Schulbeginn

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Ace nutzte seine bewährten Strategien, um den Schuljahresbeginn anzugehen. Jedes Mal, wenn seine Mutter ihn fragte, ob er sich schon auf die Schule freue, murmelte er ein vielseitig interpretierbares „Aber sicher", und wenn man ihm lachend erzählte, immerhin könne er doch endlich seine Freunde wiedersehen, lächelte er dünn und suchte nach einem Themawechsel.

Vor Nervosität konnte er kaum schlafen. Als Ace am nächsten Morgen aufstand, fühlte er sich erschlagen. Seine Haare waren zerwühlt, sein Schließfachcode, den er sich zur Erinnerung auf den Arm gekritzelt hatte, verwischt, sein Magen unruhig und sein Kopf voll unschöner Erwartungen. Er schnappte sich die unauffälligsten, Highschool-konformsten Klamotten aus seinem Kleiderschrank und lief halbblind ins Bad, während er sein Bestes gab, sich einen Kapuzenpullover über den Kopf zu zerren.

In einem anderen Leben hätte er womöglich eine Emo- oder Scenephase gehabt, doch hier war es ihm lieber, unter dem Radar zu bleiben. Ace beschränkte seine Vorliebe für exzentrische Aufmachungen auf bunt gefärbte Haare und Kleidung, die nur ganz subtil vom Mainstream abwich, dunkel und mit Akzenten in Punk und Neon.

Als er in die Küche wankte, fiel ihm ein, dass John ihn ja inzwischen nicht mehr fahren würde. Das Auto konnte er auch nicht nehmen, sonst würde sein Vater dumm schauen, wenn er in einer Stunde zur Arbeit musste. Während er an die Theke trat, murmelte er in den Raum hinein: „Mister Wick, wann fährt der nächste Bus zur Flathead High School?" Sie hatten ihren Hausassistenten auf Johns Wunsch hin damals nach seinem Lieblings-Action-Namensvetter benannt, und inzwischen hatte er sich als anerkannter Teil der Familie etabliert.

„Gute Morgen, Ace. Der nächste Bus fährt in zwei Minuten, und dann noch einmal in einer halben Stunde an der-" Ace hörte gar nicht mehr auf die Haltestelle. Er schnappte sich das nächste unbeschmierte Körnerbrötchen, griff im Vorbeihasten seine Jacke von der Stuhllehne und machte, dass er zur Tür herauskam. Er würde bestimmt nicht erst fahren, wenn der Bus vor Arschlöchern wimmelte!

Ace hetzte vorbei an netten, sauberen Vorstadthäuschen und durchblitzenden Ausläufern des Waldgebietes, dass Kalispell umgab. Vor dem Busplatz stoppte sein Lauf schlitternd, als der Bus schon anfahren wollte, und der Fahrer erbarmte sich noch einmal und öffnete die Tür. Erleichtert wankte er ins Innere. Weiter hinten saßen Jugendliche, deren Blicke er vermied. Ace versuchte sich zu erzählen, dass ihr Gekicher nichts mit ihm zu tun hatte.


Als der Bus hielt, quälte Ace sich schwerfällig wieder vom Sitz hoch und begann in Richtung Schule zu laufen. Obwohl er normalerweise sehr leicht Abschalten und Tagträumen konnte, fiel es ihm sehr schwer, sobald etwas bevorstand, wovor er sich fürchtete. Die Angst grub ihre Klauen tief in seinen Körper und hielt ihn mit Gewalt in der Realität fest.

Die Flathead Highschool war nach hiesigen Indianerstämmen benannt und ein großes, modernisiertes Gebäude aus roten Ziegelsteinen und weiten Glasfassaden. Von der 4th Avenue aus sah man den Haupteingang, der von einer weitläufigen Grünfläche mit strategisch verteilten Bäumen, Sitzgruppen und einer metallenen Indianerstatue geziert wurde, die man bei einem lokalen Künstler in Auftrag gegeben hatte. Sie war rostbraun von jahrelanger Witterung, und es war nicht selten, dass irgendwelche Scherzkekse ihr Schnurrbärte aufmalten oder sie mit den entführten Rucksäcken, Jacken und Unterhosen bedauernswerter Individuen schmückten. Als Ace mit gesenktem Kopf nähertrottete, sah er, dass jemand ihren Fuß mit einer Graffitti-Botschaft versehen hatte. ‚Willkommen zurück in der Hölle'. Er zog die Schultern ein und schlich zur Eingangstür.

Es war so früh am Tag, dass noch nicht einmal in allen Gängen das Licht angeschaltet war. Die Schule schien still und friedlich und menschenleer, und Ace hätte viel dafür gegeben, dass es so bleiben würde.

The Games We Play (BoyxBoy)Where stories live. Discover now