Schlussstrich (1)

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Selbst die zuversichtlichsten Gesichter – und Katherine zählte ihr eigenes dazu – fielen nach und nach in sich zusammen, als die Jugendlichen ausgestiegen und im Haupthaus versammelt worden waren. In besagtem Haupthaus, das von Anya im Vorbeigehen als besserer Container bezeichnet worden war, standen sie wild im Raum verteilt und lauschten mit den verdrossenen Mienen unausgeschlafener Teenager ihrer Einführung.

"Glaubst du, die haben hier warmes Wasser?", hörte sie Angel nicht weit von sich gehässig flüstern und verdrehte die Augen. So furchtbar war der Platz nicht, und auch nicht heruntergekommener als andere Örtlichkeiten, in denen sie auf Schülerreisen schon übernachtet hatten. Er war höchstens ... rustikal. Sie selbst konnte sich damit gut arrangieren, aber vor ihrem inneren Auge sah Katherine bereits, wie Angel und Konsorten sich ihre riesigen glänzenden Urlaubskoffer schnappen und das nächste Taxi zurück nach Kalispell verlangten.

Neben dem Aufenthaltsraum, der auf einer Seite Tische und Sitzgelegenheiten zum Essen enthielt und auf der anderen eine in die Jahre gekommene Ansammlung von Sofas und Sesseln, befanden sich im Haupthaus auch die Duschen. Wenn man der Treppe nach unten folgte, fand man außerdem Besuchertoiletten, abgeschlossene Büroräume und etwas, was von den Veranstaltern als ‚Gesellschafts- und Partyraum' bezeichnet wurde. Katherine hatte die Bilder auf der Website gesehen, und da war es ein trübe beleuchtetes Zimmer mit drei Stühlen, einem Tischkicker und alten Filmpostern an den Wänden.

Das Gelände selbst war schön – heißt, so schön, wie Montana sein konnte. Sie waren umgeben von dichten, hohen Nadelwäldern, Bergketten und dem McDonald-See mit seinen leuchtend bunten Steinbetten quasi direkt vor der Haustür. Neben den Blockhütten, in denen sie aufgrund der Temperaturen übernachten würden, gab es eine große, wilde Wiese, an deren Enden jemand improvisierte Fußballtore aufgebaut hatte, einen kümmerlichen Versuch eines Volleyball-Feldes und drei Feuerstellen, die sich sogar sehen lassen konnten.

„-haben schon viele Kurse und Tagungen für Teamstärkung vorbereitet, zum Großteil für Firmen, aber auch für Schulklassen, also kann man behaupten, dass ihr bei uns in den besten Händen seid." Neben den ihren Aufsichtslehrern sahen sich die Schüler mit den Veranstaltern ihres ‚Teambuilding-Workshops' konfrontiert. Die Leiterin war eine energische, beleibte Schwarzhaarige in ihren Vierzigern, und ihre beiden Assistenten schienen im College-Alter. „Um uns, eh, richtig einlassen zu können auf uns, und unsere Umwelt und Mitmenschen, wollen wir mal alles hinter uns lassen, was unseren Alltag normalerweise bestimmt. Das heißt einerseits kein Schulstress, aber auch kein WLan, kein Fernsehen, keine Spiele und keine Social Media. Tut einfach mal so, als könnte man mit anderen Menschen richtig von Angesicht zu Angesicht reden ... um weiteren Fragen nach dem WiFi-Passwort Mal vorzubeugen." Der Blick der Leiterin streifte dabei die Ecke mit Angels Freundinnen. Von mehreren Schülern konnte Katherine entsetztes Gemurmel hören, aber ihr selbst gefiel der Gedanke. Katherine, die stolzer Anti-Yu.Spacer war, meinte, dass es auch dem Rest nicht weh tun würde, sich mal ein paar Tage lang von oberflächlichen Onlineprofilen loszusagen.

„Das ist Menschenrechtsverletzung!", flüsterte eines der Mädchen aus besagter Clique etwas hitziger, aber die Worte gingen unter, als die Frau mit ihrem unverrückbaren Lächeln weitersprach. „Über den Verlauf der Woche haben wir mehrere Aktivitäten geplant, mit denen wir alle hier uns selbst besser kennenlernen und auch die Beziehung zu unseren Mitmenschen verbessern wollen. Heute Abend aber beginnen wir mit – eh, ja, der junge Mann dahinten?" Gemeinsam mit einigen anderen drehte Katherine sich zu Devon um, der die Hand gehoben hatte.

„Ich muss mal pissen." Hinter sich könnte Katherine jemanden Seufzen hören. Womöglich Angel, die sich an der Wortwahl störte.

„Einmal die Treppe runter." Devon löste sich aus der Schülergruppe, gefolgt von Nero und, nachdem der kurz gezögert hatte, Ethan, und die Frau hatte ihren Faden rasch wiedergefunden. „Sowas, und zu meiner Zeit kannte man das nur von den Mädchen... Also, heute Abend beginnen wir mit Lagerfeuer, da wollen wir auch den Wochenplan erläutern und Gruppen einteilen, aber bis dahin habt ihr noch frei. Seht euch um, packt aus, tut, worauf auch immer ihr Lust habt. Wir sehen uns um 18 Uhr. Bis dahin!"

The Games We Play (BoyxBoy)Where stories live. Discover now