Kapitel 34

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Es wurde bereits dämmrig als wir ankamen. Die Türen von ›Danny's Grocery‹ standen noch offen für das Reinigungspersonal, doch die Mitarbeiter hatten bereits den Laden verlassen. Miles ging vor. Daraufhin folgten Jake, Noah und ich. Gedämpfte Geräusche eines Wischmops auf glatten Fliesen waren zu hören, ansonsten blieb es still. Noah deutete auf eine Tür, die ins Lager führte. Eilig schlichen wir uns an den Kassen vorbei, die seltsam unberührt dastanden. Hin und wieder blinkte ein Licht auf, aber das Fließband gab keinen Mucks von sich, ebenso wenig wie die Putzkräfte im hinteren Teil des Supermarktes.

Merkwürdig, dachte ich mir, und blickte über die Schulter zurück. Es fühlte sich an, als wäre eine Ewigkeit vergangen, seitdem mich Noah dicht an seinen Körper gezogen hatte, damit man ihn nicht erschoss. In meiner Magengrube breitete sich ein unangenehmes Gefühl aus, wenn ich mir vor Augen führte, dass wegen Noah ein Mann gestorben war. Ein Mensch aus Fleisch und Blut, so wie wir, war tot, und falls er Familie hatte, hatte er diese in seinen letzten Lebenssekunden nicht mehr sehen können.

Miles stieß mich an. Überrumpelt folgte ich ihm, bis wir vor der Seitentür mit Aufschrift »Nur für Personal« stehenblieben. Noah deutete schweigend auf ein Touchpad neben der eisernen Tür. Aus seiner Tasche zog er eine winzige Taschenlampe hervor. Jake wippte ungeduldig auf den Versen, während sich Miles immer wieder umsah. Noah beleuchtete das Display. Die Lampe in seinen Händen hielt er dabei schräg und ließ den Lichtstrahl langsam hinunter wandern. Die fettigen Fingerabdrücke auf den Tasten waren nun deutlich zu erkennen, und in Gedanken schien Noah die Kombination bereits mit den Zahlen auf dem Bauplan abzugleichen. Dann ließ er den langen Pulloverärmel über seine Hände fallen und tippte mit Schutz des schwarzen Stoffes die vierstellige Zahlenkombination - 4 7 1 3 - ein. Kurz darauf ertönte ein leises Klicken. Noah griff nach dem metallisch glänzenden Knauf und drückte die Tür auf. Uns erwarteten zahlreiche, gestapelte Pappkartons, die mir im Halbdunklen wie ein gefährlicher Parcours erschienen.

Der Lichtschein von Noahs Taschenlampe fiel auf den Fußboden. Dieser bestand aus Beton und war unerwartet sauber. Jake machte einige Schritte in Richtung eines besonders großen Stapels an Kartons.

»Warte!«, flüsterte Noah alarmiert.

Jake warf ihm einen fragenden Blick zu.

Dann leuchtete Noah die Wände ab. Ich folgte dem Lichtkegel mit geweiteten Augen. Noch hatte ich mich nicht vollständig an die Dunkelheit gewöhnt.

Blinzelnd blickte ich an die Decke. In einer düsteren Ecke des Raumes war ein seltsames Gerät befestigt. Es war pechschwarz. In der Mitte erkannte ich ein silbernes Gitter mit vielen, kleinen Löchern.

»Ist das ein Lautsprecher?«, fragte ich.

Noah schüttelte den Kopf. »Eher ein Mikrofon.«

»Ein Abhörgerät?«, flüsterte Miles beunruhigt.

»Eigentlich sind die modernen Abhörgeräte mittlerweile schon so klein, dass wir nichtmal mitbekommen hätten, dass hier so etwas existiert.« Noah leuchtete die Pappkartons ab, aber wir fanden nichts weiter.

Vorsichtig gingen wir einige Schritte nach vorne.

»Es war auf dem Plan so viel verzeichnet ...«, wisperte Noah und guckte misstrauisch in Richtung des Mikrofons. »Hier müsste mehr sein.«

Miles entdeckte den Lastenaufzug und steuerte auf die Eingangstüren zu. Jake zog unterdessen einen gefalteten Zettel aus seiner Jackentasche. Er drückte ihn Noah in die Hände und stellte sich schützend vor seinen Freund, damit eventuelle Kameras nicht einfangen konnten, was Noah in diesem Moment auseinander faltete.

»Soll ich die Lampe halten?«, bot ich an.

Dankbar reichte mir Noah die Taschenlampe.

Zu dritt blickten wir auf die Kopie des Bauplans. Noah runzelte die Stirn und fuhr die feinen Linien mit seinem Finger nach, während ich ihm stetig mit dem Lichtkegel folgte.

»Leuchte mal dorthin«, wies Noah schließlich an und deutete in die Düsternis. Ich tat wie geheißen.

Hinter den beiden Lastenaufzügen befand sich eine weitere Tür mit Touchpad an der Wand. Diese wirkte noch um einiges schwerer als die Erste, durch die wir gegangen waren. Sie erinnerte mich an den Tresor, der bei uns im Keller stand. Er hatte ebenfalls einen Knauf und breite, feuersichere Wände aus Stahl, allerdings war der Tresor meiner Familie wesentlich kleiner und eigentlich auch nur für etwas Bargeld oder wichtige Dokumente geeignet. Der Tresor in diesem Gebäude jedoch war ein ganzer Raum, und es machte mich verdammt neugierig, nicht zu wissen, was sich hinter den Wänden befand.

Noah nahm meine Hand, um sich die Taschenlampe dorthin zu bewegen, wo er das Licht brauchte. Seine Augen weiteten sich und er erstarrte. »Das kann nicht sein ...«

Panik huschte über Noahs Gesicht. Dann drückte er mir den Bauplan in die Hände und lief los. Jake riss den Kopf hoch. Ich wollte Noah hinterher stürmen, aber Jake hielt mich am Arm zurück.

»Nicht!«, hörte ich Noah mit gedämpfter Stimme rufen.

Zu spät.

Ein roter Laserstrahl streifte Miles Arm. Für einige Sekunden geschah nichts. Ich hielt die Luft an und wich einen halben Schritt zurück. Jakes Blick ging hektisch von einer Ecke zur anderen. Er betrachtete die Pappkartons, den mysteriösen Tresorraum vor uns und die Lastenaufzüge, von denen die Farbe abblätterte. Seine Hand lag noch immer auf meinem Arm. Besorgt guckte ich Jake an, denn zu Miles und Noah zu gehen, traute ich mich mit einem Mal nicht mehr.

»Komm«, wisperte Jake. Er ließ mich los und trat hinter einen Stapel Kartons. In zweiter Reihe stapelten sich Kisten und dahinter wiederum befand sich bergeweise Plastikmüll und verschiedenste Folien, die zu Verpackungen von Lebensmitteln gehörten.

Ich wollte gerade ausatmen, da sprang plötzlich das Licht an. Gleißend helle Strahler blendeten uns, sodass es kaum möglich war, überhaupt etwas zu sehen. Jake wirbelte herum, orientierungslos, bis ich ihn mit zusammengekniffenen Augen ertastet und heruntergezogen hatte. Schützend schlug ich mir die Hände vor das Gesicht, und vor die Augen, die vor Helligkeit brannten und tränten.

Feste Schritte ertönten auf dem Boden und brachten mein Herz zum Beben. Blinzelnd spähte ich durch einen Spalt zwischen den Kartons und sah gerade noch, wie zwei in schwarz gekleidete Männer mit Pistolenholster und Sicherheitswesten Noah packten und ihn niederrangen. Miles holte aus, um seinem Freund zu helfen, doch seine Faust prallte an dem muskulösen Mann ab wie an einer Mauer aus Stahl. Seine Atmung ging schnell und auch Noahs Brustkorb hob und senkte sich unregelmäßig. Er griff hinter sich und packte den Hals seines Gegners mit den Händen. Es durchlief mich eiskalt, während ich untätig dabei zuguckte, wie Noah den Mann zu würgen versuchte. Meine Muskeln begannen zu zucken, weil ich helfen wollte, aber Jake schüttelte bestimmt den Kopf. Nicht jetzt, formte er mit seinen Lippen. Widerwillig richtete ich die Augen erneut auf unsere Freunde. Noahs Gegner keuchte bereits und ich wiegte mich fast schon in Sicherheit, als der zweite Mann Miles losließ, etwas aus seiner Tasche holte und Noah eine Spritze an den Hals presste. Die Nadel durchstach seine dünne Haut. Ich wollte aufspringen, da packte Jake mich an beiden Armen, presste mich ganz dicht an seinen bebenden Körper und drückte mir fest die Hand auf den Mund.

Nicht ohne dichWhere stories live. Discover now