9.Kapitel

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,,Wie viele Geschwister seid ihr, wenn ich fragen darf?" fragt mich die Ärztin leicht lächelnd und legt die Creme weg. ,,Müssten Sie das nicht eigentlich wissen?" entgegne ich ihr. Da diese Frauen, an der Rezeption von mir den Vornamen und den Nachnamen, von Bolat wissen wollten als wir ankamen, müsste es doch im System stehen, wie viele Geschwister wir sind, glaube ich. ,,Im System steht, dass ihr sechs Geschwister seid, aber dieser braunhaarige Mann, der draußen schläft, hat keine Ähnlichk-" ,,Fünf! Wir sind nur fünf Geschwister!" unterbreche ich sie rasch und gucke woanders hin. Wir sind nur fünf Geschwister. Keine sechs. Besser gesagt- nicht mehr sechs. Wut und Hass keimt sich in mir auf, wenn ich an ihn denke. Aber auch Enttäuschung. Ich bin gelegentlich eine Person, die niemanden Hassen würde. Aber bei manchen Menschen hat meine keine andere Wahl. Durch ihre Taten, wollen sie wirklich gehasst werden. Als ob sie mit ihrem Handeln 'Hass mich! Hass mich!' sagen wollen. Die Frau ist wegen meinem Ton etwas schockiert, aber sie sammelt sich schnell wieder. Sie nickt nur und belasst es dabei.

Sie nimmt einen eingerollten Verband und fängt an meine Hand damit zu verbinden. Ich beiße schon wieder auf meine Zähne und unterdrücke den Schmerz. Gleich ist es vorbei. Ich merke, dass sie versucht sachte zu bleiben, aber trotzdem brennt es und tut weh. Als sie endlich fertig wird, atme ich erleichtert aus. Sie dreht sich um und läuft zum Mülleimer. ,,So. Und jetzt zeigen Sie mir ihren Rücken und Fuß." bestimmt sie, dreht sich mit verschränkten Armen um und guckt mich mit einem wissenden Blick an. Ich senke meinen Blick auf meine Oberschenkel und presse die Lippen zusammen. Wie hat sie das heraus gefunden? Als ob sie meine Frage gehört hätte, antwortet sie mir drauf. ,,Sie Humpeln, Frau Yanmaz. Und bei einer kleinen Berührung mit ihrem Rücken, verziehen Sie ihr Gesicht. Los jetzt! Shirt hoch." Scheisse. Diese Frau ist gut. Aber was soll man schon etwas anderes von einer Ärztin erwarten? Kopfschüttelnd drehe ich mich im Sitzen um. Vorsichtig ziehe ich das T-Shirt hoch und höre sie schon im nächsten Moment, wie sie nach Luft schnappen. Paar Mal streicht sie mit ihren Fingern über die verbrannte Haut und bringt mich damit auszuweichen. Es tut weh. Sehr. Aber mit dem Schmerz an meiner Hand kann man das nicht vergleichen. Meine Hand tut deutlich viel mehr weh. ,,Ihr Rücken ist schlimm. Aber ihre Hand schlimmer. Das wissen Sie bestimmt auch." stellt sie fest und entfernt sich einen Schritt. Ich drehe mich wieder um und gucke zu meinen Schuhen. Meine Schuhe die mal weiß waren, sind jetzt verbrannt und sind somit auch schwarz. Andere Schuhe habe ich aber nicht. Mein Blick fällt auf meine Klamotten, die zerrissen sind. Und andere Klamotten habe ich auch nicht. Meine Brüder auch nicht! Alle sind verbrannt. Alles. Alles ist verbrannt. Unsere Klamotten, die ganzen Lernsachen von meinen Brüdern, das ganze Essen und am schlimmsten: die ganzen Erinnerungen und Fotos. Die Kinderfotos von meinen Brüdern und mir. Die Fotos unserer Mutter. Alles ist weg.

Die Ärztin duckt sich und zieht mir beide Schuhe aus. Die Socken auch. Bei dem Anblick von meinem linken Fuß, verziehe ich leicht mein Gesicht. Es ist rot und ist auch ein bisschen abgeschält. Bei dem anderen Fuß spüre ich keine Schmerzen und sehe ich keine Verletzungen. Gut. Sie geht kopfschüttelnd und kommt mit einem wütenden Gesichtsausdruck zurück. Die Creme die sie in der Hand hat, öffnet sie und schmiert sie, ohne sich zurückzuhalten, auf meinen Fuß. Es ist etwas kalt, aber es tut gut. Ich genieße es. Diese Kälte brauche ich jetzt. Ich öffne meine Augen, die ich geschlossen habe, weil ich höre, wie sie irgendwas vor sich hin quasselt. ,,Wieso tut man sich sowas an!?!..." fragt sie sich und schmiert weiter. Bei dieser Frage kann ich nur sauer werden. ,,Mein Bruder war im Haus! Ich musste ih-" ,,Nein. Die Feuerwehr war nachdem Sie rein gegangen sind, nach zwei Minuten da. Diese schlimmen Verletzungen hätten Sie sich sparen können!" Ich schnaube genervt aus und kann es nicht fassen, was sie gerade gebabbelt hat. Meint sie ernsthaft, dass ich da warten sollte bis die Feuerwehr käme und nichts tun sollte? Bester Witz den ich gehört habe. Dort war mein Bruder drin! Mein kleiner Bruder! Mein 15-jähriger Bruder! Er sollte sowas niemals erleben. So welche Schmerzen sollte er nicht spüren. Er hat doch schon wieder diese scheiss Depressionen. Wer weiß, welche Vorwürfe er sich über seine Haut machen wird. Da ich- zum Glück- noch nie unter Depressionen geleidet habe, weiß ich nicht wie er sich fühlen wird. Aber ich schätze mal, dass er, wenn er seine Verletzungen sieht sich selber demütigt und sich einredet, dass er hässlich aussieht. Ich werde aber für ihn da sein. Ich werde ihm das alles ausreden. ,,Es war mein kleiner Bruder, der in dem brennenden Haus drinnen war. Mein Bruder. Ich konnte nicht anders." sage ich ruhig und gucke stur in ihre Augen. Sie steht immernoch leicht kopfschüttelnd auf, und kommt mit meinem Verband wieder. Genau wie bei meiner Hand, verbindet sie meinen Fuß auch damit. Aber nicht so ganz wie bei meiner Hand. Bei meiner Hand hat sie einen dicken Verband rum gemacht. Aber bei meinem Fuß nicht. Wahrscheinlich damit ich noch in den Schuh passe. ,,Ihr Rücken müsste ich nur eincremen." murmelt sie und deutet mir, mich umzudrehen. Ich blicke sie noch für paar Sekunden sauer an, ehe ich mich umdrehe und das Shirt hoch ziehe. Als die Kälte von der Creme meinen unteren Rücken berührt, schliesse ich gemütlich meine Augen. Das tut so gut. Zum Glück ist nur die Hälfte von meinem Rücken verbrannt und nicht der ganze. Als sie mit dem Eincremen und dem Verbinden fertig ist, wascht sie sich ihre Hände. Ich ziehe das Shirt vorsichtig runter und ziehe mir meine Socken und Schuhe wieder an. Langsam stehe ich auf und gucke auf meine Armbanduhr. 01:00 Uhr.

TURKISH MAFIAWo Geschichten leben. Entdecke jetzt