Häschen

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Ace hatte einen frustrierenden Mittwoch hinter sich. In der Schule hatte man ihn in Ruhe gelassen, aber das lag weniger an Ethans spontan erwachter Herzensgüte und mehr daran, dass er den ganzen Tag über gestresst und unnatürlich wachsam durch die Gänge gehuscht war, bereit, beim ersten Anzeichen von potentiell gefährlichen Mitschülern in die andere Richtung davonzulaufen. Er war einer der letzten, der sich in Klassenräumen einfand, der erste, der sie verließ, und seine Pausen wurden mit angezogenen Beinen hinter dem Bauvorhang ausgesessen.

Er hatte die Zeit wieder mit Zeichnen verbracht, und diesmal war das Motiv ein breitschultriger, martialisch angehauchter Engel, der einen kleinen, schmaleren Jungen in den Armen hielt, die Finger in seinem Haar vergraben hatte und die Wange gegen seinen Kopf schmiegte. Selbstverständlich war das ein rein zufälliges Bild, und sämtliche Gemeinsamkeiten mit real existierenden Personen waren nicht vorgesehen... zumindest versuchte Ace, sich das einzureden, die ersten zehn Minuten lang. Seine Wangen waren brennend rot, obwohl das Motiv noch vergleichsweise unschuldig war, und als die Klingel das Ende der Pause ankündigte, steckte er das Blatt in die Mitte des Blocks, wo es keiner ohne Weiteres aufdecken würde.

Jose war tatsächlich den Tag über fortgeblieben, und in den Kursen, die sie normalerweise gemeinsam hatten, sandte Ace ihm die Arbeitsblätter, sobald er einmal im Bus nach Hause saß. Den Rest des Nachmittags verbrachte er mit zocken, und sie versuchten sich an einem der Unterbosse in Marovics Palast, aber ohne Para, Andi und andere fähige Gildenmitglieder mussten sie ihre Reihen mit fremden Spielern auffüllen und waren nach kurzer Zeit am Verzweifeln. Dodge schien abwechselnd wutentbrannt und deprimiert, schimpfte über die eigenen Spieler, die fremden Spieler und den Boss, und als Duffy es wagte anzumerken, dass er selbst auch nicht besonders gut getankt hatte, verstummte der Junge und erklärte den Raid nach weiteren zehn Minuten eisernen Schweigens für überflüssig. Ace hatte das Ganze mit zunehmendem Entsetzen beobachtet. Er war jedes Mal zusammengesunken, wenn ein Wort über die ‚Scheißheiler' fiel, und fühlte sich vor den Kopf gestoßen, als Dodge den Voicekanal verließ. Ihm fehlte bei aller Harmoniesucht die Fähigkeit, mit sowas umzugehen, und Duffy machte es selbst nicht besser mit seiner Erklärung.

„Der spielt halt auch nur im Team wirklich gut... warte, bis er wieder mit Para und Andi unterwegs ist, dann dürfen wir uns anhören, was für ein geiler Tank er doch ist.", schimpfte der Junge leise, ehe er meinte: „Macht nichts, ich geh mit ner anderen Gilde die Herzkammer laufen. Willste mit, Icy?"

Ace seufzte. „Ich glaube, nach dem Erlebnis brauche ich eine Pause."

„Kann ich verstehen. Was solls... wir sehen uns heute abend, oder so. Hoffentlich ist dann das Spinnchen schon wieder da, damit Dodge aufhört zu schmollen."

Tat er nicht, wie sie feststellen durften. Spidey erklärte ihnen seufzend, dass Dodge sich für seinen Ausbruch schämte und deshalb im Moment ungern zurückkommen wollte, was Aces schlechten Eindruck zumindest ein wenig aufweichte. Bislang dachte er, dass es Dodge scheißegal war, dass seine Worte weh getan hatten – Ace ließ sich nicht gerne als dummer Nichtskönner und lernresistent beschreiben, das hatte er in der Schule schon zur Genüge – aber vielleicht hatte der Junge es ja gar nicht wirklich so gemeint. Möglicherweise hatte er nur im Zorn geredet, ohne irgendwen verletzen zu wollen, und vielleicht lernte Ace ja auch tatsächlich langsam. Er beschloss, das Urteil aufzuschieben, bis er wusste, was los war.

Dennoch ließ es sich nicht leugnen, dass die Atmosphäre eine andere war, wenn sie derart auf sich gestellt waren. Para-Runs waren anders. An Para schien alles abzuprallen. Selbst wenn er irgendwo scheiterte, federte er das mit Lachen ab und konnte auch alle anderen ermutigen, einen neuen Versuch zu starten, und Ace hatte bislang nicht erlebt, dass er seine eigenen Patzer auf irgendwen schob außer sich. In seiner Gegenwart war ein Fehltritt kein Problem, und sie konzentrierten sich einfach darauf, Spaß zu haben ... doch wenn sie einmal allein gelassen wurden mit ihren Unzulänglichkeiten und Selbstzweifeln, war es plötzlich nicht mehr nur ein Spiel. Plötzlich fühlte man sich beobachtet und beurteilt, und sobald ein einzelner von ihnen begann zu stressen, setzte sich auch der Rest mehr oder weniger bewusst unter Druck.

The Games We Play (BoyxBoy)Where stories live. Discover now