Mix aus Angst und Hass

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Natashas Tag hatte sich dramatisch geändert. Noch vor ein paar Stunden saß sie gemeinsam mit Barton an einem wunderschön gedeckten Frühstückstisch und machte mit ihm einen friedlichen Spaziergang.-
Nun fand sie sich in einer dunklen und schmutzigen Abstellkammer einer Lagerhalle wieder, während ihr angeketteter Partner sich schon halb im Land der Träume befand.
Natasha erkannte, wie Clint es gerade so noch schaffte, seine flackernden Augenlider offen zu halten. Jedoch drang durch die dreckigen Scheiben unter der Zimmerdecke kein Tageslicht mehr. Die Sonne war untergegangen.
Das erschien ihr der beste Zeitpunkt zu sein, sich auf den Weg zu machen.

Sie krabbelte so leise wie möglich auf Clint zu und bewegte sich somit in sein Sichtfeld.
Als er sie erkannte, wollte er eine Frage stellen, wurde jedoch durch ihre Hand ausgebremst, die sich schnell auf seine Lippen presste.
Seine Antwort auf diese Geste war lediglich ein Nicken. Er hatte anscheinend verstanden, dass es in dieser Situation von Vorteil war, leise zu agieren.

Binnen weniger Minuten waren die Fesseln an seinen Handgelenken gelöst, wofür sie einen rostigen, aber noch spitzen Nagel als Werkzeug verwendete. Erleichtert sprang sie auf seinen Schoß und umarmte ihn. Verzweifelt krallte sie sich in sein Shirt und begann, lautlos Tränen über ihre Wangen laufen zu lassen.
Sie konnte Clints warme Finger auf ihrer Haut spüren. Natasha genoss den Moment der Nähe, auch wenn dieser nicht lange andauern würde. Clint wiegte sie einschläfernd hin und her und flüsterte ihr von Zeit zu Zeit ein paar beruhigende Sätze ins Ohr.

Wieder einmal versetzte sie die Beziehung zwischen ihr und ihrem besten Freund in Erstaunen.
Wann hatten sie nur begonnen, sich blind zu vertrauen? Dem jeweils anderen den Rücken frei zu halten und zu beschützen? Den Partner so lesen zu können, als wäre er ein offenes Buch? Ab welchem Zeitpunkt hatten Gesten und Körpersprache begonnen, als Kommunikationsart zu genügen? Es war beachtlich, dass sie mit einem Blick oder einer Umarmung die Gefühle des jeweils anderen spüren beziehungsweise nachempfinden konnten und ihre Handlungen dann nach diesen auslegen zu vermochten.

Die Gesamtsituation, in welcher sie sich befanden, ignorierend saßen sie eng umschlungen auf dem Boden, während Natasha stumm in das Hemd des Blonden weinte.
Sie hatte Angst.
Seit Jahren hatte sie Ivan und seine Gehörigen nicht mehr zu Gesicht bekommen- hatte sich versteckt; war vor ihnen geflohen und umging sie.
Nun stellte sich aber heraus, dass sie die ganze Zeit über beschattet wurden war und das KGB sie nie aus den Augen verloren hatte.

Als ihre Tränen bald darauf wieder versiegt waren lächelte sie ihn traurig an.
Seine rauen Finger bewegten sich hinauf zu ihrer Wange.

Clint war der Einzige, der ihr Halt geben konnte. Bei dem Blonden fühlte sie sich manchmal, wie ein junges Mädchen, das von ihm beschützt wurde. Die Russin wusste, dass sie bei Clint loslassen und ihm sein Herz ausschütten konnte.
Bizarrerweise bezog sie ebenfalls eine unglaubliche Kraft aus seinen Worten oder Gesten.
Sie brauchten einander, das war ihr klar.

"Lass uns einen Ausgang finden.", lächelte er aufmunternd und entlockte ihr ein automatisches Nicken.

Geistesgegenwärtig steckte sie sich den rostigen Nagel, mit dem sie Clints Fesseln gelöst hatte, noch in die Innenseite ihres Ärmels, bevor sie hinter ihrem Freund den Raum verließ.
In ihrem Bauch bildete sich ein unangenehmes Kribbeln aus. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass der Nagel bald zum Einsatz kommen würde...

Rücken an Rücken durchkämmten sie die Seitengänge der Lagerhalle nach dem Ausgang.
Die Gänge waren wie leer gefegt. Die Söldner schienen sie ebenfalls noch nicht bemerkt haben. Sie hätten augenblicklich Alarm geschlagen, wenn sie von der Flucht Clints und Natashas mitbekommen hätten.

Eine kleine Patrouille kreuzte ihren Weg. Obwohl es keine Waffen bei sich trug, hinterließ das Striketeam eine Reihe an kampfunfähigen Wachen mit gebrochenen Hälsen und Gliedmaßen.
Nach diesem kurzen Zwischenfall erblickten sie am Ende des Flures endlich die Tür zu ihrer Freiheit... Ihr Fluchtversuch blieb aber nicht weiterhin unentdeckt.

Clintasha- Mission BudapestWhere stories live. Discover now