Kapitel 2

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Der Bürgersteig mündete in den Parkplatz, hinter dem sich Conors und meine absolute Lieblingspizzeria befand. In dem Moment klingelte mein Handy. Ich kramte es aus der Hosentasche und las die Nachricht auf dem spiegelnden Display. Sie war von einer Mitschülerin. Unser Treffen war um eine Stunde verschoben worden. Seufzend schob ich das Handy zurück in die Tasche meiner blauen Jeans, stoppte und sah mich um. Über mir kreuzten sich drei Strommasten. Rechts lockte die Bibliothek, links überholten zwei Autos. Die roten Rücklichter leuchteten kurz nacheinander auf, als die beiden die Ampel erreichten. Da sprang mir das auffällige Supermarktschild von ›Danny's Grocery‹ ins Auge. Eigentlich hatte ich nicht vorgehabt, bei einer Kette einzukaufen. Dafür mochte ich die kleineren Läden einfach zu gerne. Doch es würde sich nicht lohnen, nach Hause zu laufen und den Einkauf nachmittags woanders zu erledigen. Demnach steuerte ich auf die Ampel zu. Das helle Grün war durch die Sonne kaum zu erkennen. Hierdurch guckte ich zweimal hin, bevor ich weiterlief und eine Querstraße später den Supermarkt erreichte. Direkt hinter dem grauen Gebäude bildeten hohe Eichen eine schmale Allee, die zum Correl Excellence Center führte. In beeindruckender Größe konnte ich schon von hier aus die spiegelnden Glasfronten des CEC sehen. Es lag neben dem Universitätscampus, doch überragte jene, alte Gemäuer stets durch seine Moderne.

An Einkaufswagen und plaudernden Leuten vorbei, lief ich schnurstracks durch die verglasten Eingangstüren. Der Geruch von Lebensmitteln und fremden Menschen vermischte sich. An den Wänden hingen Schilder mit den Bezeichnungen der jeweiligen Abteilung darauf und im Hintergrund dudelte eine Melodie. Ich brauchte mich nicht zu orientieren und marschierte an den Obst- und Gemüsetheken vorbei. Rechts war eine lange Kühltheke gefüllt mit den verschiedensten Säften. Dahinter erstreckten sich sechs Gänge. In dem Mittleren wurde ich fündig und nahm eine Packung Weizenmehl aus dem Regal. Notdürftig klemmte ich sie mir unter den Arm, um mit den freien Händen das Kleingeld abzuzählen. Geduldig stellte ich mich an der Kasse an und legte die Mehlpackung auf das schwarze Fließband. Unterdessen hörte ich das Öffnen der Eingangstüren und Geschrei eines Kleinkindes am Bäckerstand.

»Hallo«, sagte ich leise, aber höflich, als die Kassiererin mit dem blonden Pferdeschwanz das Mehl vom Band nahm und scannte. Sie nickte mir zu und nannte den zu zahlenden Betrag. Das Kind im Hintergrund brüllte nun aus voller Kehle. Der Mann hinter mir riss sich merklich zusammen, nicht die Nerven zu verlieren.

Klimpernd legte ich das Kleingeld ab. Keine Reaktion.

Eine Frau redete lautstark. Ich blendete die Stimme aus und schob die Pennys weiter zu der Kassiererin herüber. Mit geweiteten Pupillen verfolgte sie das Geschehen am Bäckerstand. Normalerweise hätte mir das nichts ausgemacht, aber die Abschlussprüfungen beunruhigten mich, sodass ich ihrem Blick energisch folgte und mit bereits angestiegenem Puls auf eine Frau mit geplatzter Einkaufstüte vorbereitete. Doch was ich dann sah, verschlug selbst mir den Atem. Mein Ärger war wie weggeblasen. Für einen Sekundenbruchteil schaffte ich nicht, zu realisieren, was sich vor uns abspielte. Ein maskierter Mann stand im Eingangsbereich. Er richtete eine schwarze Pistole auf die in eine Ecke gedrängten Menschen. Wie in Zeitlupe drehte er sich. Seine Sneakers hinterließen ein Quietschen auf dem Boden. Die Waffe zeigte erst auf die Mitarbeiterin an der anderen Kasse und schließlich ... streifte ihre Schusslinie mich. Meine Atmung setzte aus, während mir der Schweiß ausbrach und aus jeder Pore kroch. Das Herz rutschte mir in die Hose. Furcht breitete sich in jeglicher Faser meines Körpers aus. Das Adrenalin jagte mir in die Venen, als wollte es mich in tausend Stücke zerfetzen. Im gesamten Raum war es tödlich leise geworden, doch ich nahm deutlicher denn je wahr, wie sich die Blicke der Einkaufenden durch mich hindurchbohrten, während ich geradewegs und wie gebannt in die Mündung der Pistole starrte.

»Was soll das?«, rief ein empörter Mann. Seine Stimme zitterte wie Espenlaub. Ich war kaum dazu im Stande, die Augen abzuwenden, geschweige denn wegzurennen. Meine Beine waren wie gelähmt, dabei hätten sie doch in genau diesem Augenblick funktionieren müssen.

Nicht ohne dichWhere stories live. Discover now