Kapitel 6

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Er las es sich noch einmal durch, weil die Schriftzeichen so unscheinbar auf das kleine Papier geschrieben worden waren. Jemand wusste von seinem Plan. Jemand hatte ihn durchschaut. Dieser schwarzhaarige Junge mit der Narbe hat herausgefunden, dass er sich umbringen will. „Wie?", fragte sich Chan selber. „Woher weiß er das nur? Viele kaufen Bleichmittel." Obwohl Chan damit gerechnet hatte, dass früher oder später jemand auf seinen Einkauf aufmerksam wird und ihn darauf anspricht, ist er trotzdem schockiert darüber. Er wünschte sich, seine Vermutung, dass jemand auf ihn achtet, seine nur ein Hirngespinst. Nur eine reine Sache der Angst und der Nervosität. Jetzt ist es aber wirklich passiert und Chan wusste nicht, was er tun soll. Der Junge da drinnen kannte ihn nicht mal, war nur ein paar Minuten bei ihm gewesen und hat sofort gewusst, was Chan vorhatte. Dabei hat Chan überhaupt nichts auffälliges gemacht. Der Junge hat seine Blutergüsse nicht gesehen, nicht mal die alten Narben an seinen Schlüsselbein, die er sich nur dort rein geschnitten hatte, damit er nicht an seine Unterarme ging. Niemand soll herausfinden, dass es ihm eigentlich scheiße ging. Nicht seine Eltern, nicht seine Geschwister. Nur er selber. Und jetzt der Junge.

Chan packte das Bleichmittel ein und lief weiter zur Schule. Sicherlich würde er jetzt viel zu spät kommen. Die Zeit im Supermarkt ist schneller umgegangen als erwartet. „Hoffentlich sieht niemand das Bleichmittel", flüstert er leise. „Ich muss aufpassen". Während er sich an den Haltegriffen seines Rucksackes klammerten, war sein Bedürfnis sich mit selber auszutauschen groß. Auch wenn er dabei dumm von Passanten angestarrt wird, weil ein Junge ihren Weg kreuzt der mit sich selber redet. Chan hat sich schon längst daran gewöhnt und es stört ihn nicht länger. Er erreichte die Schule, wo er wie vermutet zu spät kam und Ärger von seinem Koreanischlehrer einkassierte. „Guten Morgen, Woojin", flüsterte Chan zu seinem Nebensitzer, der ihn wie immer komplett ignorierte. Chan wollte aber nicht aufgeben. Egal wie oft ihn Woojin abwies, Chan versuchte es jeden Tag aufs neuste, wie ein kleiner verprügelter Welpe, der versucht die Liebe seines gewalttätigen Besitzer für sich zugewinnen.

„Heute machen wir Gruppenarbeiten. Da ich keine Streitereien wegen den Gruppen haben möchte, werdet ihr einfach mit eurem Nebensitzer die Aufgaben machen." Als Woojin hörte, dass er mit Blondkopf zusammenarbeiten musste, rollte er genervt mit den Augen. Das machte seinen Tag schlimmer. „Okay, du machst die ersten beiden Aufgaben und ich die zwei letzten", sagte er ohne sich mit Chan wirklich abgesprochen zu haben. Chan war aber damit einverstanden und freute sich insgesamt, dass er mit Woojin arbeiten durfte. Er mochte ihn, obwohl er ihn immer so schlecht behandelte. Immer wenn er versuchte mit ihm zu reden, musste er lächeln, um nicht traurig zu werden und letztendlich weinte, weil er die Ignoranz seiner Mitschüler, insbesondere Woojin, nicht mehr aushalten konnte. Das durfte er nicht. Nur Lächeln, egal was sein Mitschüler sagte. „Hey, Woojin, weißt du was da reinkommt?", fragte er ihn, als er nicht mehr weiter wusste. „Nein?", sagte Woojin obwohl er die Antwort darauf wusste. Er wollte einfach nicht mit Chan reden. „Naja, danke", sagte Chan leise und versuchte es selber zu lösen. Wenig später nervte Blondkopf wieder. „Wollen wir was in der Mittagspause machen? Ich will wirklich dein Freund werden", sagte Chan etwas schüchtern aber das musste er einfach mal gesagt haben. Woojin lachte ihn innerlich auf. Wie dumm und naiv muss Blondkopf sein, um zu wissen, dass Woojin kein bisschen Interesse hatte, sein dummer Freund zu werden?

„Nein, keine Zeit und jetzt mach die Aufgaben", ermahnte Woojin ihn. Chan zwang sich zu einem Lächeln, weil er gerade ziemlich verletzt wurde. Er zog seinen Mundwinkel noch weiter nach oben und leckte sich über die Unterlippe. Seine Zähne blitzten zwischen seine Lippen. Ein leises Kichern entwich seinem Mund. Dann schaute er seine Antworten wiederan. Blondkopf dreht wieder mal durch. Wieder dieses kranke Grinsen. Diese Reaktion war einfach nur dumm von ihm. Wenn er nur wüsste,dass Chan gerade einen Zusammenbruch stand hielt.

In der Mittagspause lästerte Woojin mit Minho über Chan. Sie sprachen so laut, dass er es hörte. Minho grinste Chan mit einem amüsierten Lächeln an. „Der geht bestimmt bald in die Klapse", sagte er zu Woojin. Chan lächelte wieder und machte sich auf seinen Stuhl klein, streckte seine Hand nach seinem Rucksack aus, weil dort drinnen das Bleichmittel versteckt war. Seine Rettung. Bald würde er diese schmerzhafte Welt endlich verlassen. Niemand wird ihn je wieder weh tun. Kein weiteres Mal. Chan atmete tief durch und zog die Hand aus dem Inneren des Rucksackes raus. Durchhalten und lächeln. Lächeln bis es weh tut. Er musste an den Jungen im Supermarkt denken. Wieso auch immer. Er musste an seine Wörter denken: Bitte, bring dich nicht um. Als würde er sich um ihn Sorgen. Er kannte ihn nicht mal. Er wusste doch rein gar nichts über ihn und doch weiß er mehr als Chans eigene Eltern.

Nachdem die Schule fertig ist, beschloss er nochmal zum Supermarkt zu gehen. Irgendwas in ihm wollte dort wieder zurück, wollte nochmal den Jungen sehen, der ihn durchschaut hatte. Chan wollte nur jemand, der ihn verstand, denn er war so alleine. Er sehnte sich nach Freundschaft mehr als alles andere auf der Welt. Ausgenommen den Tod. Chan war es egal, ob er ausgenutzt wird, ob man ihn mobbte, denn das war doch eine Art von Zuneigung, oder? Vielleicht war der Junge vom Supermarkt ja genau so. Er machte sich einen Scherz darum, Chan auf sowas hinzuweisen. Er hörte ja öfters, dass er sich endlich umbringen sollte. Aber der Kontext stimmte nicht. Auf dem Zettel stand das genau das Gegenteil.

Btw hat mich ein Hyunchanoneshot für die FF inspiriert :) Hab das vergessen zu erwähnen


Cry for me, Chan (Hyunchan FF)Dove le storie prendono vita. Scoprilo ora