Kapitel 32

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Eine Woche später verließ Lyra mitten in der Nacht die Festung und verschwand in die Nacht. Die Nacht war sternenklar und der Mond erhellte die Umgebung, wunderbar um nur von geschulten Augen erkannt zu werden. Den Wind nutzend, flog Lyra immer höher und strebte den Ort an, den ihr Gefährte ihr vor einer Woche gezeigt hatte. Die Umgebung war ruhig, die Tiere des Waldes waren als einzige um diese Zeit noch wach. In der Nähe der Lichtung landete Lyra und ging den Rest zu Fuß. Wachsam setzte die Halbdrachin ihre Schritte und sorgte dafür, dass man keine Spuren verfolgen konnte.
An der geheimen Lichtung angekommen, ließ Lyra den Blick wandern, bis sie beschloss eine Weile hier zu bleiben und die Ruhe zu genießen. Dann machte sie es sich gemütlich und lauschte nach ihrem Inneren.

Levi wurde wach und merkte schon, dass Lyra nicht da war. Sie war schon die letzten beiden Tage ziemlich unruhig gewesen. Ein verschlafener Blick reichte und bestätigte auch die Vermutung. Für das Training war es egal, da heute ein freier Tag war, trotzdem wollte er wissen, wo seine Freundin war.
Jedoch würde das bis nach dem Frühstück warten müssen. Nach der kurzen Dusche zog er sich an und dann ging dann runter zur Küche. Da heute neue Lebensmittel kamen war die Auswahl nicht sonderlich groß und beschränkte sich auf etwas Marmeladenbrot und einen Tee - was vor einigen Monaten noch undenkbar gewesen wäre.
"Guten Morgen Captain Levi" kam es dann von den beiden Einheiten im Chor. Irgendwann hatten sie damit angefangen und Levi fand es nur nervig, sagte aber nichts dazu. Er nickte bloß und begann zu essen. Während dessen besprachen Elisabeth Falkenrot und die anderen, was sie an ihrem freien Tag machten. Wie es aussah, machten die Mädchen einen Wellness-Tag, während die Jungs herum gammeln wollten. Hanji forschte wie immer an ihren Babys, wie sie sie nannte.
Als er fertig war, stand Levi auf und ging sich sein 3D-Manöver anlegen. Er hatte das Gefühl, dass er die Ausrüstung heute brauchen würde. Nachdem er die Gasflaschen aufgefüllt hatte und genügend Schwerter dabei hatte, verließ er die Festung und begann dort entlang zu gehen, wo ihn Lyras Feuer hin führte.
Die Umgebung war ruhig und es sah nicht so aus, als wäre Levis Freundin hier entlang gelaufen. Keine umgeknickten Bäume oder Pflanzen, keine Fußspuren. Das legte nahe, dass Levi hier und da die Abstände mit dem 3D-Manöver überbrücken musste. Es ging immer tiefer in den Wald hinein und weit und breit war von Lyra keine Spur. Ihm blieb nur das Feuer, welches ihm den Weg wies.
Als ihm die Umgebung bekannter wurde, ahnte Levi, wo sich seine Freundin aufhielt. Kurz bevor er ankam, hörte man ein Knurren, welches unverkennbar von Lyra stammte. Warum knurrte sie? Hinter dem Felsen verborgen würde er es nicht herausfinden, weshalb er um den Fels herum ging, nur um einen Braunbären zu sehen. Doch irgendwie ahnte Levi, dass dies nicht der einzige Gegner war. Der Bär schien es auf etwas abgesehen zu haben, was Lyra dem Anschein nach eisern verteidigte. Levi reagierte nur noch, als der Bär zum Angriff ansetzte und Lyra einatmete, um den braunen Bären in ihrem Feuer zu rösten. Levi schoss eines der Dratseile in einen der Bäume und flog über den Bären, während er sich blitzschnell drehte und das Tier aufschlitzte wie einen Titan. Am Baum gelandet wollte er schon zum nächsten Schlag ausholen, als Lyra den Bären erbarmungslos in Asche verwandelte. Nach nur kurzer Zeit war der Schrei des Bären verhallt. Lyra schnellte herum und vertrieb einige Wölfe, während von der anderen Seite ein kleinerer Bär sein Glück machen wollte. Levi verhinderte dies allerdings und schlug den kleinen schwarzen Bären in die Flucht. Den letzten Gegner schlug Lyra dann in die Flucht, als Levi sich gerade von dem Baum aus auf eben jenen stürzen wollte.
Lyra sah zu ihm hoch, sagte allerdings nichts und wandte sich ab, um sich wieder einzurollen. Allerdings lag sie jetzt anders als sonst und schien mit ihrem kompletten Körper etwas schützen zu wollen.
"Lyra?" fragte er und ließ sich vom Baum hinunter und reinigte die Klingen von dem Tierblut. Sie hob den Kopf und sah ihn so an, als wäre er ein Fremder, bis sich ein leuchten in ihren Augen zeigte. Die Schwerter verstaut und die Griffe wieder weg gesteckt, ging er auf seine Freundin zu. "Verdammt weck mich doch, wenn du schon verschwinden willst!"
"Es gibt ein paar Dinge, die ich allein machen muss" erwiderte sie leicht erschöpft und hob die riesige Lederschwinge und gab ihm die Sicht auf das Preis, was sie beschützt hatte. Zwischen ihren dunklen Pranken kam ein hellblauer Stein zum Vorschein, der etwas kürzer war als sein Unterarm lang. Einen Moment brauchte er, um zu verstehen dass es sich um ein Ei handelte. "Jetzt komm schon her, es beißt nicht." Etwas zögernd ging er dann zu ihr und streckte die Hand nach dem ovalen Ei aus. Lyra summte zufrieden und nahm ihre eine Pranke von dem Ei und gab damit die komplette Sicht auf das Ei frei. Beim berühren spürte Levi die gleiche Wärme, wie er sie auch bei Lyra fühlte. Die Oberfläche war vollkommen glatt. Das blau wurde durch dünne weiße Äderchen unterbrochen, die einmal um das Ei herum liefen.
Das ganze war so unwirklich. Dort drin war ein kleiner Drache, sein Kind. Das konnte nicht wahr sein, sicherlich wachte er gleich auf und der Traum war vorbei.
"Es ist unser Küken, Levi. Es gibt keinen Zweifel daran" murmelte Lyra. Sie entspannte sich langsam wieder. "Kannst du auf uns aufpassen, ich bin unglaublich müde." Nur Momente später hörte Levi nur noch tiefe entspannte Atemzüge von ihr.
Indes saß Levi dann an sie gelehnt, eine Hand auf dem Ei liegend und musste gerade diese ganze Situation erstmal verarbeiten. Einige Fragen flogen durch seinen Kopf und lenkten ihn etwas ab. Kopfschüttelnd vertrieb er die Gedanken, die er später beantworten musste und behielt die Gegend im Auge.
Als Lyra eine Stunde später den Kopf hob, knurrte sie wieder. "Nimm das Ei und kletter auf meinen Rücken. Ich hier werden wir keine Ruhe finden, die Wildtiere reagieren auf uns."
Levi zögerte nicht und hob das Ei auf. Es war nicht sonderlich groß, aber dennoch schwerer als er dachte. "Was meinst du damit, dass sie auf uns reagieren?"
"Sie reagieren auf mich und das Ei. Ich weiß nicht, woran es liegt, aber es ist als wollten sie sich nicht in die Nahrungskette einreihen." Kaum saß er auf ihrem Rücken und hielt das Ei fest an sich gedrückt, hob sie ab und flog einige Momente über dem Boden, bevor sie durch das Blätterdach stieß.
"Welche Nahrungskette, du hast sie doch nicht gejagt?"
"Sie reagieren aus Angst, Levi. Angst verändert alle, nicht nur Menschen. Zum Beute jagen bin ich schon lange außerhalb der Mauern gewesen. Jetzt sieht das allerdings anders aus. Und das macht ihnen Angst." Sie flog zum alten Hauptquartier und flog über die Weide hinweg, drehte dann aber und landete zwischen den Pferden und sah lauernd zum Wald. Der Himmel war von dunklen Wolken bedeckt und es war drückend schwül. Sah nach einem Gewitter aus.
Levi kletterte über einen Umweg von ihrem Rücken. "Warum bist du dann überhaupt weg?"
"Da Hanji dicht gehalten hat, wissen es ja nur wir drei. Ich will verhindern, dass unser Küken von irgendwem benutzt wird, sobald es nur geschlüpft ist. Erinnerst du dich, als man mich vom Aufklärungstrupp weg holen wollte. Sobald auch nur öffentlich wird, dass es bald zwei Halbdrachen gibt... Die Machtgierigen werden versuchen an uns heran zu kommen, die anderen Divisionen werden versuchen, dass unser Küken zu ihnen kommt, wenn es alt genug ist in ihren Augen." Lyra schirmte ihn komplett ab, während die Pferde neugierig näher kamen.
"Wir finden eine Lösung. Dir wird es nicht gefallen, aber wir müssen uns mit Erwin zusammen setzen" erwiderte Levi und blickte auf das Ei hinab. Die Tragweite hatte er nicht bedacht, aber seine Freundin hatte recht. So mächtig wie sie war, würde auch ihr Kind einmal werden. Alle werden sich früher oder später um die Gunst reißen.
"Ja... ist vermutlich das beste... " Sie war nervös und grub die Klauen in den Boden.
"Irgendetwas wird uns schon einfallen." Levi versuchte sie zu beruhigen, doch so ganz klappte das nicht.
"Meine Familie... Sie könnten uns helfen..." sagte Lyra und klang bei weitem nicht mehr so entschlossen und sicher wie sonst. Es sprachen gerade mehr die Instinkte als der Verstand aus ihr.
"Sie können leider nicht hier sein. Machen wir das beste daraus."

Attack on Titan - Blue-Eyed ScalesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt