Kapitel 7

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Mit dem Rücken an einen Baum gelehnt, wachte ich auf. Quälende Schmerzen zogen sich von meinem verspannten Nacken und stocksteifen Rücken hinab bis in meine Beine. Es fühlte sich an, als hätte ich die Nacht auf hartem Stein verbracht. Mein Kopf war wie benebelt, während ich mich mit noch halb geschlossenen Lidern umschaute. Alles um mich herum war in tiefste Dunkelheit gehüllt. Nur die Silhouetten der Bäume und Büsche waren zu erkennen. Ihre Zweige hingen wie leblose Arme herunter. Irgendwo raschelte es im Dickicht und ein Uhu rief. Der Mond war zur Hälfte von Wolken bedeckt und spendete nur wenig Licht, doch ich wusste auch so, dass mich Noah beobachtete. Ich spürte es. Wie in Zeitlupe streckte ich die Beine, um meine Blutzirkulation anzuregen und wartete darauf, dass die Beschwerden nachließen. Dann zog ich sie dicht an meinen Körper heran. Noahs Blick schweifte ab. Schlagartig verkrampfte sich alles in mir. Wie automatisch glitt mein Blick zu seinen Händen. Keine Schusswaffe. Ich atmete erleichtert aus, ehe ich den geistesabwesenden Noah genauer in Augenschein nahm.

»Noah«, flüsterte ich, immer noch ein wenig schlaftrunken.

Keine Reaktion. Die Minuten verstrichen und die Wolken über uns zogen weiter. Bald fiel das Mondlicht auf uns und verschaffte mir eine klarere Sicht.

»Hey« Meine Stimme war nun um einiges eindringlicher und ich definitiv wacher geworden. Besorgt rückte ich näher an Noah heran. Er sah nicht gesund aus. Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn gebildet und seine Augen glänzten fiebrig, dabei waren die Temperaturen deutlich gesunken.

Kaum, dass meine Finger seinen nackten Arm streiften, zuckte ich zurück, als stünde Noah in Flammen. Glühende Hitze umhüllte ihn. Alarmiert drehte ich meinen Kopf. Aber wir waren ganz alleine.

»Du musst mir sagen, was los ist.«, murmelte ich hilflos. »Bitte.«

Schweigend blickte Noah auf seinen Arm hinab. Mit den Fingern der anderen Hand umschloss er den Ärmel seines Pullovers, den er für die Nacht wieder übergezogen hatte. Behutsam legte ich meine Hand auf seine bebenden Finger und bedeutete ihm, dass er sich zurücklehnen sollte. Mit vorsichtigen, geschickten Bewegungen schaffte ich es, den Arm Stück für Stück freizulegen. Es dauerte nicht lange, da fühlte ich nicht nur etwas Feuchtes und klebriges wie Blut, sondern entdeckte auch eine tiefe, pochende Wunde an seinem Handgelenk. Der Pullover schien das Blut zum größten Teil aufgesaugt zu haben, der Rest hatte sich auf seiner Haut - und nun auch auf meinen Händen - verteilt. Beim Anblick des rohen Fleischs beschleunigte sich mein Herzschlag unwillkürlich. Mein Magen rotierte und mir wurde übel.

»Wie ist das passiert?« Sanft ließ ich seinen Arm auf einen Baumstumpf sinken. Danach nahm ich mir meine Tasche vor.

»Ich wollte den Griff der Beifahrertür abwischen.«, antwortete Noah schwach.

»Von außen?«

»Von innen.«, erwiderte er.

Ich wühlte in meiner Schultasche. Aufgrund meines Ordnungswahns brauchte ich mich nicht mit Stiften und Resten von Kaugummiverpackungen herumschlagen, sondern fand sofort, was ich suchte: Das Notfall-Täschchen aus Leinen, das mir meine Mom mal geschenkt hatte. Damit war ich für jeden Fall gewappnet.

»Warum wolltest du den Griff abwischen?«, fragte ich beiläufig und öffnete den kleinen silbernen Reißverschluss des cremefarbenen Täschchens.

Noah bewegte seine Hand mit schmerzverzerrtem Gesicht.

»Lass das.«, befahl ich. In der Dunkelheit war es schwierig, überhaupt die richtige Stelle an seinem Handgelenk wiederzufinden. Letztendlich blieb mir nichts anderes übrig, als mich wie beim ersten Mal etwas zurückzulehnen, damit das Mondlicht auf seinen Arm fiel.

»Ich wollte Fingerabdrücke abwischen. Dabei habe ich mich an dem Glas der eingeworfenen Scheibe geschnitten.«, erklärte Noah. Er holte zischend Luft, kaum dass ich sein Handgelenk erneut berührte. »Was wird das?«

Nicht ohne dichWhere stories live. Discover now