Ob 13 oder 34 - Clint spielt Kummerkasten für alle

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Es war mitten in der Nacht, als ich hochschreckte.
Ich wusste nicht, was mich geweckt hatte, und sah mich kurz orientierungslos um. Ich war nicht in meiner Etage...

Ich musste im Gemeinschaftsraum eingeschlafen sein, in einer denkbar ungünstigen Position auf dem Schreibtischstuhl. Klar, ich hatte mich gestern Abend noch erfolgreich mit der amerikanischen Regierung herumgeärgert – wenigstens war Ross jetzt in einer geschlossenen Anstalt.

Mit verzerrtem Gesicht streckte ich mich und tastete mit der rechten Hand nach meinem verspannten Nacken.
Resignierend wollte ich mich schon in meine Etage begeben, da ließen Stimmen mich innehalten: Aus dem Nebenraum drang das Gemurmel von Nat und Lila.
Stirnrunzelnd trat ich in den Türrahmen.

Vielleicht war es nicht richtig, zu lauschen, aber ich war hier, um im Hintergrund die Probleme der Avengers zu lösen. Und dazu gehörten auch psychische Angelegenheiten...

„Ich habe getötet, Nat", hörte ich Lila tonlos sagen, „Ich habe zwei Menschen ermordet."
Ich schloss kurz die Augen.
Sie war dreizehn, noch jünger als ich damals im Civil War.
Sie hatte viel zu viel gesehen, als dass ihr zarter Geist das einfach so wegstecken könnte...

„Du hast zwei Leben genommen, das ist richtig", gab Natasha mit sanfter Stimme zu, „Aber du hast das Richtige getan, hast damit so viele Menschen gerettet... Du hast deine Familie beschützt, deinen Dad. Und er kann deshalb die gesamte Welt schützen."
Ich konnte die beiden nicht sehen, aber sie mussten sich auf dem kleinen Sofa niedergelassen haben. Hören konnte ich jedoch sehr gut, wie Lilas Atem sich beschleunigte und ihre Stimme verzweifelter wurde: „Warum fühlt es sich dann so falsch an? Ich habe meine Familie beschützt, aber was ist mit den Familien der... der Toten? Hatten sie... Kannst du rausfinden, ob sie eine Familie hatten?"

Mein Kopf zuckte hoch, und durch meinen verspannten Hals fuhr kurz ein brennender Schmerz. Das ignorierend weiteten sich meine Augen vor Mitleid...
Oh, Lila.
„Ich könnte, meine Kleine, aber ich werde dir das nicht antun. Je weniger du über die Agents weißt, desto besser, glaub mir."
„Ja, besser für mich", schnaubte Lila ungewohnt bitter, „Aber was ist mit ihnen? Ich muss ihnen doch erklären... Ich muss mich entschuldigen!"
„Das musst du nicht, Lila." Natasha war noch immer ruhig, aber in ihrer Stimme schwang nun ein drängender Ton mit: „Schließe das Kapitel ab, Kleine. Sonst bekommst du Probleme, sonst kannst du plötzlich nicht mehr... leben, mit diesen Gedanken."
„Aber das ist so egoistisch!" Kleidung raschelte, als Lila unruhig aufsprang. „Weil sie nicht mehr leben können!"
Auch Nat schien jetzt aufzustehen, und ihre Worte wurden eindringlicher: „Das ist es nicht, Lila. Du bist vieles, aber nicht egoistisch, hörst du? Egoistisch wäre es, wenn du nicht in den Kampf eingegriffen hättest – aus Angst vor Verletzungen oder deinem eigenen Gewissen. Auch das wäre in Ordnung gewesen, weil du ein Kind bist. Aber du hast beschlossen, für deine Liebsten zu kämpfen... Und das macht dich stark."

„Ich fühle mich nicht stark."
Ich schluckte hart. Lila weinte leise in Natashas Umarmung... Aber es gab nichts, das ich für sie tun konnte.
„Wann hört es auf?", fragte sie verzweifelt, „Wann sehe ich ihre Gesichter nicht mehr, sobald ich die Augen schließe?"
Natashas Schweigen malte ein furchtbares Wort in die Luft: Niemals.

„Du musst da nicht allein durch", versprach die Black Widow ihrer Nichte, „Es ist nicht leicht, aber wir schaffen das – gemeinsam. Schlaf heute Nacht bei deinen Eltern, ja? Sie können dich immer noch beschützen."
Lila schniefte leise. „Aber ich bin dreizehn, Nat."
„Das Alter spielt doch keine Rolle", protestierte die Ältere sanft, „Es ist okay, Schutz zu suchen. Es ist okay, Schmerz zu zeigen."

Auf meinen Lippen breitete sich ein trauriges, schmerzerfülltes Lächeln aus.
Natasha und Lila schwiegen kurz einvernehmlich, dann seufzte die Jüngere. „Okay, ich... Ich werde dann mal... Gute Nacht, Nat."
„Schlaf gut, meine Kleine."
Ich nahm ein paar Schritte Abstand, als Lila sich der Tür näherte. Die Barton hielt aber nochmal inne: „Danke."
„Für dich immer."

Lila bemerkte mich nicht, als sie in Richtung der Wohnetagen eilte.
Vor Natasha hätte ich mich sicher nicht verbergen können, aber die blieb noch eine ganze Weile im Nebenraum, von dem nun ein schwacher Lichtschein nach außen drang.
Zögerlich trat ich zu ihr.
Sie hatte Hologramme aufgerufen, die Akten einiger der heute gestorbenen Agents. Und ja, sie hatten ausnahmslos Familie gehabt... Ich verengte irritiert die Augen. Das waren nicht diejenigen, die durch Lilas Kugeln gefallen waren.

Natasha sah mich stumm an, als ich den Ordner öffnete, in den sie die Akten geschoben hatte. Sie wirkte nicht überrascht wegen meiner Anwesenheit.
Und der Ordner offenbarte mir weitere Akten... Hunderte Links zu Adressen von Familien. Sie waren vielfältig, quer über die Welt verteilt, aber eines hatten sie alle gemeinsam: Den Todesgrund ihrer Verwandten. Executed by Black Widow.

Mein Atem wurde schwerer, als ich Blickkontakt zu Natasha aufbaute. Ein Sturm tobte in ihrem faszinierenden Grün...
Auch sie war nicht egoistisch. Ganz und gar nicht.
„Jeder einzelne", stellte ich tonlos fest, doch in ihrer Miene regte sich nichts. Und ich spürte Mitleid mit ihr... Tiefes, ehrliches Mitleid.
Ich griff nach Natashas Hand, und kurz zuckte ein irritierter Ausdruck über ihr Gesicht. Dann hatte sie sich wieder unter Kontrolle...
„Es ist okay, Schutz zu suchen", wiederholte ich ihre Worte, „Es ist okay, Schmerz zu zeigen."

Sie sah mich an, und sie lächelte.
Aber dennoch war es ausschließlich Trauer, die aus ihren Augen sprach.
„Nicht für mich."
Ich hielt unseren Blickkontakt, konnte aber nicht protestieren.
Natashas seelischer Schmerz war enorm... Und es gab keine Möglichkeit, ihn zu verkleinern – er war zu sehr angewachsen über die Jahre. Jahrzehnte voller Schuld.

Ich erzwang ein Lächeln.
„Vielleicht solltest du auch mal bei Clint schlafen." Ich nickte zu der Kette um ihren Hals, die den Pfeilanhänger eindeutig präsentierte. „Er hätte sicher nichts dagegen."
„Hätte er nicht", Natashas Lächeln war jetzt ehrlich, aber sie schickte sich dennoch an, zu gehen.
„Sorg dafür, dass sie bald zurück auf die Farm können. Sie brauchen Abstand."

Seufzend sah ich ihr nach.
Ich konnte Natasha nicht helfen... Ich konnte einzig und allein ihren Wunsch erfüllen.
Resignierend beschloss ich, zu Loki in meine Etage zu schlüpfen. Vielleicht konnte ich ja eine Massage abstauben.

***

Soo, die Aufregung ist ja jetzt größtenteils vorbei. Was sagt ihr zu Nats Auftreten in diesem Kapitel?🙃

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