Elvira (X)

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Wir starren uns einige Zeit lang stumm in die Augen. Versuchen, den Gegenüber zu lesen, zu verstehen, aber ich bin mir sicher, dass ich es nicht tun kann. Er ist ein geschlossenes Buch, das man nicht öffnen kann. Blau gegen Braun. Schwach gegen Stark. Ich bin ihm unterlegen, sehe keine Möglichkeiten auf Freiheit oder ein normales Leben.

Soll ich ihm folgen und meinen Untergang wählen oder doch meine Chance wittern, um zu entkommen?
Es ist eine schwere Frage, die ich nicht sofort beantworten kann. Man braucht Ruhe und einen klaren Kopf, um die passende und richtige Antwort zu wählen. Nicht wie bei mir...

Zu sagen, dass ich mich wundere, diesen Mann zu sehen, kann ich nicht ganz behaupten. Er ist... Er ist der Mann, der mir an dem besagten Tag Angst eingejagt hat; der Mann, der in meinem Traum aufgetaucht und mir die Luft zum Atmen genommen hat. Ja, es schockiert mich nicht, trotzdem ist da noch etwas ganz anderes, das ich nicht verstehe.

Seine forschenden Augen blicken mich an, während ein süßes Lächeln seine Lippen ziert. Noch immer habe ich ihm seine Frage nicht beantwortet. Ich weiß auch nicht genau, was er von mir erwartet. Denkt er wirklich, dass ich bei ihm sein möchte? Bei einem Fremden? Einer Person, die ich nicht einmal kenne? Das ist doch verrückt, oder nicht? Wer würde freiwillig zu ihm gehen?

Anscheinend hat er mein verwirrtes Gesicht gesehen und legt deshalb seinen Kopf schief. ,,Kommst du oder nicht?", fragt er und leckt sich über die Lippen. Er spielt ein Spiel und es erregt ihn. Er weiß, dass ich keine Chance gegen ihn habe, dazu bin ich in einem zu niedrigen Level.

Ich wünsche mir so sehr, dass eine weitere Person auftaucht und mich rettet. Wenn da nur jemand wäre und ich die Möglichkeit hätte, irgendwie auf mich aufmerksam zu machen; dann würde ich frei sein, doch ob das geschieht, ist wieder eine ganz andere Geschichte.

,,Keiner wird dir helfen. Auf der Welt gibt es so viele Menschen, doch keiner wird dir die Hand reichen. Man kann nicht jedem helfen, Liebes." Wahrscheinlich hat er damit Recht und macht mir so meinen Plan kaputt, mich noch einmal zu befreien, um nach Hilfe zu rufen. Man wird alleine auf der Welt geboren und man stirbt auch alleine. Das ist wohl das Traurigste von allem. Er zerstört mir meine Hoffnung. Warum lässt er mich nicht in Ruhe? Ich kann auch schweigen...

,,Elvira!" Woher kennt er meinen Namen? Oh Gott. Er hat mich verfolgt. Er ist krank, einfach nur krank. ,,Hören wir auf mit dem Versteckspielen. Du hast keine Wahl. Du musst mit mir kommen. Ich will dir ungern wehtun, also erleichtere mir das alles, da du sowieso nicht vor mir fliehen kannst. Es ist schon spät, wegrennen kannst du jetzt nicht mehr. Ich habe dich schon gefangen und ich würde es immer und immer wieder tun."

,,Bitte lassen Sie mich gehen.", flüstere ich mühsam und schaue flehend in seine Augen, aber bei ihm regt sich nichts. Kein Funke von Emotionen. Nichts. Nada.

Er lächelt, aber es wirkt unecht. Dann kommt er mir näher und drückt sich dichter an mich. Ich spüre ihn und das ekelt mich einfach nur an. Er soll mich nicht anfassen. Er soll mich verdammt nochmal gehen lassen!
Seine rechte Hand greift meine beiden Handgelenke und hält diese fest. Mit der anderen Hand berührt er mein Kinn und hebt dieses nach oben. Er sieht gierig auf meine Lippen, als ob er mich... als ob er vorhat... mich zu küssen?

Ich reiße meine Augen auf und sehe ihn schockiert an. Und dann sehe ich, dass auch seine Augen sich weiten, als er merkt, dass ich gerade ganz laut schreie. Er drückt seine flache Hand auf meinen Mund, die ich aber versuche zu beißen, um ihn zu verletzen. Währenddessen versuche ich, ihn von mir zu stoßen. Am besten in den Dreck, was er total verdient hätte. Doch so weit kommt es nicht. Denn er wirkt sauer - und nicht sauer, wie man es normalerweise kennt, sondern richtig sauer.

Sofort wandert seine kalte Hand an meinen Hals, während die andere Hand immer noch meinen Mund bedeckt. Seine Augen spiegeln Kälte und Zorn wider. Genau so, wie es in meinem Traum war. Oh mein Gott... Habe ich die falsche Wahl getroffen? Wird er mich töten?

Ich fange an zu weinen und verstumme. Ich kann nicht schreien, da es mich viel zu viel Kraft kosten würde. Meine Hände versuchen angestrengt, seine Hände von meinem Hals zu kriegen, was leider nicht funktioniert.

Sein Blick liegt auf mir. Er macht mich ganz schwach, weich und vielleicht auch verletzlich. Seine Augen nehmen mir all die Wörter, die ich ihm gerne in sein Gesicht geworfen hätte. Dieser Arsch! Ein Idiot, ein Monster!

,,Zum letzten Mal: Kommst du oder nicht? Du kannst betteln, wie du willst. Entweder du willst es auf die freundliche Art, oder auf die harte Tour!"
Kein Lächeln, nur eine Härte liegt in seinem Gesicht.

Und jetzt weiß ich, dass ich ihm folgen muss. Denn sein Griff wird stärker, als ob er um sein Eigentum kämpfen müsste. Ich gehöre ihm; das ist mir nun bewusst, da die Dunkelheit mich umwickelt und ich nur Schwarz sehe.

UnheilWo Geschichten leben. Entdecke jetzt