Die erste Begegnung

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Die Stäbchen klimperten zwischen seinen Fingern und an der Schüssel. Genussvoll schlürfte er eine Nudel nach der anderen. So wie er reingehauen hatte, musste er ja am Verhungern sein. Ich schob die dampfende Schüssel, welche zwischen mir und Jackson war, näher zu ihm. „Du kannst sie haben.“ Seine großen braunen Augen sahen mich fragend an. „Aber…das sind deine…eigentlich sollte ich…“ Er wischte sich den Mund mit einer Serviette ab.  Ich schüttelte den Kopf. „Ne, ich hab sowieso nicht mehr so ‘nen großen Hunger.“ „Aber…aber…“, stotterte er verwirrt. „Nein wirklich, du kannst es aufessen.“ „Wirklich?“, fragte er verunsichert. Ich nickte. Er senkte seinen Blick auf die dampfende Nudelsuppe und schluckte den Rest der Nudeln, den er noch im Mund hatte hinunter. "Du hast was gut bei mir. Ich bin einfach so am Verhungern.“ Er schaufelte in der Schüssel herum und aß die Nudeln in einer unglaublichen Geschwindigkeit. Was machte ich eigentlich noch da? Wieso sah ich ihm beim Essen zu? Ich hatte doch Besseres zu tun, als einem Typen beim Nudelsuppen schlürfen zuzusehen. Ich nahm mein Handy in die Hand, um zu sehen, wie spät es war. Zeit hatte ich noch, aber wieso sollte ich bei einem Typen, den ich nicht einmal wirklich kannte bleiben?
Jackson stellte die Schüssel erschöpft auf den Tisch, lehnte sich zurück und seufzte. War er etwa schon fertig? Neugierig bückte ich mich etwas nach vorne und starrte in die Schüssel. Leer. Vollkommen leer, keine einzige Nudel war zu sehen. Ich sah ihn mit großen Augen an. „Seit wann hast du nichts mehr gegessen, so schnell wie du gerade warst.“, sagte ich verblüfft. „Whoaaa….das  hab ich gebraucht. Man war das lecker.“, meinte er begeistert. Ich sah ihn immer noch verblüfft an. „Ich schulde dir ‘ne Schüssel Ramen…“

Wenig später.
Jackson hielt mir wie ein Gentleman die Tür auf. „Das hättest du wirklich nicht machen müssen, ich kann auch selber die Türe öffnen.“, meinte ich. Er seufzte und sah mich mit hochgezogener Augenbraue an. „Jaja, schon gut…ich geh ja schon.“ Als hätte er mir, mit bloßem ansehen, befohlen zu gehen, verließ ich den Laden und wie es nun mal sein musste, stolperte ich über die kleine Türschwelle. Jackson versuchte zwar mich noch rechtzeitig aufzufangen,  doch bevor ich überhaupt reagieren konnte, lag ich schon auf dem Boden. Ja, es hat wehgetan und ja, es war peinlich. Ich wäre am liebsten im Boden versunken.  „Oh mein Gott, alles in Ordnung?“, fragte er mich. Nein, wartet. Es war nicht Jacksons Stimme. Ich sah auf. Jemand kniete neben mir und legte seine Hand auf meinen Rücken. „Alles okay…“, sagte ich und sah die Person an. „Mark?“, fragte Jackson verblüfft. Es war also Mark. Er nahm mich an der Hand und half mir auf. „Geht’s dir gut?“, fragte er mich besorgt. Ich nickte. „Ist schon okay, danke.“  Ich klopfte meine Hose vom Dreck ab. „So wie deine Haare im Gesicht liegen, kann man nur stolpern.“, sagte Mark und lächelte. Okay, was war das jetzt? Wollte er mich etwa gerade veräppeln? Sofort streifte ich meine Haare hinter die Ohren, doch meine Stirnfransen fielen immer wieder nach vorne. Sie waren eindeutig schon wieder zu lang. „Ich werde dann mal gehen…“, meinte ich. Ich konnte Mark nicht in die Augen schauen, nicht einmal Jackson. Die Situation war zu peinlich. Schüchtern hatte ich den Kopf gesenkt und beugte mich ein wenig, dann drehte ich mich um, um zu gehen. „Hey, warte!“, rief mir Jackson hinterher. „Das gehört doch dir…hast du letztes Mal verloren, ich glaube das könntest du gut gebrauchen.“, sagte er und hielt mir ein Haargummi entgegen. Das war mein Haargummi. „Danke, aber du hättest es wirklich nicht aufheben müssen, ich hab noch genug davon.“, meinte ich zu ihm. Er verdrehte seufzend seine Augen. „Kannst du dich nicht einmal nur bei mir bedanken?“, fragte er und lächelte. „Danke…“  

POV Mark

Ich war gerade auf dem Weg zum Lebensmittelladen, wo Jackson eigentlich etwas zu Essen kaufen wollte, doch kurz bevor ich den Laden erreicht hatte, sah ich, wie ein Mädchen über die Türschwelle stolperte. Reflexartig lief ich zu ihr. „Oh mein Gott, alles in Ordnung?“, fragte ich besorgt. Sie sah mich an. Obwohl es schon etwas dunkel war, konnte ich ihre glasigen Augen erkennen. „Alles okay…“, antwortete sie mir. Ich half ihr auf. Ihre zierliche kleine Hand fühlte sich zittrig an. „Alles okay?“, fragte ich sie erneut. Sie nickte, aber ich wusste, dass nicht alles in Ordnung war. Sie musste Schmerzen haben. Sie senkte ihren Kopf und sah zu Boden. Ihre langen Haare verdeckten ihr Gesicht. Mit einem kleinen Witz wollte ich sie etwas aufheitern, der aber wohl in die Hose ging. Sie meinte, sie müsse gehen und drehte sich dann um und  ging. Ich sah ihr nur noch besorgt nach.

POV ENDE

Ich kam endlich zu Hause an und mittlerweile war mir der Hunger vergangen, nach dieser peinlichen Situation. Nachdem ich im Bad war, legte ich mich erschöpft ins Bett und starrte die weiße Decke an. „Sie werden mich sowieso nicht mehr sehen.“, meinte ich optimistisch. Meine Augenlieder wurden schwerer und schwerer, schon fast so schwer wie Blei. Langsam schlossen sich meine Augen und ich versank in den Schlaf.

Es war Vormittag. Der Wind war erfrischend kühl, die Sonne strahlte und der Himmel war wolkenlos. Ich stand mitten auf einem Spielplatz. Allein. Es waren keine Kinder zu sehen. Nur alte Schaukeln, die zum Teil noch hingen. Eine rostige rote Rutsche. Ein Sandkasten, welcher mit Unkraut und Pflanzen bedeckt war. Eine Drehscheibe, welche sich mit dem Wind mitbewegte und Kletterstangen, welche schon so sehr abgenutzt waren, sodass die Lackierung abging und man das bloße Metallrohr sehen konnte. Was machte ich auf den Spielplatz? Es waren keine Kinder zu sehen, doch wieso hörte ich Kinderstimmen? Ich sah mich überall um, doch es war nichts zu sehen. „Halt dich fest!“, rief eine Jungenstimme. Ich folgte der Stimme. Hinter einer kleinen Hecke war eine Wippe. Zwei Kinder saßen darauf. Ein Junge und ein Mädchen. Schon wieder. Der Junge hatte eine grüne Jacke an. Meine Jacke. Die beiden lachten fröhlich und schaukelten hin und her. „Hallo, ihr da?“, fragte ich. Doch die zwei hörten mich nicht. Sie spielten fröhlich weiter. „Könnt ihr mich hören?“ – keine Antwort. Es war so, als wäre ich Luft gewesen. Als wäre ich nicht da. Als wäre ich nur in einem Traum. Ein Traum? Plötzlich wurde es hell, extrem hell. Ich konnte nichts mehr sehen. Doch so schnell das Licht auch erschien, so schnell war es auch wieder weg. Ich stand nun in völliger Dunkelheit. „Lin Lin!“, rief die Jungenstimme. „Wach auf! Du darfst nicht sterben!“

Wie aus dem Nichts, riss ich meine Augen auf und musste tief Luft holen. Mein Herz klopfte wie verrückt. „Es war schon wieder ein Traum.“ Seufzend setzte ich mich auf und sah auf die Uhr – 3:45 Uhr. „Ich muss doch verrückt sein…“ Ich wischte mir mit der Hand über das Gesicht, dann stand ich auf und ging in die Küche, um etwas zu trinken. Auf den Weg zur Küche fand ich die grüne Kinderjacke auf dem Sessel, welche ich letztens dorthin geworfen hatte. Ich nahm sie in die Hand. Sofort musste ich an den Traum von zuerst denken. „Was hat das zu bedeuten?“

Damals vor 14 Jahren (Got7 Mark FF)Where stories live. Discover now