Elvira(X)

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Die Tür geht auf und der schwarz bekleidete Mann kommt hinein. Er wirkt so düster und gefährlich, aber sein Gesicht verrät mir, dass er müde ist und eine Pause braucht. Seine blauen Augen sind halb geschlossen, dennoch kämpft er damit, wach zu bleiben. Er hat anscheinend einen anstrengenden Tag gehabt. Seine Aura zieht mich in eine traurige Stimmung, sie scheint fast bedrückend. Ich habe das Bedürfnis, ihn knuddeln zu müssen oder irgendetwas zu sagen, aber ich weiß nicht, wie ich mich am besten verhalten soll. Er ist so anders.

Langsam läuft er in meine Richtung und setzt sich zu mir. Was er wohl den ganzen Tag gemacht hat, während ich auf ihn gewartet habe? So, wie ich ihn gerade betrachte, hat er sich heute sehr viel Mühe gegeben und geschuftet. Er atmet schwer, so als ob er hierher gerannt wäre.

Wenn man mich betrachtet, sieht man eine faule Person, die nichts zu tun hat. Früher hatte ich noch eine Aufgabe und konnte pflegen, aber jetzt ist alles anders. Ich langweile mich oft hier in diesem öden Zimmer und ich weiß nicht, was ich mit mir anfangen soll. Irgendwie brauche ich ihn bei mir, da er mich ablenkt und mir die Einsamkeit nimmt. Außerdem kann er mir seine Aufmerksamkeit wohl schenken, wenn er mich schon hierher gebracht hat. Das ist wenigstens das Mindeste, oder nicht? Aber egal, ich freue mich, dass er bei mir ist, obwohl er eigentlich ins Bett gehören und seinen Schlaf genießen müsste.

Wenn Andre mal wieder aus dem Haus ist, versuche ich mich so gut wie möglich abzulenken, aber es ist wirklich schwer. Manchmal treibe ich Sport, wenn ich Lust habe oder laufe im Kreis wie eine Irre herum. Ich mache sogar Liegestütze, die nicht wie Liegestütze aussehen oder springe wie ein Kind hin und her. Ja, ich habe Langweile. Ich singe sogar... Meine Stimme ist nicht die schlechteste, trotzdem würde ich nicht vor anderen singen wollen. Das ist mir einfach zu peinlich. Wie gesagt, manchmal zeichne ich auch. Andre hat mir extra Buntstifte und Papier im Zimmer hinterlassen, damit ich meine Zeit sinnvoll nutzen kann. Was er wohl darunter versteht? Meine Zeichnungen sind sehr gut. Er liebt alles, was ich ihm präsentiere. Natürlich liebt er es...
Hin und wieder ist es wirklich interessant, wenn er versucht, eins meiner abstrakten Bilder zu deuten. Am Ende lachen wir uns tot, weil seine Theorien zu lustig sind. Gelegentlich ist mir auch der Gedanke gekommen, ihn zu zeichnen, aber ich habe es einfach nicht getan. Erstens will ich nicht, dass sein Ego wächst; zweitens will ich ihm nicht die Gelegenheit geben, dass er von meinen Gefühlen etwas mitbekommt. Vielleicht zeichne ich ihn, wenn er ganz lieb ist und bettelt.

Ich komme ihm entgegen und umarme ihn spontan. Ich habe seine Nähe vermisst. Er will genauso wie ich geliebt werden, aber er tut es auf eine schräge Art. So sollte er keine weiteren Frauen behandeln. Er hätte mich um ein Date bitten und mich nicht zu seinem Eigentum machen sollen. Naja, ich vergesse das lieber mal. Er ist halt anders als die meisten Männer. Er ist besonders, eigenartig und hat viele Probleme.

Andre scheint irritiert von mir zu sein, aber es ist mir egal. Ich drücke ihn fest an mich und höre seinen Herzschlag. Ganz schön schnell... - ein Zeichen, dass er mich liebt? Ich denke schon. Ich schließe meine Augen.

Ich habe mich immer isoliert, habe wenige Freunde gehabt, bin verschlossen gewesen. Und dann gibt es noch ihn, der sich durch seine Arbeit ablenkt, um seine Einsamkeit wie auch seine Probleme zu vergessen. Wir beide sind uns ähnlich, wenn ich jetzt so darüber nachdenke. Wir beide sind alleine und wollen jemanden in unserer Nähe haben. Ich verstehe diese Seite... denke ich. Es kann aber auch sein, dass ich ihn komplett missverstanden habe.

Es ist still. Wir reden nicht. Wir schweigen; wir müssen auch nicht reden. Es reicht schon, dass wir zusammen sind und uns fest in den Armen halten. Es ist friedlich und ich genieße unsere Zweisamkeit. Es ist aber noch immer seltsam, in seinen Armen zu sein, da er eigentlich mein Entführer ist. Ich werfe diesen Gedanken weg und drücke ihn fester an mich. Ich will im Moment nur genießen und nicht über unsere Probleme grübeln. Dafür habe ich morgen genügend Zeit.

UnheilWhere stories live. Discover now