Kapitel 57

896 67 22
                                    

Als ich die Tür unseres Schlafzimmers öffnen wollte, spürte ich, wie es mir jemand auf der anderen Wandseite gleichtat. Erschrocken zog ich die Hand weg und stolperte zurück.

»Julie« Noah steckte den Kopf durch den Türspalt.

Ich atmete aus und wollte eigentlich ärgerlich klingen, doch es gelang mir nicht. »Noah! Ich hatte fast einen Herzinfarkt.«

»Ich auch.« Er schloss die Tür hinter sich und kam dichter. »Was ist los mit dir? Warum verhältst du dich so merkwürdig mir gegenüber?«

»Das tue ich nicht.«, stritt ich seine Anschuldigungen direkt ab. Seine Augen suchten meine, aber ich wich ihnen aus. Ständig musste ich daran denken, wie ich Noah versichert hatte, er hätte mir meine Träume nicht zerstört. Und daran, wie er sich mir geöffnet und mir das Herz gestohlen hatte.

Er legte zwei Finger unter mein Kinn und drückte es ein wenig nach oben. »Sieh mich an.«

Ich runzelte die Stirn, doch wehrte mich nicht. Seine grünen Augen ruhten auf mir, so gefühlvoll und felsenfest davon überzeugt, wir könnten alles meistern, was uns auch in die Quere käme. So hatte ich ihn noch nie gesehen. Mit solch einer scheinbar unsterblichen Hoffnung, dass es mir schier den Atem verschlug.

»Du brauchst keine Angst zu haben.«, sagte Noah leise und seine Stimme klang rau wie Schmirgelpapier. Sie wärmte jede Faser meines Körpers. Alles in mir verzehrte sich nach ihm. Ich wollte meine Arme ausbreiten und um ihn schlingen. Ihn leidenschaftlich küssen.

»Ich werde dich immer beschützen.«, versprach er und legte seine Hände auf meine Schultern.

Stürmisch fiel ich ihm in die Arme. Tränen schossen mir in die Augen und ich atmete stoßweise Noahs vertrauten Duft ein. Seit der Krankheit meiner Mum und seit meiner Gefühle für Noah fühlte ich mich andauernd so weinerlich. Ich kam mir übertrieben empfindlich vor und ich hasste es. Es zerrte an meinen Nerven, weil ich eigentlich nie so gewesen war. Ich konnte mir nicht vorstellen, mein Leben lang so zu sein. Nah am Wasser gebaut ... und ängstlich. Ich wollte stark sein ... und mit einem Mal auch ganz dringend wieder nach Hause.

Miles hatte recht gehabt. Wie sollte Noahs und meine Beziehung funktionieren, wenn ich wieder bei meinen Eltern wohnte? Ganz zu schweigen von dem Tag, an dem ich auf eine Universität gehen würde. Das war irrsinnig. Außerdem würden meine Eltern, so aufgeschlossen sie auch waren, niemals jemanden wie Noah ins Haus lassen. Er hatte ihre Tochter auf eine Flucht mitgenommen. Noah war dafür verantwortlich, dass meine Mum vielleicht in genau diesem Moment Höllenqualen durchmachte. Sie wussten nicht mal, dass ich lebte. Oder dass ich an sie dachte.

»Noah?«, murmelte ich gegen seine Brust.

Behutsam streichelte er mir über den Rücken. Sein Atem streifte meinen Nacken und sein Kinn berührte meinen Haaransatz.

»Ja?«

»Du hast mir meinen Traum von Harvard nicht zerstört.«, sagte ich.

»Bin ich froh.«, wisperte er und ich konnte hören, wie er lächelte.

»Nein, du verstehst nicht« Ich löste mich langsam von ihm. »Du hast mir den Traum nicht zerstört. Ich bin fast sicher, ich will nicht mehr dorthin.«

»Fast sicher? Das nenne ich mal eine genaue Aussage.« Er lachte.

»Hör mir zu.«, sagte ich ernst.

»Ich höre dir doch zu.«, erwiderte er und ließ seine Finger in meinem Nacken kreisen. Auf meinem Körper breitete sich eine Gänsehaut aus. Das machte die Situation nicht gerade besser. Meine Konzentration schwand dahin.

Nicht ohne dichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt