Unheil

Elvira (X)

Etwas hat sich verändert, aber ich weiß nicht, was es ist. Ist es das Haus? Ich denke, nicht. Noch immer lebe ich im Keller und komme ab und an nach oben, wenn Andre da ist, damit wir zusammen essen, fernsehen oder schlafen können. In letzter Zeit gehen wir sogar raus, aber er tut es nur, wenn es Nacht ist. Manchmal gehen wir in einem schicken Restaurant essen oder gehen in Clubs, um uns zu vergessen. Wir entspannen und verlieren den Überblick über alles. Wir schalten einfach für einige Stunden den Kopf ab. Es ist furchtbar, zur gleichen Zeit aber aufregend.
Noch immer bin ich in diesem Käfig gefangen und kann nichts daran ändern. Hätte ich sofort schreien sollen, als ich die Chance dazu hatte? Ich weiß es nicht und ich will auch nicht gerne darüber nachdenken, wie viele Möglichkeiten ich schon hatte, um zu fliehen. Ich wäre geschockt und am Ende würde ich alles bereuen.

Vielleicht ist Andre derjenige, der sich verändert hat? Ich schüttele den Kopf. Nein, er ist immer noch der Andre, den ich kenne, nur, dass ich weitere Fassaden von ihm kennengelernt habe. Aber diese Seiten haben mich auch nicht wirklich überrascht.
Zu Beginn ist er in meinen Augen ein Idiot und ein Verbrecher gewesen. Jemand, der unschuldige Menschen entführt und sie einsperrt, um schlimme Dinge mit ihnen zu tun. Leider habe ich mich geirrt. Ich habe gedacht, dass er ein Monster wäre. Doch dann hat er mir viele süße, fürsorgliche und liebevolle Seiten an ihm gezeigt, die mein Herz zum Springen gebracht haben. Schon daran zu denken, macht mich glücklich. Manchmal weiß er wirklich, wie man jemanden richtig behandelt. Diese sanfte und zahme Seite hat ihn für mich viel attraktiver gemacht und mir meine Angst halbwegs genommen. Ich habe etwas Angst, das gebe ich zu und das ist normal, denke ich. Etwas ist in mir drin, lässt mich zweifeln. Es ist seltsam, ich weiß, aber ich kann es nicht abstellen. Jeden Tag tauchen diese Sorgen auf und machen mich krank. Man könnte darüber lachen. Solche unnötigen Gedanken zu haben. Es ist lächerlich.

Wird unsere Beziehung immer so ablaufen? Ich wache morgens in meinem Zimmer auf und warte auf meinen Mann, der sich den ganzen Tag anderweitig beschäftigt, bis er irgendwann bei mir auftaucht und Zeit mit mir verbringt. Es ist schön, mit ihm zusammen zu sein, aber es gibt auch grässliche Tage, an denen wir uns wegen Kleinigkeiten streiten,  die eigentlich nichts wert sind, darum zu kämpfen. Ich will keine Beziehung mit zu vielen Tiefen in meinem Leben. Andre ist... einzigartig, aber da fehlt mir etwas. Liebe alleine reicht für eine funktionierende Beziehung nicht. Und genau dieser Gedanke macht mir Panik. Mein Herz klopft schneller und meine Tränen fließen hinaus. Sind das Tränen der Erleichterung oder der Hoffnungslosigkeit?

Diese Gedanken befreien mich, ich habe wieder mehr Platz in meiner Seele. Trotzdem gibt es Dinge, die mich verstören. Ich will eine liebevolle Beziehung, aber führe ich so eine Beziehung mit Andre? Sicherlich ist Andre liebevoll und kümmert sich gut um mich, aber was, wenn er wieder einer seiner Phasen hat und mich schlecht behandelt? Ich habe mit meinen eigenen Augen gesehen, dass er zu mehr in der Lage ist. Er hat selbst gesagt, dass er seine Hände schmutzig machen würde... für mich. Er ist wirklich verrückt und ich weiß nicht, ob das gut ausgeht.

Das ist keine richtige Liebe und das weiß ich sehr gut. Wir lieben uns innig, aber es ist keine vernünftige Liebe zwischen uns. Wenn man es genauer betrachtet, ist er mein Entführer, den ich zu lieben gelernt habe und genau das hat er gewollt.  Ich habe mich verliebt in diesen grauenhaften Mann. Dennoch ist es falsch, da er mich ebenso krank gemacht hat.

Oh, jetzt weiß ich, was sich verändert hat. Ich... Ich bin diejenige, die sich verändert hat.

Ich kann mich noch erinnern, wie ich vor diesem Mann geflohen bin, da ich Angst hatte und ihn verabscheut habe. Ich habe ihn gehasst wie die Pest. Ich wollte ihn nicht sehen, habe ständig geweint, gezittert, schreckliche Alpträume wegen ihm gehabt. Sogar in meinen Träumen hat er mich gejagt. Und nun ist er mein Geliebter. Das ist... kompliziert? Falsch?
Ich habe noch in Erinnerung, wie ich ihn gehasst habe, weil er mich nicht gehen lassen wollte. Warum akzeptiere ich sein böses Verhalten noch? Die Umstände haben sich doch verändert, oder nicht? Oder bin ich doch nur ein Spielzeug für ihn, dem man nicht vertrauen kann? Weitere Tränen fließen. Ich bin seine Sklavin, die sich in seinen Meister verliebt hat und alle seine Fehler akzeptiert und nichts unternimmt. Ich habe mich selbst vergessen, weil er mich dazu gebracht hat. Er hat mich verändert, mich mit einer anderen Person ausgetauscht. Wie hat er es nur geschafft?

Diese Liebe hat mir Tränen in die Augen gebracht.
Diese Liebe hat mir Schmerzen gezeigt.
Diese Liebe scheint nicht ernst zu sein, sondern sinnlos. Kann ich daran noch festhalten?

So kann keine Beziehung funktionieren. Irgendwann würde ich ihn hassen und dann... Was würde passieren, wenn wir uns gegenseitig  nicht mehr ertragen können? Es ist nicht gesund für uns beide und genau das macht mich traurig, da ich keine schönen Seiten mehr sehe. Weshalb nur?

Ich möchte Andre nicht verlieren. Ich will mit ihm zusammen sein, aber warum will es mein Kopf nicht verstehen? Warum protestieren meine Gedanken gegen mein schwaches Herz? Mein Herz ist Andre verfallen und das fühle ich. Da wird man ja noch wahnsinnig.

Ganz tief in meinem Herzen kenne ich jedoch die wahre Antwort. Ich muss nur noch den richtigen Weg wählen.