Elvira (X)

4.5K 216 22
                                    

,,W-Wie meinst du das?", stottere ich und kralle mich an meinen Oberschenkel. Ich spüre meine Nägel an meiner Haut, so kräftig und schmerzlich, dennoch gibt es mir den besten Halt. Oh Gott, ich glaube, ich kriege gleich keine Luft mehr. Meine Lungen füllen sich nicht ausreichend mit Luft, weil ich nicht begreife, was los ist. Wie kann ich offiziell tot sein? Ich glaube, er veräppelt mich. Ich bin nicht tot, sondern quicklebendig. Das sehe ich doch mit meinen eigenen Augen. Ich sitze doch vor ihm und ich bin mir meiner Anwesenheit bewusst. Was meint er also damit, dass ich tot bin? Hat er mich nun satt und will mir die letzte Ehre erweisen? Warum? Warum tut er mir das an? Gerade jetzt, wenn ich ihn einigermaßen gerne habe.

,,Jeder glaubt, dass du tot bist. Du hast ab sofort keine Identität mehr. In dieser Welt bist du für alle gestorben. Ein Niemand. Ein Nichts. Eine Unbekannte", erklärt er und lächelt böse. Ich schnappe nach Luft, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich seine Aussage gut oder schlecht finden soll. Ich fühle etwas Kräftiges, einen Druck an meiner Brust, der mir Schmerzen bereitet. Ich kann es nicht genau beschreiben. Es ist ein schreckliches Gefühl. Will er mich jetzt töten oder nicht? Warum kommt er nicht auf den Punkt? Er verwirrt mich zutiefst und lässt mich im Ungewissen. Ich bin unzufrieden mit seiner Erwiderung und gleichzeitig geschockt.

,,W-Wie? Sie haben meine L-Leiche nicht. Ich bin nicht t-tot. Du lügst." Ich zittere. Ich habe Angst, weil ich nicht weiß, was er vorhat.  Hat er vor, mich umzubringen, damit die Behörde meine Leiche bekommt? Ich dachte, er würde mich lieben.

Er lächelt zufrieden. Will er mich beruhigen oder warum tut er das? ,,Ich habe mich um alles gekümmert. Du bist nun meins", sagt er schnell und isst seelenruhig und still weiter. Warte... kommt da noch etwas? Will er nicht mehr sagen? Was meint er damit, dass er sich um alles gekümmert hat? Oh Gott... was hat er getan? Er soll mir die Wahrheit beichten.

,,Wie, du hast dich darum gekümmert?", frage ich mit einer etwas stärkeren Stimme als zuvor. Obwohl ich total Angst vor seiner Antwort habe. Eigentlich will ich gar nichts hören. Es ist bestimmt etwas Schreckliches und Gruseliges. Ich bin mir sicher, dass er jemanden umgebracht hat.

,,Mach dich nicht verrückt. Du brauchst dir darüber keine Gedanken zu machen. Wie du vielleicht gemerkt hast, war ich in den letzten Tagen nicht ganz ich selbst. Ich entschuldige mich für mein Verhalten. Doch jetzt habe ich alles geregelt und kann mich wieder um dich kümmern", sagt er und trinkt einen Schluck Wasser aus seinem Glas, während er immer noch ein Schmunzeln im Gesicht trägt. Er scheint dieses Gespräch zu genießen, aber ich tue es nicht.

Ich verstehe immer noch nicht, was er mit 'Ich habe mich um alles gekümmert' meint.  Hat er jemanden umgebracht? Hat er die Polizei bezahlt? Hat er irgendetwas manipuliert, dass jeder diesen Quatsch glaubt? Was stimmt mit diesem Mann nicht? Hat er sie noch alle oder was? Das ist wirklich verrückt. Ich muss träumen. Das ist ein Traum. Ja, genau. Ein brutaler Traum. Ich muss irgendwie aufwachen. Ich schließe kurz die Augen und als ich sie wieder öffne, starren mich zwei klare blauen Augen an.

,,Liebes, willst du nichts essen... Ich habe das alles für dich vorbereitet. Ich bin früh einkaufen gegangen und habe alles für dich gekocht. Gefällt dir das Essen nicht? Schmeckt es dir nicht? Sollen wir etwas bestellen? Pizza? Pommes?", fragt er und sieht mich besorgt an. Ich schlucke. Warum benimmt er sich nicht wie ein normaler Mensch? Er hat mir doch gerade gesagt, dass ich tot bin. Versteht er nicht, dass ich mehr Antworten brauche?  Ich schweige.

,,Elvira, geht es dir nicht gut? Ist dir schlecht? Was ist los?", fragt er und steht auf, um sich mir zu nähern. Er hält meine Hand und küsst mir leicht auf die Stirn. ,,Sag mir was los ist? Bitte", fleht er und legt seine Lippen auf meine. Sanft berührt er meine Lippen, trotzdem verschwindet mein ungutes Gefühl nicht. Er hat irgendetwas getan und er sagt es mir nicht.

,,Ich bin müde", flüstere ich. Ich will ihn loswerden. Er sieht mich für einige Zeit lang an und durchbohrt mich mit seinem Blick, dann nickt er kurz und lächelt mich strahlend an. ,,Gut, dann bringe ich dich zurück, meine Schöne", wispert er in mein Ohr.

Wir stehen auf und gehen zurück in mein Zimmer. Danach gibt er mir ein Abschiedskuss und verlässt den Raum. Ich bin alleine und  bin froh, dass er weg ist. Der Tag ist gelaufen. Ich habe mich so gefreut, aber alles ist kaputt gegangen. Den Tag sollte man wirklich nicht bis zum Ende loben.

UnheilWhere stories live. Discover now