//Mortal Realms

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StrangeGuys persönlicher Platz im Server, sein Grundstück in der Welt von YU.space, war ein schwebendes Kartenschloss im Himmel. Die Wände wurden von Werken verschiedenster Künstler geziert, die Ace einfach beim Surfen gefunden hatte, und die umherflatternden Blätter waren verschiedene Texte – heruntergeladen und selbstgeschrieben – und Illustrationen von ihm, die er mit hochgradig paranoiden Sicherheitsvorkehrungen versehen hatte, so dass keiner, der von einem anderen Ort aus zugreifen wollte, auch nur von ihrer Existenz erfahren würde.

Wann immer Ace einen Ort zum Abschalten und durchatmen brauchte, war es dieser. Wann immer er einen Platz brauchte, an dem er sich erinnern konnte, dass er mehr war als nur ein unterhaltsames Opfer, dass er Träume und Ideen und Welten in seinem Kopf hatte, war es dieser. Mitunter konnte er hier für ein paar Stunden vergessen, dass die Realität tatsächlich so scheiße war, wie sie sich anfühlte. Und allein schon deswegen tat er alles in seiner Macht stehende, damit sich diese beiden Welten nie überschneiden konnten.

Er stieg auf einer Treppe zu Boden, die ihm aus umherflatternden Spielkarten erbaut wurde, und winkte eine der Taxiblasen näher, in der sich sein Charakter in die Polster sinken ließ. „Mortal Realms starten", meinte er, und die Blase zischte davon, hin zum Spiel, dass im Hintergrund lud.

Schließlich rutschte Ace von seinem Sitz und verließ die Blase auf einem Anwendungsstartplatz, vor breiten Toren, deren schimmerndes inneres Portal umrahmt war von schwarzen Ranken, vergessenen Waffen, mystischen Runen und zwei Engelsflügeln, die sich besitzergreifend um die Spitze des Tores schlangen. Ein typischer Spieleingang, und einer, der dem Besucher sofort verriet, was er zu erwarten hatte.

Ace trat ein, ließ sich von bunten Strudeln mitreißen und landete schließlich auf einer steinernen Plattform, die inmitten ähnlicher brüchiger Plattformen vor einem wild leuchtenden Himmel schwebte. Rundherum um ihn standen verschiedene reglose humanoide Gestalten – seine Spielfiguren. Viele davon waren nur Tests gewesen, die er nicht viel länger als einen Tag gespielt hatte, doch einer von ihnen lebte schon länger – quasi seit Jahren, begonnen damals, als John ihn an das Spiel herangeführt hatte. Es war ein Daimon namens Phantom, mit blassgrauer Haut, weißgesprenkelten Haaren und die 1,80m groß, die Ace selbst gerne wäre. Seine Hörner wanden sich in Widderform an den Seiten seines Kopfes entlang, und die Haut war hier und da von blauen Schuppen gesprenkelt.

Die Kleidung bestand aus einem der Sets, die er für Echtgeld erstanden hatte, eine Panzerung aus weißem Leder und graublauen Intarsien und Einschlüssen. Sie passte zu seiner Waffe, einem Eismagier-Kampfstab, und auch wenn Ace gestehen musste, im Spiel noch nie einen der anspruchsvolleren Kämpfe bestritten zu haben, sah die Figur zumindest aus, als ob sie dazu in der Lage wäre.

Er wachte auf, wo er zuletzt ausgeloggt war – in einer halbgefluteten Höhle, deren Wände mit schimmernden Kristallen bedeckt waren und deren Atmosphäre ihm schon beim ersten Anblick den Atem geraubt hatte. Allerdings lag das nicht nur an dem, was die Entwickler geleistet hatten, sondern auch an dem, was sie nicht geleistet hatten – eigentlich war dieser Teil des Spiels abgesperrt und sollte gar nicht zugänglich sein, und Ace war allein deswegen hier, weil er in jahrelangen Streifzügen gelernt hatte, sich an die unbetretbaren Orte zu schleichen, indem er Spielmechaniken und Bugs ausnutzte.

Der Höhlenboden unter dem Wasser war nicht richtig gerendert und fehlte zum Teil komplett, und so wurde ihm Blick freigegeben auf das Gebiet, was unter seiner versteckten Höhle lag – das neueste Verlies, an dessen Herausforderungen sich Spieler weltweit seit Wochen die Zähne ausbissen. Er hatte Nachmittage damit verbracht, versunken an Orten wie hier herumzusitzen und zu beobachten, wie sich kleine Horden tapferer Spieler von – ebenfalls kleinen, von seiner Plattform aus – Riesenmonstern herumschubsen ließen und von einer Falle in die andere liefen. Inzwischen wusste er fast genauso viel über die Funktionsweise des Verlieses wie die Spieler, die es in religiösem Eifer durchquerten.

The Games We Play (BoyxBoy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt