Kapitel 27

6K 260 7
                                    

Nicholas

Auf einmal stand sie vor mir. Die knochige Gestalt, die ich einst als meine Mutter ansah. Und jetzt? Jetzt war sie nur noch die Person, wegen der ich auf dieser Welt war. Auf dieser Beschissenen aber auch wunderschönen Welt.

Rachel stand still neben mir. Sie hielt immer noch meine Hand. Dafür war unglaublich dankbar. Meine Mutter sah mich mit großen Augen an. Dann räusperte sie sich.

“Hallo Nicholas.“ Ihre Stimme zitterte. Wahrscheinlich dachte sie daran, was für einen verkackten Sohn sie hatte.

“Hallo.“ Sagte ich knapp. Das gleiche kam von Rachel. Meine Mutter sah sie nicht einmal an. Ihre Augen ruhten auf mir und fixierten mich. Sie sah so alt aus. Ihr graues Kleid war zerknittert und ihr Make up hatte sie weg gelassen. Ihre Haare die mal Braun waren, waren jetzt zum Teil Grau und sie sah so kaputt aus.
Die Knochen traten ihr deutlich hervor. Ihre Wangen, ihre Schultern, alles war knochig. Ich kannte das. Rachel sah auch schonmal so aus. Aber jetzt ist das vorbei. Wir haben in Washington einen Neuanfang gemacht. Beide.

“Kommt rein.“ Meine Mutter machte eine Handbewegung ins innere des Hauses und wir folgten ihr. Es war alles genau so wie ich es in Erinnerung hatte. Weiß. Gold. Silber. Holz.

Wir liefen in das Wohnzimmer. Rachel blickte sich um, als wäre sie in einem Museum. Zugegeben, zuhause habe ich mich hier auch nie gefühlt. Man durfte nichts anfassen, sonst würde es ja kaputt gehen oder es würden Fingerabdrücke darauf erscheinen. Vor allem bei den Fenstern war meine Mutter immer besonders pingelig. Als kleiner Junge durfte ich nicht mal mit Finger Farben malen, obwohl ich diese so sehr geliebt habe.

Wir setzten uns still an den Marmortisch im Esszimmer. Wasser stand vor uns. Sie war vorbereitet. Sie war IMMER vorbereitet. Auf jede verkackte Situation.

“Wie geht es dir?“  Fragte sie nach einer Weile der unangenehmsten Stille die ich jemals erfahren hatte.

“Wie es mir geht? Das fragst du jetzt nicht wirklich oder?“ Ich lachte hämisch und blickte ihr direkt in die Augen. Hatte sie jemals gesehen wie verletzt ich wirklich war? Was sie aus mir gemacht haben?

“Nick... ich... es tut mir leid!“

“Dir tut WAS leid? Dass du mich Monate lang beschuldigt hast, Lily umgebracht zu haben? Dass ihr euren einzigen Sohn verstoßen habt, weil euch die Meinungen anderer Wichtiger waren, als die Wahrheit?“

Ich schrie sie fast an. Vermutlich hätte ich das auch getan, wenn Rachel nicht mein Knie gekniffen hätte.

Verdammt! Ich bin so verdammt wütend! Was glaubt sie eigentlich? Lädt nich hier her ein, und denkt ich verzeihe ihr so einfach?!

“Deinem Vater tat es auch leid. Er hätte es dir gesagt, wenn er jetzt hier sein könnte.“

“Einen Scheiß hätte er getan! Er hätte mich nichtmal sehen wollen!“
Ich schlug mit der Faust auf den Tisch. Rachel zuckte vor Schreck neben mir zusammen, und ich bereute es gleich ihr Angst gemacht zu haben.

“Was willst du jetzt von mir?“ Fragte ich schließlich.

“Dich um Vergebung bitten Nicholas! Ich bin alleine hier! Ich habe niemanden mehr!“ Sie weinte. Oh Gott... meine Mutter weinte... das ich das nochmal mit erleben darf.

“Das ist ein bisschen zu Spät Mutter! Und weißt du was? Ich war mein ganzes Verschissenes Leben allein! Jetzt weißt DU endlich mal wie das ist! Und eins noch, ich genieße es dich so zu sehen! So Kaputt und elend! Du hast es verdient!“ Ich schmetterte das Glas in meiner Hand auf die andere Seite des Raumes, wo es zerplatzte. Rachel schrie erschrocken auf und stand genau so wie ich auf.

“Wir gehen und glaube mir! Ich komme nie, nie, nie wieder!“

Ich nahm Rachels Hand wieder in meine und zog sie zum Ausgang.

Wir knallten die Autotüren zu und ich raste aus der Einfahrt direkt auf den Highway.

Meine Mutter hatte nichtmal versucht mich aufzuhalten. Nicht mal nach Rachel gefragt. Sie interessierte sich immer noch nicht für mein Leben. Sondern nur für Ihres. Nur, damit sie nicht mehr alleine ist.

Wie ich sie Hasse! Oh ja! Ich hasse sie!

FACEWhere stories live. Discover now