T H I R T Y O N E

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Tränen schossen mir in die Augen. Ich konnte sie kaum zurückhalten. Warum zur hölle, müssen wir uns wegen jeder Kleinigkeit streiten? Eigentlich will ich das doch gar nicht. Eigentlich will ich mich mit ihm vertragen, wieder so werden wie früher, als wir gemeinsam durch Dick und Dünn gegangen sind, dahin will ich zurück. Aber vielleicht ist es an der Zeit, zu akzeptieren wie es ist. Dass es eben nicht mehr ist wie früher und auch nie wieder so werden wird. Der alleinige Gedanke daran ließ mich erfrieren, erstarren und leiden.

Kaum befand ich mich wieder an der frischen Luft, fing ich an zu bereuen, was ich getan habe. Nicht den Kuss mit Max, und auch nicht, dass ich es meinem Vater erzählt habe. Nein, ich bereue an diesem Morgen aufgestanden zu sein. Es hätte soviel geändert, wenn Lewis und ich nicht so aneinander geraten wären. Es hätte alles geändert, da bin ich mir sicher. Vielleicht wäre dann das hier nicht wie die verdammte Hölle auf Erden?

Um nicht schon wieder dieselben was wäre wenn Fragen zu überdenken, ließ ich mich am Steg nieder. Meine Beine hingen über dem Abgrund und spiegelten sich in dem klaren Wasser des Hafens. Aber nicht nur meine Spiegelung war darin zu sehen, auch die der immer tiefer gehenden Sonne funkelte darin. Die Oberfläche glitzerte und ich wunderte mich, wie die Natur so ruhig sein konnte. In nicht allzu weiter Ferne das Geräusch von Jetskis die über's Meer fegten. Am Himmel die Vögel, die Richtung Nest flogen. Und nicht zu vergessen die ganzen Menschen, die sich ebenfalls hier befanden. Direkt am nächsten Steg, rechts neben mir, ca. Fünfzig Meter weit weg, lachten sie. Eine kleine Gruppe junger Erwachsener, die auf ein kleines Boot stiegen und in den Abend fuhren. Sie waren alle so glücklich, obwohl ein riesiger Sturm über uns wütete. Über mir, um genau zu sein.

Ich dachte Fußsohlen gehört zu haben, als ich mich umdrehte. Doch da war nichts. Niemand war da. Weder mein Vater um sich bei mir zu entschuldigen, noch Lewis, der mir sagte, dass wir auf diese Wette und alles andere scheißen. Nichts dergleichen passierte und es machte mich traurig. Am heutigen Tag vergaß ich keine Tränen, auch nicht vorhin. Aber mein Innerstes Ich tat es. Das alte Ich weinte bitterlich. Über das, wie mein Leben jetzt war. Über den hohlen Schmerz in meiner Brust und die glühende Hitze, die in meinem Kopf entstand, wenn ich versuchte einen Weg zu finden alles in Ordnung zu bringen. Aber bin ich mal ganz ehrlich, kann man dieses ganze Desaster überhaupt noch in Ordnung bringen? Falls ja, wie?

Um mich selbst vor diesen zerreißenden Gedanken zu bewahren, stand ich auf und ging nachhause. Mir war nicht klar, dass mein Vater dort sein würde, als ich den Schlüssel im Schloss umdrehte und rein ging. Ich dachte er wäre sicher noch beschäftigt bei der Strecke, aber dem war offensichtlich nicht so...

„Livia. Können wir kurz sprechen?" Ich nickte tonlos und folgte meinem Vater, der gerade im Flur aufgetaucht war während ich meine Schuhe ausgezogen habe. In der offenen Küche kam er zum stehen. „Es geht um vorhin. Was du da gesagt hast-" Er unterbrach sich selber, nur um dann nach einer kurzen Pause weiter zu reden. „Das was du da gesagt hast, also..." Er stoppte wieder, wahrscheinlich wusste er selbst nicht so richtig, was er sagen sollte. „Ja, es ist die Wahrheit, wenn du das wissen willst..." Er nickte kaum merklich. Für einen kurzen Moment sagte keiner etwas. Aber sein Gesicht tat es. In seinen Augen lagen Ansätze von Wehmut, vielleicht hat er über das nachgedacht was er mir vorhin an den Kopf geschmissen hat und eingesehen, dass das unfair war. Und vielleicht tut es ihm sogar leid?

„Wenn nichts mehr ist, kann ich doch sicher in mein Zimmer gehen, oder?" Bevor er überhaupt antworten konnte, machte ich auf dem Absatz kehrt und ging auf mein Zimmer. Warum muss es nur so sein, wie es ist? Diese Frage ließ mich nicht los. Auch nachts nicht. Sie sorgte dafür, dass ich kein Auge zu tat und noch schlimmer: die Zeit in der ich wach im Bett lag, verbrachte ich damit, mir über alles viel zu viele Gedanken zu machen. Auch über belanglose Dinge wie meine erste Grundschulliebe, oder auch dieses schreckliche Hasenkostüm, welches ich im Kindergarten an Fasching getragen habe. Das allerschlimmste war aber mit dem Wissen leben zu müssen, dass ich das alles, über was ich mir Gedanken gemacht habe, nicht mehr ändern konnte, oder zumindest nicht wusste wie. Dieses Gefühl der Endgültigkeit ist schmerzlich. Denn es gibt so einiges im Leben, was endgültig ist. Und manches davon würde man vielleicht gerne ändern, aber kann es nicht, was wirklich weh tut...

*

Der große Preis von Monaco, ging gänzlich an mir vorbei und ich war einfach nur froh, als er vorbei war. Seufzend nahm ich das Headset ab, über das ich beim Teamradio mitgehört hatte. Bewusst wahrgenommen habe ich davon allerdings kaum etwas, meine Gedanken waren definitiv wo anders. Um ehrlich zu sein, weiß ich selbst nicht mal wo sie waren. Irgendwo zwischen dem echten Geschehen und der Traumwelt wahrscheinlich...

So ging der Tag weiter. Das Leben zog an mir vorbei und ich konnte nichts dagegen tun. Es dauerte nicht lange nach Rennschluss, bis ich den Paddock verließ. Ich gratulierte lediglich Carlos zu seinem ersten Platz und auf die Frage was los sei, antwortete ich nicht. Zuhause rollte ich mich in die warme Decke ein und schloss die Lieder. Mir war kalt, eiskalt, und ich wusste nicht warum. Ich fühlte mich krank, erschöpft, und müde. Vor meinem inneren Auge spielten sich Szenen ab, die einem Fiebertraum glichen. Ein beengendes Gefühl ummantelte mich, meine Lungen zogen sich schwer zusammen. Und das unkontrollierte Klopfen meines Herzens machte das ganze auch nicht besser. Im einen Moment war es so langsam, meine SmartWatch zeigte gerade mal dreiundvierzig Schläge pro Minute und im nächsten Moment sprang die Zahl auf einhundertfünfundneunzig. Gefehlt hätte nur noch kalter Schweiß, der mir die Stirn runter trieft und den kompletten Zusammenbruch ankündigt...

Regungslos lag ich da und starrte auf mein Handy. Das vibrierende Ding lag neben mir im Bett, aber ich war zu müde um mich hinzusetzen. Immer wieder ging das Display an, nur um Sekunden danach wieder auszugehen. Ich sah nicht wer mir schrieb, ich sah nur wie sich der Bildschirm aufhellte und wieder abdunkelte. Diesen Vorgang beobachtete ich eine Weile, bis ich irgendwann nachsah, was mich für Nachrichten erreichten...

<Wo steckst du?>
<kommst du nicht zur Afterparty?>
<geht's dir gut?>

Diese und noch andere Nachrichten dieser Art bekam ich zu lesen. Aber ich antworte nicht, auf keine einzige. Erstens war ich so erschöpft, dass mir das Handy einfach so wieder aus der Hand glitt, und zweitens konnte ich mich gerade wirklich nicht mit irgendjemandem unterhalten. Nicht persönlich und auch nicht über den Chat. Wahrscheinlich würde ich schon beim Versuch zu sprechen, oder die Tasten zu treffen, scheitern...

Ausgelaugt sank ich zurück in die weichen Kissen. Kaum zu glauben, wie dieses Wochenende gelaufen ist... Der Donnerstag hat damit geendet, dass ich bei Max zuhause gelandet bin, der Freitag mit einem Streit mit meinem Vater und das eigentliche Wochenende habe ich so gut wie nur Zuhause verbracht. Andere würden sich einen Zahn ausreißen um an meiner Stelle zu sein, um auch nur einmal die Luft dieses Lebens zu schnuppern, dabei ist es so jämmerlich und traurig. Eingerollt in meine Decke, habe ich eigentlich nur auf diesen Moment hier gewartet, dass es endlich zu Ende geht, dabei war es noch gar nicht zu Ende. Diese vier Tage, waren nur der bittere Vorgeschmack auf die nächsten Tage hier, die noch viel schlimmer werden sollten...

Toxic Love - When hate becomes Love | Lewis Hamilton FFWhere stories live. Discover now