Die Bäume

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N'ug Xi Wang Tang musste in ihrem letzten Leben eine wirklich schreckliche Person gewesen sein. Das war die einzige logische Erklärung für das Ganze. Und jetzt musste sie dafür bezahlen.

Nur deshalb saß sie jetzt auf einem Londoner Bahnhof, von ihrer Familie und der zivilisierten Welt verstoßen. Und nun tat sie alles erdenkliche, um ihrer neuen Familie nicht zu missfallen, auch wenn diese aus einer Horde Ghule zu bestehen schien.

Sie hätte definitiv ein besseres Kind sein sollen, als sie die Chance dazu gehabt hatte.
Sie hätte weglaufen sollen, als sie die Möglichkeit dazu gehabt hatte. Und es hatte viele gegeben. Der Zug hatte, auf seinem Weg von Kunming nach London Kings Cross, genau sechsmal angehalten. Sie hätte also überall in Agra, Budapest oder Paris aussteigen können und somit ihrem Schicksal entkommen können.

Das Problem von ihr war, N'ug Xi Wang Tang wusste, dass sie absichtlich gehorsam war. Sie gehorchte widerwillig, aber sie gehorchte ausnahmslos. Verrückterweise verursachte sie immer nur tadellosen Ärger, es war ein Talent von ihr. Als Tochter geboren zu werden, als eher ein Sohn mit ihrem perfekten wissenschaftlichem Charakter in die Pläne ihrer Großmutter gepasst hätte, war der Beginn ihres natürlichen Eigensinns gewesen. Warum sollte man sich die Mühe machen, eine Hexe behütet großzuziehen, wenn sie ihre geförderten Talente in eine andere Familie mitnahm, sobald sie im heiratsfähigen Alter war. Und dann hatte sie, noch die unsagbare Frechheit besessen und sich von einem Werwolf beißen lassen. Und als wäre dies alles noch nicht genug gewesen, hätte sie den Angriff auch noch überleben müssen, was zur Folge hatte, das es die monatliche Vorbereitung des Wolfbanntrankes erforderte. Natürlich hatte ihr Versuch, sich in ihre eigene Behandlung einzubringen und somit die Last von den Schultern ihrer Großmutter zu nehmen, ihr angeborenes Talent für Zaubertränke offenbart, was wiederum viel Zeit, Mühe und Unkosten in die Förderung ihrer Begabung kostete.

Wäre sie ein Mann oder nicht davon betroffen darauf zu achten, dass sie sich nicht bei jedem Vollmond verwandelte, wäre ihre Leistung selbst eine Zaubertrankmeisterin zu werden, für die Familie N'ug von großem Wert gewesen. Aber so wie die Dinge lagen, war sie für ihre Familie praktisch wertlos. Und nun war es ihre Gelegenheit, so fragwürdig sie auch sein mochte, einmal etwas richtig zu machen.
Es war genau das, was sie verdient hatte, sie war ins Ausland verschickt worden.

Das bedeutete allerdings nicht, dass sie auch glücklich zu sein hatte.

Es war nicht weniger als sie verdient hatte, so an Ausländer verschickt zu werden.
Sie waren nicht nur Ghule, sondern auch viel zu spät dran.

Riesige, unpünktliche Ghule mit pastösen Gesichtern. Fünf an der Zahl. Der einzige Mann, der deutlich älter war als die anderen und dessen schwarzes Haar von einigen grauen Strähnen durchzogen war, sprach sie an. „Madame N'ug Xi Wang Tang, nehm ich an?"

Seine Stimme hatte etwas hypnotisches und Xi stellte fest, dass sie sich ihre Brille am Ärmel abwischte, um ihn nicht anzustarren.

„Ich muss Sie vielmals darum bitten, uns unsere unverzeihliche Verspätung zu entschuldigen, aber Ihr Bräutigam konnte sich nicht entscheiden, welchen Umhang er anziehen sollte. Sie werden mit Sicherheit selber noch Gestellen können, wie unheimlich Eitel er ist!", fuhr die leise Stimme fort.

„Er ist praktisch ein Mädchen.", warf eine andere Stimme knapp ein.

„Als das einzige Mädchen in dieser Familie, ärgere ich mich ein wenig über diese Bemerkung!", kommentierte eine weiter Stimme.

Mein Leben an seiner SeiteWhere stories live. Discover now