Kapitel 12

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Levi wachte am nächsten Morgen auf und tastete neben sich im Bett nach Lyra, doch sie war nicht da. Sofort war er hellwach und setzte sich auf. Einen Blick umher werfend sah er, dass die Tür zu seinem Balkon offen stand und die Morgendämmerung  begann wenig Licht zu spenden. Levi stand auf und fand Lyra in ihrer menschlichen Gestalt auf dem Geländer sitzen. Mit ausgebreiteten Flügeln sah sie in die Richtung der aufgehenden Sonne. Er ging zu ihr und umarmte sie von hinten.
"Guten Morgen Levi" sagte sie summend. "Ich hoffe ich habe dich nicht geweckt."
"Nein" erwiderte er nur.
"Was steht heute an?" fragte sie ihn und drehte sich zu ihm um.
"Kein Training heute."
"Was denn dann, die ganze Festung putzen?"
"Die Idee gefällt mir, aber so wie ich die anderen in den letzten Tagen gehetzt habe ist die Festung schon komplett sauber."
Lyra sah ihn mit hoch gezogener Augenbraue. Sie sah ihm in die Augen und schien wieder in seine Seele zu blicken.

Lyra zog die Augenbraue hoch und sah Levi an. Sie begann wieder seine Augen zu lesen. Sie konnte Liebe darin erkennen und musste lächeln. "Hmm... Ich weiß schon, wie ich meine Freizeit verbringen werde."
"Und wie?" fragte Levi. Sie glitt runter vom Geländer und stand ihm nun gegenüber.
"Kommt ganz darauf an, ob du auch frei hast" erwiderte sie nun und sah hinter sich in den orangeroten Himmel. "Ich werde fliegen."
"Wenn Erwin nicht wieder eine ewige Besprechung halten will" sagte er seufzend und ging hinein.
"Ich könnte dich einfach mitnehmen. Vom Himmel schießen können sie mich nicht" schlug sie vor und folgte ihm hinein. Sie kam nicht drum herum seinen Körper zu betrachten und wenn er es bemerkte, dann kommentierte Levi es gerade nicht.
"Lass mal, Erwin ist in letzter Zeit seltsam" meinte Levi dann und verschwand ins angrenzende Bad. Lyra blieb in seinem Zimmer, ging aber wieder auf den Balkon hinaus und bewegte leicht ihre Flügel. Der Wind war günstig zum Fliegen, der Himmel war klar. "Kommst du, Lyra?" fragte Levi hinter ihr.
"Ich geh mich schnell umziehen" erwiderte sie und bog dann von seinem Zimmer zu ihrem ab. Sie zog sich schnell um und trug nun eine weiße Bluse und eine dunkle Hose. Sie kam in die heute sehr ruhige Küche. "Guten Morgen zusammen" sagte sie und setzte sich. Alle hatten einige Plätze Abstand zu Levi. Sie setzte sich einfach neben ihn und nahm sich etwas zu essen. Es war so ruhig, dass man eventuell vorhandenen Staub hätte zu Boden fallen hören können, wenn er denn da gewesen wäre. "Wow, wie still ihr alle seid. Ist ja schon beinahe gruselig" bemerkte Lyra dann. Sie sah die anderen an, dann Levi. "Hast du ihnen die Zungen raus geschnitten, oder was?" fragte sie ihn.
"Nein" antwortete er monoton.
"Urg, du machst mich noch wahnsinnig " seufzte Lyra. "Womit habe ich das verdient?"
Keiner der Kadetten sagte auch nur ein Wort, bis Mikasa die Stimme erhob. "Besser wir sagen nichts, als dass er uns für ein falsches Wort wieder um die Festung jagt bis wir umfallen!"
Lyra riss die Augen auf und sah den Captain entsetzt an. "Nur weil ich nicht da war, musst du sie nicht bis zur Hölle treiben! Dich kann man ja nicht mal aus den Augen lassen!" Levi machte den Mund auf, dann aber auch wieder zu, als Lyra weiter sprach. "Ich weiß gerade nicht wirklich, was in dir vor geht, aber jetzt weiß ich auch, warum sie frei bekommen." Sie schüttelte den Kopf. Eigentlich hatte sie ihn mitnehmen wollen und die Welt außerhalb der Mauer Maria erkunden, doch das würde sie nun nicht tun. Zumindest nicht mit ihm. "Komm wieder klar, bevor du wieder auf meinen Rücken kletterst!" Damit stand sie auf und sah zu den anderen. "Tut mir leid, dass er euch so getrieben hat." Dann ging sie hinaus.
Kaum draußen hob sie ab. Sie dachte über Levi nach und fühlte einen Stich im Herzen. Die jungen Kadetten taten ihr leid. Und sie wusste nicht einmal, warum er sie so getrieben hatte. War es einfach ein Teil seines Wesens, oder war es die Anspannung gewesen, weil er von ihr getrennt gewesen war?
Sie seufzte und landete bei ihrem Nest am See. Diesmal jedoch betrat sie den See und legte sich ins Wasser. In der Mitte des Sees war es so tief, dass sie sich auf den Grund legen konnte. Interessanterweise konnte sie unter Wasser atmen, als wäre sie an Land. Nach einigen Minuten sah man da noch nicht einmal mehr Luftblasen aufsteigen. In Gedanken versunken blieb Lyra dort eine ganze Weile, bis sie merkte, dass Levi zur Festung zurück kehrte. Sie beschloss nach ihm zu sehen, zumindest in der Nähe zu sein. An der Rückseite der Festung, wo sich auch ihr Zimmer befand, legte sie sich ins Gras und begann mit etwas Schuppenpflege. Danach döste sie, bis sich jemand neben sie setzte und sich an sie lehnte. Der Geruch von Sauberkeit, schwarzem Tee lag in der Luft, vermischt mit einem unverkennbaren Eigengeruch. Es war Levi. Sie sagte nichts, wunderte sich aber, dass er sich neben sie auf den dreckigen Boden setzte.
"Bist du mir noch böse?" fragte er leise. Sie konnte heraus hören, dass er nachgedacht hatte. Nachdem sie ihm erstmal nicht antwortete, seufzte er leise. "Ich hab einen Fehler gemacht, das sehe ich ein. Ich habe mich schon bei Eren und den anderen entschuldigt." Noch immer sagte sie nichts, was ihn zusammen zucken ließ. Er wollte aufstehen, doch Lyra hob den Kopf und legte ihm sanft ihre Vordertatze über die Beine und legte den Kopf so neben ihm ab, dass sie ihn ansehen konnte. Sie summte leise, sagte aber immernoch kein Wort. Levi sah in ihre Augen; sein Blick war reuevoll.
"Du siehst den Fehler ein. Ich war dir nicht wirklich böse, Levi" sagte sie sanft. Sie schloss die Augen wieder und blieb so liegen, bis sie Schritte spürte. Sie hob den Kopf und sah in die Richtung. Hanji kam zusammen mit Eren zu ihnen gelaufen.
"Hallo ihr beiden" sagte Hanji und sah grinsend erst Levi an, dann Lyra.
"Sag mir nicht, dass du nochmal dieses Experiment durchführen willst?" fragte Lyra seufzend. Sie spürte auch, dass Levi nicht besonders begeistert schien.
"Nein, das nicht. Ich wollte fragen, wen du mitnehmen willst, wenn du die Mauer reparieren gehst" wollte sie wissen.
"Auf meinem Rücken trage ich nur Levi. Wie oft muss ich mich noch wiederholen?" erwiderte Lyra seufzend. Sie fühlte sich, als hätte sie mit Schwerhörigen zu tun.
"Also doch! Zwischen euch läuft was!" rief Hanji aufgedreht.
"Lass es doch in die Zeitung schreiben, wenn du es so hinaus brüllst " meinte Levi monoton.
Lyra sah zu Eren. "Du musst nach Shiganshina?" fragte sie ihn ohne weiter auf Hanji zu achten, die so breit grinste, dass es an ihrem Hinterkopf zusammen laufen musste.
Der gefragte nickte. "Ich hoffe im Keller meines Vaters Informationen zu erhalten über die Titanen."
Lyra wandte überlegend den Blick ab. "Wenn ich dort für Ordnung gesorgt habe, nehme ich dich mit. Vorher ist es einfach zu gefährlich."
"Ich kann helfen die Titanen zu vernichten!"
"Sicher, aber nicht dort. Ich weiß, dass du in Shiganshina aufgewachsen bist. Du hast edle Intentionen, aber deine Wut über die Zerstörung wird dich dazu verleiten die Kontrolle zu verlieren. Ich will nicht ausschließen, dass ich frei davon bin nicht auch im Kampf auf meine Wut zurück zu greifen. Doch ich habe immernoch Kontrolle darüber. Frag Levi, Hanji oder sonst wen, wenn du mir nicht glaubst. Ich will dir deine Rache nicht nehmen, aber die muss auf einen anderen Tag warten, Eren."
"Woher weißt du...?" Eren sah sie verwundert an.
"Ich bin über 300 Jahre alt, Eren. Ich hab schon einiges von meiner Heimat gesehen. Eure Welt ist in dieser Hinsicht nicht viel anders" erwiderte Lyra schmunzelnd. Sie sah zu Hanji. "Fertig damit zu überlegen, ob zwischen mir und Levi etwas läuft oder nicht?" fragte sie.
"Zwischen euch ist was" erwiderte Hanji lächelnd.
"Stimmt, der Captain ist entspannter... Und er sitzt im Dreck!" fing nun auch Eren an.
Lyra sah zu Levi, der sein Gesicht verzog. Sie hob ihre Pranke von seinen Beinen und er stand auf und putzte sich den Dreck ab. "Das ist nur Einbildung" sagte er monoton.
Lyra streckte sich und nahm ihre menschliche Gestalt an. Sie sah zwischen Hanji, Eren und Levi hin und her. "Komm, hier wird es mir zu unruhig" sagte sie zu Levi und nahm seine Hand. Er verschränkte sofort seine Finger mit ihren und folgte ihr.
"Damit werden es bald alle wissen" sagte Levi, dem es nicht im geringsten etwas auszumachen schien.
"Das ist mir sowas von egal" gab Lyra zurück, während hinter ihnen Hanji einen Freudentanz aufführte und irgendwas vor sich hin sang. "Das macht jetzt auch keinen Unterschied mehr" fügte sie noch hinzu und legte beim Laufen ihren Kopf an Levis Schulter ab.
"Wohl wahr" erwiderte er. "Wohin?"
"Keine Ahnung, nur weg von Hanji." Lyra folgte Levi, der den Wald ansteuerte, doch nicht zu ihrem See, sondern in eine ganz andere Richtung. Lyra konnte so viel Leben hier spüren. Nicht weit stand eine Hirschkuh mit ihrem Jungen, doch beide rannte schnell weg. Vermutlich weil sie riechen konnten, dass Lyra ihre Art jagte, oder weil Levi dabei war. Sie blieb stehen und ließ den Blick wandern. "So friedlich ist es hier nur selten" murmelte sie, lächelte aber glücklich.

Attack on Titan - Blue-Eyed ScalesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt