Kapitel 53

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Das Frühstück verlief in aller Ruhe. Es gab leckere Pancakes mit kanadischem Ahornsirup. Gemeinsam räumten wir die Teller in die Spüle. Noah wusch und ich trocknete ab, während sich Jake schon ins Wohnzimmer begab, um sich mit den Informationen von Agent Roberts zu befassen. Miles, der an der Theke lehnte, und darauf wartete, den ersten Teller zurück in den Küchenschrank stellen zu können, schnitt sich mit einem herumliegenden Messer ein Stück des übrig gebliebenen Pancakes ab. Er starrte das Essen an, hin- und hergerissen zwischen seinem vollen Magen und dem verlockenden Duft.

»Ich bin so satt, ich weiß nicht, wie ich noch über ernste Themen nachdenken soll.« Miles seufzte und stellte fest entschlossen den Teller mit dem letzten Pancake in den Kühlschrank.

»Du hättest dich eben nicht so vollstopfen sollen.«, sagte Noah.

»Wer hat sich vollgestopft?«, rief Jake aus der Sofaecke.

»Niemand« Miles stieß sich von der Küchentheke ab und ging ins Wohnzimmer. »Zeig mal, was du schon hast.«

Irgendwie war das Leben in diesem Haus fast wie in einer Wohngemeinschaft. Wir verstanden uns, hatten eine Aufgabe und ein gemeinsames Ziel. Kaum zu glauben, dass unsere Zeit danach vorbei sein würde. Ich wusste gar nicht viel über Miles und Jake. Trotzdem mochte ich sie. Es würde seltsam sein, zurückzukehren und all den Fragen über die Flucht und Noah auszuweichen. Ich hatte Angst davor, die Jungs dadurch zu verlieren. Solche Freunde hatte ich nie gehabt. Solch eine bedingungslose Liebe wie für Noah hatte ich noch nie zuvor bei einem Menschen außerhalb meiner Familie empfunden.

Und dann haute mich der Gedanke, dass die Jungs bei nicht erfüllen unserer Aufgabe wieder zurück ins Gefängnis gehen mussten, beinahe um.

Mein Magen schmerzte und ich trocknete das restliche Geschirr wie in Trance ab. Nach einer Weile berührte mich Noah vorsichtig am Arm.

»Kommst du mit?« Fragend sah er mich an.

»Wohin?« Irritiert legte ich den letzten Teller beiseite.

»Zu Miles und Jake, irgendwas finden, was Bruce Edwards belastet.« Noah runzelte die Stirn. »Du hast nicht vergessen, warum wir hier sind, oder?«

»Natürlich nicht.«, antwortete ich schnell.

Er schenkte mir ein amüsiertes Lächeln und verließ die Küche. Ich atmete tief durch. Dann legte ich das Geschirrtuch auf die Theke und folgte Noah in den Wohnzimmerbereich. Miles baute die Flip-Chart zusammen. Sein Laptop lag zugeklappt auf dem Couchtisch. Daneben befanden sich die ausgebreiteten Bau- und Architektenpläne. Noah saß auf dem Sofa und Jake hatte es sich im Sessel gemütlich gemacht. Beide hatten sie eine Akte auf dem Schoß liegen.

Miles richtete die Flip-Chart auf.

»Was kann ich sonst noch tun?«, wollte er wissen.

»Kannst du was für mich googeln?« Noah ließ von der Akte ab.

»Sicher.« Miles setzte sich auf den Fußboden und zog den Laptop dichter an sich heran. »Schieß los.«

Noah zögerte nicht eine Sekunde. »Google Michael A. Johnson, Bauingenieur.«

Die Tasten klapperten und Miles klickte sich durch die Suchergebnisse. Achselzuckend schaute er Noah wieder an. »Da steht kaum etwas drin, was relevant wäre. Nicht mal eine Traueranzeige oder so.«

»Okay.«, murmelte Noah und massierte sich die Schläfen. »Wie wäre es damit: Google Bruce Edwards.«

Miles tippte.

»Keine Treffer.«, sagte er kurz darauf.

Unsere Aufgabe erschien mir wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Überfordert ließ ich mich neben Noah auf die Couch fallen. Gedanklich ging ich alle Informationen durch, an die ich mich noch erinnern konnte. Darunter war auch jener Tag, an dem wir in den Supermarkt eingebrochen und bis zum Tresorraum vorgedrungen waren. Vielleicht mussten wir kleiner anfangen. Nicht bei Bruce Edwards, sondern bei seinen Angestellten.

»Google mal ›Danny's Grocery‹ mit Landkreis. Wir brauchen Daten über Angestellte, das Gebäude ...«, begann ich.

Da erhob sich Jake vom Sessel.

»Seht mal. Das ist eine Kopie des Bauantrages und der Baugenehmigung.«, sagte er und zeigte uns die jeweiligen Zettel in der Akte von Agent Roberts.

»Vielleicht können wir über das Katasteramt irgendwas relevantes über das Flurstück und die Eintragung in das öffentliche Landregister herausfinden.«, murmelte Noah nachdenklich. »Wir brauchen Namen. Irgendetwas, an das wir uns halten können.«

Einige Minuten blieb es still.

Noah rieb sich den Nacken. »Mein Dad hat den Bauantrag unterschrieben ... Steht auf einem der Papiere der Name desjenigen, der die Baugenehmigung unterzeichnet hat?«

Jake blätterte die Seiten durch, ehe er antwortete: »Francis Miller.«

»Julie« Miles blickte von seinem Laptop auf. »Das Gebäude ist an die bekannteste Supermarktkette dieses Bundesstaates verpachtet. Deren Angestellte an den Kassen werden nichts mit Bruce Edwards zutun haben. Da werden wir also bestimmt nicht fündig.«

Nachdenklich sah ich Miles an. Er hatte recht, Bruce Edwards würde keiner Kassiererin den Job für einen Auftragsmord geben. Das wäre viel zu gefährlich.

»Hast du eine Telefonnummer für mich?«, fragte Noah derweil Jake. »Von der Dame, die die Baugenehmigung unterzeichnet hat?«

»Nur vom Katasteramt.« Jake nickte.

»Das geht auch. Obwohl ich lieber persönlich dorthin gehen würde.«, sagte er. »Leider ist es zu weit weg und ins Rathaus zu gehen, ist auch nicht gerade unauffällig.«

Jake stimmte ihm zu und wechselte schließlich das Thema. »Hast du ein Telefon?«

Noah blickte sich suchend um.

»Hier.« Miles riss sich von unserem Blickkontakt los und reichte Noah das von Agent Roberts erwähnte Prepaid-Handy. Anschließend wandte er sich wieder mir zu. »Julie, es gibt einen Eintrag bei Google, der den CEO von ›Danny's Grocery‹ mit seinem Investor zeigt.«

Ich beugte mich vor, als Miles den Bildschirm zu mir drehte. Das Foto zeigte drei Männer, den Rücken gerade, mit ordentlicher Frisur und perfekt sitzendem Anzug.

Unruhig betrachtete ich das Foto vor einem der Gebäude, in dem die Kette den neusten ihrer Märkte untergebracht hatte. Laut Titelunterschrift befand sich der CEO in der Mitte. Seine Augen strahlten, als hätte er soeben den Deal seines Lebens abgeschlossen. Er kam mir nicht bekannt vor. Ganz im Gegensatz zu dem Mann rechts von ihm.

»Kannst du mal näher heran zoomen?«, bat ich Miles. Er tat es.

Jetzt konnte ich die beiden Männer besser und detailgenauer erkennen. Je länger ich die Fotografierten betrachtete, desto mulmiger wurde mir. Vor meinem geistigen Auge sah ich die schwarz gekleideten Männer in den Lagerraum des Supermarktes stürmen. Ich spürte den festen Griff des muskulösen Kerls an meinen Haaren und den Schmerz auf meiner Kopfhaut. Es war, als passierte all das schreckliche von vor ein paar Tagen erneut. Es quälte mich.

Mit einem Mal erkannte ich den Mann auf dem Foto wieder. Der trainierte Körperbau, der eine, bis knapp über das Handgelenk tätowierte Arm. Seine markanten Gesichtszüge, die kurzen Haare, seine stahlgrauen Augen, unerbittlich und nur auf sein Ziel fixiert. Das war einer der beiden Männer, die Noah ausgeknockt hatten.

»Noah«, sagte ich und meine Stimme überschlug sich fast, während ich bestimmt mit dem Zeigefinger auf den Blonden tippte. »Dieser Mann hat dir das Sedativum gespritzt.«

Sofort ließ Noah von dem Prepaid-Handy ab, auf dem er soeben die Nummer der Baubehörde gewählt hatte. Sein Blick schnellte zu mir und landete auf dem Bildschirm von Miles Laptop. Schlagartig wich ihm jegliches Blut aus dem Gesicht, sodass Noah unmenschlich blass aussah.

»Ich kenne ihn.«, sagte er geschockt. »Den anderen. Den linken.«

»Wer ist es?«, fragte ich gespannt und starrte den schätzungsweise etwas über fünfzigjährigen Mann mit den arroganten Gesichtszügen und seinem sündhaft teuren Anzug an.

Noah schluckte schwer. »Bruce Edwards.«

Nicht ohne dichWhere stories live. Discover now