Kapitel 52

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Das warme Wasser benetzte meine Haut. Sanft perlten die Tropfen von meinen fettigen Haaren hinab über meine Nase und mein Kinn. Ich bückte mich und öffnete das Shampoo. Ein betörender Duft benebelte mir die Sinne und ließ mich an die Zeit zurückerinnern, als ich noch abends in aller Ruhe zu Hause hatte duschen können. Der Schaum des Shampoos ließ sich rasch in meinen Haaren verteilen. Ich spülte es aus und machte mich an die Körperpflege. Der Schorf an meinen Beinen zeichnete die Spuren der vergangenen Wochen ab. An einigen Punkten löste er sich bereits, doch als ich mit dem Fingernagel aus Versehen hinter eine blöde Stelle gelangte, pikste es einmal kurz und gleich darauf rann das Blut mein Schienbein herunter und vermischte sich mit dem klaren, rauschenden Wasser.

Frisch geduscht, mit dem Handtuch um meinen nackten Körper putzte ich die Zähne und kämmte meine Haare, ehe ich mich eincremte und anzog. Meine Lider waren scher. Das warme Wasser hatte sein Übriges getan, und ich verspürte eine so heftige Müdigkeit, wie schon lange nicht mehr.

In dunkelblauer Jeans und einem lässigen, schwarzen T-Shirt verließ ich das Badezimmer und lief die Treppe hinab. Die Jungs saßen im Wohnzimmer. Noah hatte zwei Akten vor sich auf dem Sofa liegen, Miles saß auf dem Teppich, mit dem Rücken an den Couchtisch gelehnt und Jake starrte vom Sessel aus Löcher in die Luft.

»Das Bad ist frei.«, sagte ich zu Jake, dem einzigen von uns, der noch Kleidung des MCC trug.

Gedankenverloren sah Jake mich an. Ich deutete mit der Hand in Richtung Treppe. Träge setzte sich Jake auf und machte sich auf den Weg.

Noah räumte die Akten zur Seite, damit ich mich zu ihm setzen konnte. Erschöpft ließ ich mich auf das bequeme Sofa fallen. Noah legte seinen Arm um mich und drückte mich fest an sich, ehe er sich vorbeugte und meinen Haaransatz küsste. Miles, der bislang konzentriert auf der Tastatur seines Laptops getippt hatte, guckte nun hoch.

»Die Couch ist gemütlich.«, stellte Noah fest, doch es kam mir vor wie eine Ablenkung vom eigentlichen Thema, das ganz klar auf der Hand lag. Und zwar Miles neugieriger Blick, der fragend auf Noah und mir haftete.

Müde winkelte ich die Beine an und schlang die Arme um Noah, sodass ich in eine liegende Position geriet, in der ich mich wohl fühlte.

»Ich könnte momentan sogar auf einem Nagelbrett schlafen.«, sagte ich und vergrub mein Gesicht in dem weichen Stoff seines weißen T-Shirts und der geöffneten, schwarzen Sweatjacke darüber.

»Würde ich dir nicht empfehlen.«, wisperte er.

»War mir klar.«, erwiderte ich kaum hörbar.

Miles stellte den Laptop auf den Tisch und streckte seine Arme aus, um sich ein wenig zu dehnen. »Hast du schon irgendwas aus den Akten erfahren können?«

Ich spürte das Heben und Senken von Noahs Brust an meiner Wange. Seine Hand, die zärtlich meinen Arm streichelte, stockte.

»Irgendwelche Ideen?«, hakte Miles nun weniger erwartungsvoll nach.

Noahs Schweigen dauerte an.

Schließlich atmete Miles geräuschvoll aus. »Es muss etwas geben, was wir tun können. Möglicherweise finden ja Jake oder ich noch was.«

»Klar, sieh dir die Akten an. Ich bin auch noch längst nicht durch, aber es ist so unendlich viel Papierkram, das würde ich heute Abend nicht mehr packen, selbst wenn vielleicht doch irgendwelche Hinweise darin versteckt seien sollten.«, antwortete Noah mit kratziger Stimme.

Beunruhigt schielte ich zu ihm hinauf. Sein Blick war stur irgendwo in die Mitte des Raumes gerichtet und in seinen Augen erkannte ich einen Anflug von Hoffnungslosigkeit. Der Druck auf uns war immens. Wir würden den gesamten morgigen und übermorgigen Tag damit verbringen, Beweise und Ansätze für eine geeignete Lösung zu finden. Heute Abend allerdings würden wir zu nichts mehr kommen. Nicht in unserem Zustand. Das kannte ich vom Lernen. Es ergab einfach keinen Sinn, zu versuchen, sich auf etwas zu fokussieren, wenn der Körper nicht mehr mitmachte und die Gedanken andauernd abschweiften.

Die Treppe knarrte und Jake tauchte wieder auf. Im Gehen schob er die Ärmel seines Langarmoberteils hoch. Seine Augen schweiften durch den Raum, bis sie an den Akten auf dem Tisch hängen blieben. »Gibts was neues?«

»Nope.« Miles stützte sich am Couchtisch ab und stemmte sich hoch. Gähnend streckte er sich erneut, bevor er in die Küche ging, um etwas zu trinken für uns zu holen. »Gehen wir auf die Veranda?«

Mühsam setzte ich mich auf. Auch Noah wirkte eher gequält als glücklich, während er aufstand und Jake zur Haustür folgte.

Draußen war es inzwischen dunkel geworden. Die Luft war erstaunlich kalt. Fröstelnd rieb ich mir die Arme und zog die Haustür hinter mir zu.

Miles balancierte vier Gläser und eine Wasserkaraffe in den Händen. Sofort eilte ich ihm zu Hilfe und stellte erst die Gläser, danach die Karaffe auf den Brettern der Veranda ab. Miles und ich setzten uns auf den Boden und er goss mir Wasser ein. Stillschweigend lauschten wir dem Rauschen des Windes, der die Baumkronen schüttelte, und atmeten den Duft des Sommers ein. Es roch nach feuchten Pflanzen und vom Nachmittag frisch gemähtem Gras.

Noah lehnte mindestens zwei Schritte entfernt am Geländer. Jake gesellte sich zu ihm. Sie waren in etwa gleich groß und kräftig, wenn sie so da standen. Ich mochte den Anblick der beiden, weil er so herzerwärmend und freundschaftlich war. Es fühlte sich an, als könnte ich, so wie ich die Liebe zweier Menschen sehen und den bekannten Geruch von Buchseiten riechen konnte, auch erkennen, was für eine intensive Geschichte diese beiden Menschen miteinander verband. Und so schrecklich die Umständen auch sein konnten, unter denen man sich kennenlernte, ich würde niemals wieder auf die Begegnung mit Noah, Jake und Miles verzichten wollen.

Mit einem Zug trank ich das Glas leer und stellte es ab. Dann stand ich auf und trat zu Noah und Jake an das Geländer der Veranda heran. Jakes Augen ruhten auf mir. Ausnahmsweise versuchte er nicht, mich mit seinen Blicken zu erdolchen. Er wirkte erstaunlich gelassen und seine Gesichtszüge waren ungewohnt weich. Das Jake einen so anschaute, war selten und seine Freundlichkeit war kostbar. Ich lächelte ihm zu und wandte mich wieder ab, um den Himmel anzusehen. Es war wundervoll. Die Sterne funkelten und der Mond verschwand als Sichel hinter den hohen Bäumen. In reichlicher Entfernung sah ich hell erleuchtete Sprossenfenster und ich wünschte mir sehnlichst, demnächst wieder in einem ebensolchen Haus einschlafen und unbesorgt aufwachen zu können.

Noahs und meine Schultern streiften sich. Ich zuckte zusammen und lachte leise, als ich erkannte, wie sehr ich in meine Gedanken vertieft gewesen war. Noah drehte sich von Jake weg und zog seine Sweatjacke aus. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Die Hitze stieg mir in die Wangen und Noah hängte mir die Jacke mit dem angenehm warmen Stoff über die Schultern.

»Danke.«, flüsterte ich. Als ich mich an Noah kuschelte, streifte mich Jakes Blick schon wieder, und diesmal fühlte es sich tatsächlich an, als würden Blitze aus seinen Augen schießen, die uns alle umbringen würden. Nein, korrigiere: Die mich umbringen würden.

Nicht ohne dichWhere stories live. Discover now