Kapitel 36

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"Wie geht es ihr?" fragte Aram Levi, als die beiden sich bereit machten, um erneut einige Titanen zu vertreiben, die Norath beim Auskundschaften entdeckt hatte.
"Wie schon, sie schläft immernoch, genau so wie die Wochen davor auch schon" erwiderte Levi gereizt und vollkommen endnervt. Er war es Leid beinahe jeden Tag von irgendwem gefragt zu werden, wie es Lyra geht. Zwar redete ihre Familie ihm zuliebe in seiner Sprache, allerdings wünschte er sich die ruhigen Tage zurück. Nie hätte er das erwartet, aber er ertrug lieber Hanjis ständiges Geplapper über Titanen, Experimente und auch ihre Fragen welche ihn und Lyra betrafen, als von Lyras Familie die ganze Zeit Mitleid zu bekommen - und das nicht nur verbal, sondern auch mit Blicken und Gesten.
"Sie wird bald..." setzte Aram an, wurde aber ungehalten von Levi unterbrochen.
"Sag noch einmal, dass sie 'bald aufwacht' und ich reiße dir jede Schuppe einzeln aus!" fluchte er und ballte die Hände zu Fäusten. Arams anderen Geschwister sahen zu ihnen beiden. "Euer beschissenes Mitleid könnt ihr euch sonst wo hin stecken! Das weckt sie weder auf, noch bringt es mir irgendwas! Lasst mich einfach in Ruhe." Zu seinem Glück, sagte niemand etwas dazu.
Als die beiden zwei Stunden später zurück kamen, kontrollierte Levi seine Ausrüstung und zog sich um, bevor er wie die Tage und Wochen davor auch schon über seine Freundin wachte. Das Ei lag auf dem Kissen, wo eigentlich er schlafen sollte, doch Levi konnte nicht. Er hatte es versucht, aber vor lauter eigener Unruhe und wirren Gedanken hatte er einfach nicht neben seiner Freundin schlafen können. Er schlief allgemein nur noch wenig und wenn dann an einer Wand lehnend oder er schlief für einige Stündchen im menschlich eingerichteten Wohnzimmer im Sessel. Für ihn schlief Lyra nicht in dieser Situation, sondern sie wirkte wie tot. Der einzige Unterschied waren die Wärme von ihr und die regelmäßigen ruhigen Atemzüge.
Vorsichtig ging die Tür auf und Syndra kam hinein. Lyras jüngere Schwester war die einzige, die Levi kein Mitleid entgegen brachte, sondern sich teilweise einfach nur dazu setzte und schwieg. Lyras jüngere Schwester war etwas kleiner als er selbst und hatte sowohl braune Haare, als auch Augen. Sie wirkte so zierlich, dass man schon beim Ansehen Angst bekommen konnte, sie zu verletzen. "Darf ich etwas singen?" fragte Syndra ihn mit ihrer glockenklaren Stimme und blickte ihn mit ihren braunen Augen fragend an.
"Von mir aus" erwiderte Levi und verschränkte die Hände vor der Brust, während er nun wieder am Fenster stand und in die Ferne sah und seinen Gedanken nach hing, bis Syndra begann zu singen. Erst summte sie, dann jedoch begann sie zu singen. Levi verstand nicht, was sie dort sang, doch es klang sehr herzzerreißend und bewegend. Syndra hatte eine engelsgleiche Gesangsstimme.
"Wird Zeit, dass du aufwachst, große Schwester. Ich glaube dein Gefährte dreht bald noch durch. Und dein Küken würde sich sicher über etwas Zuwendung deinerseits freuen. Willst du ihm nicht beim Wachsen zusehen?" Syndra sprach nach ihrem Gesang mit Lyra, doch Levi bezweifelte, dass seine Freundin das überhaupt mitbekam. Ansonsten wäre sie schon längst aufgewacht. "Also los, wach auf!"
Levi schüttelte leicht den Kopf und sah weiter hinaus. Das würde nichts bringen. Das hatte er am Anfang auch versucht. Inzwischen redete er kaum noch, war wieder so monoton und kalt wie damals. Sie fehlte ihm unheimlich, selbst mit ihr zu streiten fehlte ihm.

Es kam der Tag, als Lyras Vater nach Hause kam und ziemlich schnell heraus fand, dass seine Tochter durch den Lindwurmbiss immernoch schlief - nach nun anderthalb Monaten. Draußen lag der Schnee meterhoch und Levi waren inzwischen die Klingen ausgegangen. Eine hatte er aufgehoben, damit Lyra eine Vorlage zum Schmieden hatte. Was das Gas anging waren Aram oder Norath so nett und befüllten ihm die Flaschen, sodass Levi immer genug Gas hatte.
Rajaion kam in das Zimmer, in dem Lyra lag, und funkelte Levi wütend an. Er sagte kein Wort und setzte sich dann ans Bett. Was genau in ihm vorging, konnte Levi nicht beurteilen. Der Drache in Menschengestalt lehnte sich zu Lyra hinüber und legte ihr eine Hand auf die Stirn. Leise seufzte Rajaion, bevor er Levi mit den eisblauen Augen ebenso kalt ansah. "Sie träumt von dir. Was hast du nur mit meiner Tochter angestellt, dass sie dir so verfallen ist, Mensch?" Die Abneigung war unüberhörbar. Als Rajaion das Ei vom Kissen nahm, spannte Levi sich unweigerlich an. "Und du bist wirklich der Vater von dem Küken?"
"Siehst du hier noch einen Menschen, der so verrückt war und mit ihr in eure Welt gekommen ist?" konterte Levi. Er nahm dem Drachen sein Ei weg. "Wenn du nur Unruhe verbreiten willst, solltest du wieder gehen und uns in Ruhe lassen."
"Lass mich dir eines sagen, kleiner Mensch: Brich meiner Tochter das Herz und meine Rache wird dir überall hin folgen!" Damit stand Rajaion auf und verließ den Raum.
"Komischer Schuppenträger." Levi schüttelte den Kopf und sah das Ei an. Ob das Kleine da drin bemerkte, was hier vor ging? Vielleicht war es aber dazu noch zu klein. Wie gerne würde er sehen, wie es jetzt aussah, nur leider war es zum einen zu hell, und Lyra war nicht wach. Levi seufzte und legte das Ei einer Eingebung folgend dicht neben Lyra hin, während er sich dazu setzte. "Komm zurück zu mir."

Attack on Titan - Blue-Eyed ScalesWhere stories live. Discover now