangegangen? Ich wollte schon mit der Polizei vorbeikommen, um nach dir zu sehen. Sonst gehst du doch auch ans Handy. Was ist passiert?", fragt sie hektisch.

,,Tut mir leid. Ich war noch am Schlafen und habe deinen Anruf nicht mitbekommen. Mach dir keine Sorgen, ok? Können wir uns heute treffen?" Am liebsten würde ich Magdalena alles erzählen, aber ich lasse es. Ich will sie nicht beunruhigen und bestimmt macht sie sich über meine Erzählung lustig und glaubt mir nicht. Sie weiß, dass ich in letzter Zeit sehr vorsichtig geworden bin, aber sie weiß nicht, wie schlimm es mit mir geworden ist. Deshalb lasse ich dieses Thema fallen und konzentriere mich lieber auf ein Treffen mit ihr, um mich von meiner schrecklichen Furcht abzulenken.

,,Klar. Treffen wir uns heute um 19 Uhr in unserem Stammcafé? Ich muss heute etwas länger arbeiten. ", sagt sie und geht auf meinen Themenwechsel ein.

,,Kein Problem. Sehen uns dann später. Bye."

,,Tschüss."

Ich lege mein Handy weg und schließe meine Augen. Es ist so anstrengend, gegen meine Angst anzukämpfen. Ich atme tief ein und wieder aus, um mich zu entspannen, und es klappt sogar.

Ich lächele leicht und blicke nach draußen. Mein Lächeln erstirbt sofort, als ich eine männliche Gestalt sehe, die mich beobachtet.

Schwarze Hose. Schwarze Jacke. Schwarze Mütze und eine Sonnenbrille, die sein Gesicht verdeckt. Aber das Schlimmste ist das breite Grinsen in seinem Gesicht. Mir wird sofort übel und ich spüre, dass ich es nicht mehr halten kann. Ich renne zum Mülleimer, der unter dem Schreibtisch steht, und übergebe mich.

Ich werde beobachtet. Ich habe ihn gesehen. Ich kann mir diese Person nicht einbilden. Oh Gott, ich verliere noch meinen Verstand.

Als ich wieder zum Fenster laufe, um nach der Gestalt zu sehen, sichte ich an derselben Stelle einen Mann, der aber ganz andere Kleidungen trägt. Er redet mit einer Frau und schaut ab und zu in meine Richtung, da bin ich mir sicher. Ich beobachte ihn länger, aber dann muss ich mir eingestehen, dass er mich nicht anblickt, sondern das Schild, das in der Höhe meines Fenster befestigt ist. Ich schaue sofort peinlich berührt weg.

Ich bin wirklich dumm. Ich habe mir alles nur eingebildet, wie immer in letzter Zeit. Mein Verstand hat mit mir ein fieses Spiel gespielt und eine Show abgezogen, um mich zu täuschen. Deshalb sollte ich mich beruhigen und mich lieber auf andere Dinge konzentrieren, wie etwa das Treffen mit meiner besten Freundin.

Ich entferne mich vom Fenster und greife nach dem Messer, das auf dem Boden liegt, und entferne es aus meiner Umgebung. Wenigstens für den Moment...

UnheilWhere stories live. Discover now