Nachtwandler

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„Hi?" Einen Moment hatte Ace das Gefühl, er hatte seine Zunge verschluckt. Die Stimme seines Gegenübers klang definitiv ungewohnt über Handy, und erst nach einigen Schrecksekunden wurde ihm klar, dass er da wohl einen ganz anderen Filter als online verwendete. Im Hintergrund war hämmernder Bass und unverständliche Musik zu hören, gemischt mit lauten Gesprächen.

„Hi... Icy hier. Hast du Zeit?" Er versuchte klar zu sprechen statt kläglich ins Kissen zu nuscheln, während sein Magen sich ein wenig zusammenzog. Vielleicht war das doch eine furchtbare Idee gewesen. Einfach bei quasi wildfremden Leuten anzurufen, besonders um die Uhrzeit, galt jetzt wohl kaum als Gipfel der Höflichkeit. „Wenn nicht, überhaupt kein Problem, das hat auch Zeit bis Morgen, ich will dich echt nicht fernhalten von-"

„Ich kann mir Zeit nehmen.", schnitt die fremde Stimme ihn ab. Aces Magen schlug kurz Purzelbäume, und er fühlte sich noch mieser dafür. Es sollte ihn nicht freuen, dass er sich Para aufbürdete und der auch noch zusagte.

„Hm? Ist das jemand wichtiges, Jason?", hörte er eine helle Mädchenstimme von der Seite und horchte auf. Para hatte einen Namen! ... Das heißt, selbstverständlich hatte er einen Namen, so ziemlich alle Leute hatten einen, aber Ace hatte nicht damit gerechnet, ihn so unkompliziert vor die Füße geworfen zu bekommen.

„Bin bald zurück.", hörte er die Stimme des Jungen wieder, diesmal so undeutlich, als würde Para das Mikrofon zuhalten, und dann eine Mischung aus anschwellender und absteigender Musik, lauten Gesprächen und Gejohle, bis all das urplötzlich abstarb und Ace nicht mehr hören konnte als gelegentliches Brausen eines Autos, dass in der Ferne vorbeifuhr.

„Ich... will dich eigentlich nicht von deinen anderen Sachen abhalten.", meinte Ace, diesmal schwächer, als ihm nach und nach klar wurde, dass er Para quasi für gar nichts hochgeklingelt hatte. Nur, um ein wenig jammern zu können.

„Tust du nicht."

„Okay, aber dieses Mädchen-"

„Icy.", wurde er amüsiert unterbrochen. „Wenn ich keinen Bock gehabt hätte, mit dir zu reden, dann hätte ich nicht abgenommen. Verstanden?"

„Okay." Ace biss sich auf die Lippen, und die nächsten Worte waren aus seinem Mund gerutscht, ehe er darüber abgewogen hatte. „Du heißt Jason im realen Leben?"

„Nee." Der Junge klang immer noch belustigt.

„Achso ... ist das ein Spitzname?"

„Rufst du mich tatsächlich um ein Uhr morgens an, um mich nach meinem Namen zu fragen?" Gute Laune – und vermutlich auch ein wenig Alkohol – schwangen in den Worten mit, und Ace zögerte kurz.

„Eigentlich nicht... aber jetzt, wo wir schon dabei sind, wie heißt du?"

„Kommt drauf an, Icy..." Weniger dramatische Pausen, wollte Ace grummeln. Erzähls doch einfach! „Wie heißt du denn?"

Ace fühlte sich ein bisschen zusammensinken. Einerseits war nicht viel dabei, oder?... Andererseits sträubte sich jede Faser von ihm dagegen. Keine Realnamen an Online-Bekanntschaften, die ihr nicht kennt. Keine Realnamen an anonyme Leute, denen ihr nicht komplett vertraut. Heutzutage ist es lachhaft einfach, übers Internet viel über euch herauszufinden, und ihr werdet das merken, wenn ihr euch einmal verplappert habt. Es war nun nicht so, dass er Para nicht vertraute, aber allein der Gedanke, dass der Junge dann Fotos von ihm finden könnte, oder noch intimere Informationen, die mit Aces Leben, seinen Klassenkameraden, seinen vergangenen Torturen zu tun hatten ... Alles in ihm knäulte sich zusammen. „Ehhh...."

„Ehh, was? Gleiches Recht für alle, Icy." Er konnte das Grinsen förmlich aus Paras Stimme heraushören. Der Klang war ein anderer, aber inzwischen konnte er wieder all die Dinge wahrnehmen, die mitschwangen und ihn immer ein wenig in Aufregung versetzten. Ace wusste nicht, ob es positiv war, dass das eine Para-Eigenschaft war und nicht etwa an einem sehr guten Stimmverzerrer lag, oder nicht doch eher beängstigend. Er biss sich nervös auf den Handrücken.

The Games We Play (BoyxBoy)Onde as histórias ganham vida. Descobre agora