Jahre und Stunden kann man schon mal verwechseln...

742 56 54
                                    

Drei Tage.
Drei Tage brauchte ich, um Hank Pyms Notizen zu entschlüsseln – eine weitere Woche, um sie zu verstehen.
Dann machte ich mich auf den Weg nach San Francisco.

Als ich schon im Jet saß, rief ich wieder Sharon an, ließ allerdings keinen Kommentar zu dem Baby fallen.
„Das FBI hat nicht zufällig Scotts alte Sachen sichergestellt?"
„Nicht, dass ich wüsste", kam prompt die Antwort, „Und verraten würden sie's sicher auch nicht. Das FBI ist mir gegenüber misstrauisch geworden."
„Meine Suche hat auch nichts ergeben", gab ich unzufrieden zu, „Jetzt mache ich's auf die altmodische Art."
„Viel Glück!"

*

Die „altmodische Art" hieß: Befragung.
Scotts Tochter hatte den Snap überlebt, aber ich war dennoch nicht froh, sie behelligen zu müssen.
Pym hatte die richtigen Einstellungen notiert, um Ant-Man zurückzuholen, aber ich konnte niemandem Erfolg versprechen. Ich hoffte einfach, dass Cassandra Lang eine starke Persönlichkeit hatte...
Sicherheitshalber hatte ich ein Glas Honig im Jet.
Heiße Milch und Honig halfen beim Einschlafen.

Ich klingelte brav an der Haustür und wartete geduldig, bis ich von Angesicht zu Angesicht mit der Sechzehnjährigen war.
Sie musterte mich misstrauisch, dann erkannte sie mich augenscheinlich.
„Oh nein."
Sie machte Anstalten, die Tür sofort wieder zu schließen, da stellte ich meinen Fuß dazwischen: „Oh doch."

„Ich kann nicht über meinen Dad reden." Klug war sie.
„Gäbe es einen anderen Weg, hätte ich ihn ergriffen", versicherte ich, „Und ich habe Honig dabei."
„Ich habe selbst welchen im Haus", erklärte sie kühl, „Wie, glaubst du, könnte ich sonst schlafen?"

Oha... Das Gespräch war unangenehmer, als ich erhofft hatte.
Seufzend verschaffte ich mir nun selbst Zugang zum Flur und stellte mein Mitbringsel erstmal auf der Kommode ab.
„Nur kurz, ja?", bat ich, Cassandra nicht aus den Augen lassend. „Es würde mir sehr helfen."
Irritiert musterte sie mich. „Du hast meine Akte gelesen."

Jap, die ganze „Ich möchte Leuten helfen"-Sache.
Hoffentlich würde das jetzt mir helfen.
„Habe ich", gab ich unumwunden zu, „Und ich muss wissen, wo die alten Sachen deines Vaters aufbewahrt werden."
„Warum?", noch immer misstrauisch verschränkte sie die Arme.
Ich wollte ihr nicht verraten, dass ich die Chance hatte, ihren Vater zurückzuholen. Diese Hoffnung zu zerstören wäre grausam, das hatte Steve ganz richtig festgestellt. Und das hier, das war Plan B.
Eine weitere Möglichkeit hatte ich nicht.

„Ich verfolge einen Plan. Und meine Pläne funktionieren meistens, wenn meine Partner kooperativ sind."
„Ich bin nicht dein Partner."

Ich hatte ein gutes Gedächtnis.
Ich konnte mich sehr gut an meine Teenagerzeit erinnern, ich nahm Cassandra ihren Sturkopf nicht übel... Nur war ich mit sechzehn auf dem Schlachtfeld gewesen, nicht in dessen Trümmern.
„Hilfst du mir trotzdem?"

Sie schnaubte. „Ich komme aber mit."
Ich zog die Augenbrauen hoch: „Es könnte sein, dass alles in die Luft fliegt, mitsamt der anwesenden Personen."
„Gut, dann muss ich sowieso ins Totenreich, um dich anzuschreien."
„Mach dir keine Umstände."

*

Wir liefen zu dem Ort, wo auch immer Scotts Tochter mich hinführte.
Er war wohl nicht allzu weit weg, und ich war mit dem Quinjet hier, daher blieb uns genügend Zeit, uns ordentlich zu unterhalten.
Was wir natürlich nicht taten.
Cassandra ignorierte mich konsequent, und ich konnte sie durchaus verstehen – allerdings war sie laut Akte eher eine Frohnatur, was mich dann doch etwas wunderte. Thanos' Machenschaften hatten uns alle verändert... Auch Scotts Tochter war viel zu früh auf sich alleingestellt worden.

Die Lagerhalle, zu der sie mich führte, war vollgestellt von allem möglichen Kram.
Cassandra verschränkte nur ihre Arme und sah mich herausfordernd an, aber ich hatte gar nicht vor, wie ein streunender Hund in dem Ramsch zu wühlen.
„Oscar, scanne auf unbekannte Energieströme."

„Scan negativ, Gracie."
Cassandra zog ob meiner sprechenden Brille die Augenbrauen hoch, sagte aber nichts. Auch ich fuhr ungerührt fort: „Okay, dann..." Ich warf einen kurzen Blick an die mit einem Klebezettel markierte Stelle im Notizbuch: „Dann zeig mir den braunen Van hier."
Ich hörte Cassandra scharf einatmen, folgte aber unverzüglich dem Weg, den Oscar mir anzeigte.

Ich fand die Tastatur für den Quantenraum auf Anhieb.
Prüfend hielt ich das Buch daneben, dann legte ich meine Finger auf die Knöpfe. Ich schickte Cassandra einen warnenden Blick: „Wenn das hier funktioniert, dann schreie bitte nicht. Und wenn das nicht funktioniert, dann... hoffen wir, dass du überhaupt noch schreien kannst."
Ich hatte keine Erfahrung mit den Quanten und aktivierte sicherheitshalber das New Kid-Programm.

Ich atmete tief durch.
Das hier musste- ...
Okay, nein. Nicht nachdenken, einfach... einfach machen. Auch eine gründliche Analyse würde das Risiko nicht verändern, also - Augen zu und durch.
Dieses Mantra war sogar mir neu. Nicht nachdenken.

„Also, wenn dein Plan schiefgeht, fliegen wir in die Luft", holte Scotts Tochter mich in die Realität zurück, „Was passiert dann, wenn er funktioniert?"

Ich gab ihr keine Antwort, sondern drückte die entsprechenden Knöpfe und Hebel.

*

Und Cassandra schrie doch.
Also, es war nicht so, dass der Plan fehlschlug, und es war noch alles in Ordnung, als der Van zum Leben erwachte.
Aber als dann ihr Vater herausgeschossen kam...

Ich hätte vermutlich auch geschrien, wenn ich meinen Dad nach fünf Jahren so unvermutet wiedersehen würde.
Und Scott schrie übrigens auch.

Seine Tochter schlug sich jetzt eine Hand vor den Mund und kniete sich vor Ant-Man, der vollkommen verwirrt inmitten seiner Sachen lag.
„Du bist am Leben..."
Ah, jetzt hatte er verstanden, dass sie tatsächlich Cassandra Lang war: „Cassie, was... Du bist so groß!"

Ungeduldig wartete ich die rührende Szene ab, dann fiel Scotts Blick endlich auf mich: „Wer bist du?"
Wo war mein T-Shirt, wenn ich es brauchte?
„Gracie Stark", gab ich aus Ermangelung des praktischen Aufdrucks Auskunft, „Und ich habe dich hierhergeholt, bitte, gern geschehen. Wie lang warst du da drin?"
Scott ergriff die Hand seiner Tochter: „Ja, wie lang war ich da drin?"
Meine Frage zuerst. „Wie lang warst du da drin?"
„Wie lang war ich da drin?"

War das sein Ernst? „Lang..."
„Ist ja schon gut, fünf Stunden. Jetzt du."
„Fünf Jahre..." Meine Augen weiteten sich. Ja, verdammt!
Aber Scott war noch immer verwirrt: „Was ist denn überhaupt passiert?"
„Alles", gab ich die Kurzzusammenfassung, „Die Avengers haben gegen einen Verrückten aus einem anderen Universum verloren und die Hälfte der Weltbevölkerung wurde ausgelöscht. Wir suchen seit Jahren nach einem Weg, sie zurückzuholen, und jetzt..."
Unser beider Blicke schweiften zum Transporter. „Back to the future?", fragte er.
Ich schnaubte: „Sicher nicht. Aber wenn wir irgendeinen Weg finden..." Kurz entschlossen stand ich auf. „Ich erkläre dir alles auf dem Weg nach New York. Zeit für die Avengers."

„Moment mal", erhob Cassie Einspruch, „Ich habe dich gerade erst wiedergefunden. Ich kann dich doch nicht einfach so wieder gehenlassen!"
Ich öffnete schon meinen Mund, da gab Scott ihr einen Kuss auf die Wange: „Ich weiß, dass du es kannst. Daddy hilft Leuten, oder? Und diesmal lässt er sich nicht von Zeiteinheiten verwirren."

***

Und hiermit hat Endgame offiziell begonnen.
We're in the endgame now.

Okay, das konnte ich mir nicht verkneifen...😅😉

Iron Kid ~ Plan BWhere stories live. Discover now