T W E N T Y

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Das Geräusch eines Motors ließ mich aufschrecken. Mein Blick glitt zum Durchgang. Ich wartete nur darauf, dass er gleich hier auftaucht. Dann war es soweit. Die Türe ging auf - und wieder zu. Die Schlüssel klimperten in seiner Hand. Schwere Schritte näherten sich dem Wohnzimmer.
In mir stieg die Anspannung.
Wird jetzt die Standpauke kommen, die gestern ausgeblieben ist?

Dann war er da. Mit einer Tüte frischer Brötchen in der einen - und seinem Schlüssel in der anderen Hand, stand er im Durchgang. Ich hievte mich vom Stuhl, wobei ich mich am Tisch abstützen musste. Schwindel tanzte hinter meiner Stirn, für einen kurzen Moment sah ich überall schwarze Punkte, die sich wie ein Filter auf meine Sicht legten. Dies alles ignorierend, ging ich einen Schritt auf meinen Vater zu. Der ältere legte gerade die Tüte auf den Tisch, sagte aber nichts.
Ich schluckte.
„Papa..." Meine Stimme war ein Hauch von nichts. „Hör auf!" Unterbrach er mich, er würdigte mich keines Blickes. Ich zuckte zurück, die Stimme seiner selbst war kalt. Eiskalt. „Versuch gar nicht erst dich rauszureden. Es bringt dir nichts." Er lief in die Küche, wo ich ihm mit meinem Blick folgte. „Bitte lass es mich dir erklären." Flehte ich, vergebens. Er wollte nichts hören, was er auch deutlich zur Aussprache brachte. „Ich hatte eine Heiden Angst um dich, verstehst du? Du kannst nicht einfach verschwinden und dann sonst was machen. Es hat einen guten Grund, warum ich dir sage, du sollst auf dich aufpassen! Und was machst du? Du landest mit einer Gehirnerschütterung, Prellungen an der Hüfte und einer verletzten Hand im Krankenhaus. Dafür gibt es keine Ausrede!"

Ich schluckte, meine Kehle war trocken. Wenn ich an gestern Nacht denke, als er mich aus dem Krankenhaus abgeholt hat und sich dafür eingesetzt hat, dass ich die Nacht zuhause verbringen darf, ertrug ich es nicht, ihn so zu sehen. Ich erkannte ihn nicht wieder. Dass er sauer ist, kann ich verstehen, aber so kalt? So war er noch nie zu mir, nicht mal als Mama gestorben ist...

„Und nur damit das klar ist. Du hast Hausarrest, du wirst nirgends hingehen, ohne mir davor Bescheid zu sagen. Ganz abgesehen davon natürlich, dass du die nächste Woche Bettruhe verschrieben bekommen hast." Der ältere drehte sich zurück in Richtung der Arbeitsfläche. Mein Hand ballte sich zu einer Faust, ich spürte wie sich meine Fingernägel in meine Handfläche bohrten. Seine Worte überrollten mich wie ein Unwetter, wie konnte er mich ernsthaft hier einsperren?

„Das ist nicht fair." War alles was ich rausbekam. Tränen traten in meine Augen. Mit starkem blinzeln zwang ich mich sie zurückzuhalten. Meine Sicht verschwamm dennoch etwas und ließ die schwarzen Buchstaben auf dem Rücken seines weißen Hoodies unklarer werden.

„Ich will jetzt nicht mit dir diskutieren. Der Arzt hat gesagt du sollst dich ausruhen, also mach wenigstens einmal was man dir sagt." Mach wenigstens einmal was man dir sagt. Die Worte brannten sich in meine Seele, genau wie der Fakt, dass ich für ihn wohl doch eine größere Enttäuschung zu sein schien, als gedacht. Eine Entschuldigung murmelnd wendete ich mich von dem Mann ab. Er merkte nicht einmal wie sehr es mir weh tat. Seine Worte. Sein Verhalten.

Beim Betreten meines Zimmers überkam mich direkt ein komisches Gefühl. Warum genau, wurde mir erst klar, als ich mich umsah. Wie konnte ich das heute morgen nicht bemerkt haben? Der Boden. Die Scherben. Er war sauber, sie waren weg. Aber ich habe sie nicht selber weg geputzt...
Plötzlich wurde es mir klar. Mein Magen zog sich schwer zusammen, der Drang mich auf der Stelle zu übergeben war kaum auszuhalten. Er war hier. Mein Vater war in meinem Zimmer. Das nächste an was ich dachte, war die Kiste. Die Kiste, wo noch Drogen drinnen waren.

Ich hatte sie doch zurück in Sicherheit gebracht, oder nicht?

Ich riss die Schrank Türe auf, wühlte und meinen Klamotten und schmiss sie auf den Boden. Nichts. Keine Kiste. Hatte ich sie womöglich gar nicht aufgeräumt? Dann erinnerte ich mich an meinen Schreibtisch, vielleicht hatte ich sie dort stehen lassen? Nein, nichts. Sie war nicht da. Er hat sie gefunden. Er muss sie gefunden haben.

Wutentbrannt rannte ich nach unten. Dass mein Körper schmerzte ignorierte ich dabei völlig. „Was fällt dir ein, in meinem Zimmer rumzuschnüffeln?!" Der ältere setzte seine Kaffeetasse auf ihren Untersetzer und legte seine Zeitung weg. „Nachdem was ich gefunden habe, bin ich froh, dass ich es gemacht hab..." Sein Blick festigte sich auf mir. Keine Spur von Reue. Keine Spur von Einsicht. Und wieder einmal fragte ich mich, was aus uns geworden ist. Aus dieser Vater-Tochter Beziehung, die wir früher hatten.

„Soll das gerade ein Witz sein?" Lachte ich, was ein kläglicher Versuch war, meine Unsicherheit zu überspielen. Denn ich wusste genau, er hat die Drogen gefunden. Und ich wusste auch, was das für mich bedeutet.

„Nein, eigentlich nicht." Er machte eine kurze Pause, in der mich sein Blick förmlich aufspießte und redete dann weiter. „Du versteckst Drogen in deinem Zimmer, denkst du ich finde das in irgendeiner Weise lustig?"

„Ja, aber hast du dich mal gefragt warum?" Ich hielt kurz inne. Das ticken der Uhr zählte die Sekunden die vergingen, in denen keiner was sagte. Es waren zwar nur wenige, aber selbst diese wenigen fühlten sich an als wären es Minuten. Schließlich senkte ich meine Stimme und redete weiter. „Weil mein Leben so abgefuckt und unerträglich ist..." Mein Flüstern schnitt die dicke Luft in diesem eigentlich so luftigen Raum. Von draußen fiel trübes Licht ins Haus. Der Regen prasselte gegen die Scheibe. Laut, hämmernd, als würde er versuchen die Barriere zu brechen. Doch das Unwetter war schon längst hier angekommen. Es hing direkt über uns. Wie eine große, dunkle Wolke verfolgte es uns. Es verwandelte Frieden in krieg. Liebe in Hass. Und Hoffnung in Hoffnungslosigkeit. Sie war fähig dazu, dein ganzes Leben zu überschatten. Zu zerstören und zu manipulieren. Mit einem Mal, und ganz ohne dass man es erwartet hat, ist sie da. Aussicht auf gutes Wetter - Fehlanzeige.
Es ist, als würde sie nie wieder abziehen. Für immer über uns sein. Für den Rest unseres Lebens und noch länger...

Toxic Love - When hate becomes Love | Lewis Hamilton FFOnde histórias criam vida. Descubra agora