Kapitel 6

638 20 0
                                    

Mit leisen Schritten ging Lyra die Treppen hinunter und verließ das Hauptquartier. Sie ging links herum und folgte dem Weg bis sich die Häuser lichteten und sie freie Sicht auf eine freie Wiese hatte. Sie hörte hinter sich Levi laufen. Er hatte das Angebot also angenommen auf ihrem Rücken eine Runde zu fliegen. Sie lächelte leicht darüber und nahm ihre Drachengestalt an. Auf der Wiese drehte sie sich zu Levi um. Kurz war er verschwunden und hatte sich sein Cape geholt, welches er nun trug.
Sie legte sich hin und sah ihn an. Es war schon einige Zeit dunkel und der Mond versteckte sich hinter Wolken. Sie sah, wie er auf sie zu ging und kurz etwas unschlüssig ihren Rücken musterte. "Ich empfehle dir dich vor die Flügel zu setzen, da ist eine Stelle, wo ich keine Rückenzacken habe" sagte sie und sah ihn weiterhin an, bevor sie hinauf zu den Sternen sah. Sie merkte, wie Levi auf ihren Rücken kletterte und nach einigen Minuten an besagter Stelle saß und sich gleich instinktiv festhielt. Noch immer sagte er kein Wort und so schwieg auch sie, als sie abhob. Sie flog langsam und gemütlich über die Stadt. Sie versank in ihren Gedanken und war ehrlich gesagt froh, nicht allein zu sein. Dann wäre sie auf dumme kükenhafte Ideen gekommen. Den Blick nach oben werfend hoffte sie irgendwie ein kleinen aufleuchten zu sehen, doch wie immer leuchteten die Sterne gleich.
"Warum tust du das?" fragte Levi monoton und brach damit die Stille.
"Warum ich dich auf meinem Rücken mit fliegen lasse? Oder warum ich es dir überhaupt angeboten habe?"
"Beides."
"Ich weiß nicht. Das war eine spontane Idee... Aber eigentlich wollte ich nicht allein sein. Mich wundert, dass du es angenommen hast... Levi" erwiderte sie und sah kurz zu ihm auf ihrem Rücken. Sie zog über der Stadt ihre Kreise, bis sie darauf keine Lust mehr hatte und verließ die Stadt. Beide schwiegen wieder und Lyra genoss den Wind unter ihren Flügeln, während Lyra ihre Route über das alte Hauptquartier fortsetzte und langsam wieder zur Stadt flog. Jetzt landete sie vor dem Hauptquartier des Aufklärungstrupps und sah Levi an, der dann von ihrem Rücken kletterte.
"Warum hast du mein Angebot angenommen?" fragte sie ihn und nahm wieder ihre menschliche Gestalt an.
Er antwortete nicht und ging hinein. Lyra folgte ihm und erwartete schon keine Antwort mehr, als er ganz leise etwas sagte. Vollkommen verstand sie ihn nicht, aber es klang nach etwas wie "Schuppen fühlen" doch da war sich Lyra nicht ganz sicher. Was er dann aber lauter sagte fand sie verwunderlich, aber auch erfreulich:"Das war ein schöner Abend. Gute Nacht Lyra."
"Das freut mich. Dir auch gute Nacht, Levi" antwortete sie ihm und schenkte ihm ein freundliches Lächeln, bevor sie zu ihrem Zimmer ging. Es war schon spät und so beschloss sie schlafen zu gehen.

Die Umgebung in Augenschein nehmend sah sich Lyra um und erkannte ihr Elternhaus. Sie ging die Treppen hoch zu ihrem Zimmer und sah am Fenster ein Nest mit einem mitternachtsblauerm Ei darin liegen. Neben dem Nest befand sich ein Kinderbett, ein paar Schränke und ein Wickeltisch. Dann war da noch in einer Ecke ein großer Teddybär. Lyra erkannte, dass dies ihr Zimmer war.
Lyra wollte wissen, wie es weiter ging, doch etwas weckte sie auf. Sie setzte sich auf und merkte, dass ihre Wangen nass waren. Sie hatte geweint, nur warum? Sie wischte sich die Tränen weg, stand auf und nahm sich nen Tshirt und ne Jogginghose sowie saubere Unterwäsche, bevor sie sich auf den Weg zu den Duschen machte. Draußen war noch finstere Nacht.
Als sie das Wasser auf ihrer Haut fühlte sich wunderbar an. Danach seifte sie sich ein und stieg aus der Dusche, als alle Seife abgewaschen war. Sie trocknete sich ab und zog ihre Kleidung an, bevor sie sich nach draußen begab. Das Hauptquartier war in völlige Ruhe gehüllt. Leise öffnete Lyra die Tür und ging hinaus. Die Nachtluft war frisch und auch leicht kühl. Ihre Füße trugen sie zu dem Ort, wo die Leichen verbrannt worden waren. Inzwischen war nur noch die Asche übrig von den vielen Verstorbenen. Lyra hob den Blick in den Himmel hinauf zu den Sternen.
Petra, ich weiß nicht, woran die Menschen hier glauben, doch ich bin mir sicher, dass du dort oben in den Sternen wartest auf deine Familie und Freunde. Und ich hoffe, dass du Frieden finden kannst, da oben, dachte Lyra feierlich und begann dann Runden zu laufen um das Hauptquartier. Schlafen konnte sie vermutlich nicht mehr, deswegen beschloss sie etwas zu tun für ihre Ausdauer.
Nach fünfzig Runden begann sie auf dem Trainingsplatz kurze Sprints zu machen. Dafür hatte sie mit etwas Erdbändigen einige Linien in den sandigen Boden gezeichnet und sprintete von einer Linie zur anderen, die Abstände wurden immer kürzer. In der Mitte angekommen ging es wieder nach außen. Als sie beim dritten Mal an ihrer Ausgangsposition angekommen war, blieb sie stehen und stützte sich keuchend an der Wand ab. Dann hob sie den Blick in den Himmel und stieß sich von der Wand ab.
Aus dem sandigen Boden ließ sie eine feste Säule werden und begann gegen diese zu boxen. Immer wieder und wieder schlug sie mit den Fäusten gegen den Stein. Die Hände waren schon aufgeplatzt und schmerzten, doch Lyra machte immer weiter.
Es ist alles meine Schuld! Dein Tod, der Tod von so vielen Menschen, weil ich nicht zur Stelle war. Warum? Keiner von euch hat es verdient!
Die Tränen verschleierten ihr die Sicht und sie merkte nichts um sich herum. Als sie erneut zuschlagen wollte, hielt sie jemand auf und hielt ihr Handgelenk fest. Das gleiche mit dem anderen Arm. "Lyra hör auf damit. Das bringt sie nicht zurück. Spar die Energie" sagte eine tiefe monotonen Stimme. Levi hielt beide Handgelenke fest und sah sie an. Ihr Blick traf den seinen. "Los, komm mit rein" sagte Levi ruhig.
"Leraim... Ich habe alle enttäuscht" flüsterte Lyra, da sie in Levis Augen wieder ihren Lehrmeister sah.
"Was redest du für einen quatsch. Komm rein du dumme Echse" sagte Levi und zog sie mit sich ins Hauptquartier zur Krankenstation, wo er Lyra an eine der Schwestern dort übergab. "Verbindet ihr die Knöchel an den Händen."
Lyra ließ es geschehen, schniefte noch weiter und auch die Tränen wollten nicht versiegen, da sie immernoch Petras Leiche vor sich sah. Die weit aufgerissen Augen, Arme und Beine, die in einem unnatürlichen Winkel da lagen.
Danach brachte Levi sie in den Speisesaal, setzte sie an einen der Tische und kam dann mit zwei dampfenden Tassen Tee wieder, stellte die eine vor Lyra ab und setzte sich neben sie. "Trink und hör auf zu weinen verdammt!" befahl Levi ihr in monotoner Tonlage.
"Ich habe euch enttäuscht" flüsterte Lyra und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.
"Red keinen Unsinn. Und hör auf es zu bereuen, es bringt dir nichts, außer Schmerz" sagte der Schwarzhaarige und nippte an seinem Schwarztee.
Lyra sah auf die Tasse vor sich. "Ich hätte..."
Der Stärkste Krieger der Menschen unterbrach sie rüde:"Hast du aber nicht. Hör endlich auf damit in Selbstzweifel zu versinken. Du hast das getan, was du für das richtige gehalten hast."
Lyra seufzte und hob die Tasse an ihre Lippen. Der Geruch des Schwarztees stieg ihr in die Nase. Sie nahm einen tiefen Atemzug davon und trank einen Schluck des Tees. Er schmeckte süß und würzig zugleich und beruhigte sie etwas. "Woher weißt du, dass ich Schwarztee mag?" fragte die junge Halbdrachin leise und sah ihn aus dem Augenwinkel heraus an.
"Wusste ich nicht" war die monotone Antwort des Captains und er trank wieder auf seine Weise den Tee ohne den Henkel zu benutzen.
"Danke Levi" sagte Lyra und sah wieder in die Tasse hinein. Sie trank noch einen Schluck und schwieg eine ganze Weile. "Ich glaube, ich geh noch etwas schlafen. Danke für den Tee, Levi." Sie stand auf und ging ihre Tasse weg bringen, als sie leer war. "Gute Nacht."
"Gute Nacht, Lyra."

Attack on Titan - Blue-Eyed ScalesWhere stories live. Discover now