Kapitel 40

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»Das ist okay.«, sagte ich ohne nachzudenken. »Du wirst keinen Ärger bekommen und falls etwas schief geht, nehme ich die Schuld auf mich.«

Miles zögerte, doch schließlich willigte er ein und winkte Jake zu uns. Dieser setzte sich widerstrebend in Bewegung. Würde ich ihn nicht so verdammt dringend als Fahrer brauchen, hätte ich ihm garantiert noch einen Kinnhaken verpasst.

»Du liegst richtig damit, dass es weder Noah noch uns weiterbringt, ihm das Leben zu retten und im Knast zu versauern, während Bruce Edwards weiterhin Menschen umbringt.«, sagte Miles an Jake gewandt.

Jake runzelte misstrauisch die Stirn.

Ich kaute unruhig auf meiner Unterlippe, denn Miles Worte waren zwar wahr, doch kratzten trotzdem ein wenig an meinem Ego.

»Allerdings bringt es uns auch nicht weiter, nun alleine loszuziehen. Noah ist der Kopf dieser Sache« Miles tippte sich an die Schläfen. »Was er hier drin noch geplant hat, können wir nicht wissen.«

Dann zuckte er die Achseln und senkte seine Stimme. »Außerdem ist er unser Freund. Wir sind wegen ihm an diesem Ort. Für mich ergäbe es keinen Sinn, für Gerechtigkeit zu sorgen, nachdem mein bester Freund an solch einer Ungerechtigkeit wie dieser lächerlich kleinen Wunde gestorben ist.«

Ich wischte mir die brennenden Tränen von den Wangen und erinnerte mich an meine ständige Frage nach dem »Warum«, als meine Mum so schwerkrank gewesen war.

Für den Bruchteil einer Sekunde war es totenstill. Jake fuhr sich durchs kurze Haar. Seine Hand verharrte an seiner Stirn. Dann ging Jake wie automatisch einen Schritt zurück und legte die Hand an den Griff der Fahrertür.

»Wenn er wieder bei vollem Bewusstsein ist, wird er euch beide dafür hassen, dass ihr seinen Plan nicht durchgezogen habt.«, verkündete Jake, doch ein Hauch von Erleichterung schwang in seinem Ton mit. Ich hob das Kinn, um Jake, der einen Kopf größer als ich war, ansehen zu können. Dankbar nickte ich. Es veränderte sich etwas in seinem Blick. Er wurde sanfter, weicher und weniger hart wie der eines Erwachsenen, der mit einem Revolver durch Supermärkte lief und sich gegen das Böse zu behaupten versuchte.

Als Miles und Jake vorne und ich hinten bei Noah eingestiegen waren, startete Jake den Motor unseres Autos. Er trat sofort aufs Gaspedal und fuhr vom Seitenstreifen und dem Feldweg weg, bis hin zur Hauptstraße, wo der Verkehr gegen Abend deutlich zugenommen hatte.

Miles schnappte sich seinen Laptop. »Krankenhaus oder Arztpraxis?«

»Was ist näher dran?«, wollte ich wissen.

Es blieb für einige Sekunden still.

»Eine Apotheke. Vorne, rechts, bei dem Parkplatz.« Miles drehte sich zu mir nach hinten um. »Geht das auch?«

Ich schaute hinab zu Noah. Das Sedativum ließ nach und er bekam immer mehr von seiner Umgebung mit.

Kurz entschlossen nickte ich. »Das muss ausreichen.«

Jake bremste ab, sodass die Reifen quietschten und bretterte auf den Parkplatz vor der Apotheke. Ich stieß die Tür auf und sprang aus dem Geländewagen heraus. Miles blieb bei Noah, aber Jake folgte mir.

Das Gebäude war mit roten Klinkern gemauert. In den oberen Stockwerken befanden sich weiße, schmale Sprossenfenster, im Erdgeschoss konnten wir bereits durchs Schaufenster in die Apotheke hineingucken. Eine leuchtendes Schild verriet, dass die Apotheke vierundzwanzig Stunden geöffnet hatte.

Die Glastür stand offen. Ich lief vor, geradewegs auf den Tresen zu. Eine mittelalte Frau mit weißen Kittel und blondem Pferdeschwanz musterte sowohl Jake als auch mich mit versteinerter Miene. Daran, dass uns unsere zerschlissene, dreckige Kleidung verraten könnte, hatten wir überhaupt nicht mehr gedacht.

»Hallo«, sagte ich höflich, jedoch ohne Zeit zu verlieren.

»Wie kann ich euch helfen?«, entgegnete die Frau.

»Unser Freund hat eine entzündete Verletzung am Bein und rote Striemen am Körper.«, erklärte ich. »Wir glauben, dass er eine Blutvergiftung hat.«

»Da müsst ihr zum Arzt, nicht in die Apotheke.«, sagte die Frau. »Oder ins Krankenhaus.«

»Unser Freund hat panische Angst vor Ärzten.«, log ich. Jake hinter mir versteifte sich. »Wir müssen doch etwas tun können, ohne dass er wieder eine seiner Panikattacken bekommt.«

Ich drehte mich zu Jake um und bedeutete ihm, dass er mitspielen sollte. Das Gefühl von Angst war stärker als die Scham davor, Lügenmärchen zu erzählen. Immerhin ging es hierbei um Noahs Leben. Wir wollten niemanden in Gefahr bringen oder in unsere Angelegenheiten hineinziehen, sondern bloß Hilfe.

»Wo ist denn euer Freund?«, fragte die Frau. Nach einigen Sekunden stützte sie einen Ellenbogen am Tresen ab und spähte so gut es ihr von ihrem Platz aus möglich war hinaus auf den Parkplatz. »Ich kann euch einen Krankenwagen rufen.«

»Können Sie sich nicht die Wunde ansehen und uns ein Medikament geben?« Ich strich mir eine verlorene Haarsträhne aus dem Gesicht.

Plötzlich entfuhr der Apothekerin ein schriller Schrei, der mir beinahe das Trommelfell zum Platzen brachte. Ich kehrte ihr den Rücken zu und sah, wie Jake die Waffe zückte und auf die Frau richtete.

»Es hätte auch so geklappt!«, zischte ich.

»Ganz sicher nicht.«, antwortete Jake, ehe er vortrat und die Verkäufern ins Visier nahm. »Also, was tut man bei einer Blutvergiftung?«

Die Apothekerin hielt sich die zitternde Hand vor den Mund. Ihre Pupillen waren geweitet und die Augen bereits wässrig.

»Normalerweise geht man zum Arzt .. u-und d-der findet heraus, ob es bereits zum Organversagen gekommen und wie weit die Sepsis fortgeschritten ist ... Wie sind denn die Symptome eures Freundes?«

Jake berührte mich auffordernd am Arm, um mir zu verstehen zu geben, dass ich reden sollte.

»Er hat rote Striemen auf der Haut ...«, begann ich und gestikulierte mit der linken Hand, um anzudeuten, wo sich die Stellen auf Noahs Haut befanden.

»Eine Lymphbahnen-Entzündung«, sagte die Apothekerin bestimmt.

»Er ist ganz blass, sein Herz rast ... Es ist, als hätte er Fieber. Mein Dad hatte mal eine Blutvergiftung. Die Symptome sind fast gleich.«, erwiderte ich.

Jake trat einen bedrohlichen Schritt nach vorn.

»Ein Arzt w-würde sich alles ganz genau anschauen« Die Frau riskierte einen ängstlichen Blick zu Jake. »In den meisten Fällen wird ein Breitbandantibiotikum verschrieben.«

»Haben Sie das Medikament vorrätig?«, fragte Jake und reckte das Kinn.

»Natürlich« Die Apothekerin hob die Hände wie bei einer Festnahme. »Ich gebe euch das Medikament, aber bitte ... bitte lasst mich in Ruhe.«

»Kein Problem.«, sagte Jake und lächelte zuvorkommend. »Ich begleite Sie ins Lager.«

Nicht ohne dichNơi câu chuyện tồn tại. Hãy khám phá bây giờ