T H I R T Y S I X

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Für einen Moment war da nichts. Pechschwarze Stille. Dann brach das Leben auf mich ein. Wie in einem Film, zogen Erinnerungen an mir vorbei. Die Erste Begegnung von Lewis und mir, die Beerdigung meiner Mutter, wie ich mich mit meinem Vater stritt, der Moment in dem mir Max seine Gefühle gestand. Ich wollte den Film anhalten, das Karussell stoppen, in dem ich mich befand. Denn es drehte sich zu schnell, viel zu schnell.

Mein ganzer Körper war taub, ich spürte kaum die schwere des Wassers, welches mich unwillkürlich in seine Tiefen zog, alles was dagegen hielt war meine Rettungsweste. Ich wollte schreien, meine Augen aufmachen, doch da war nichts. Irgendwas hielt dagegen an und ich war zu schwach. Wiedermal.

In diesen Sekunden fragte ich mich, ob es das ist. Ist das das Ende? Fühlt es sich so an zu sterben? Dabei wollte ich es doch gar nicht. Ich wollte nicht sterben, nicht jetzt! Es gibt viel zu viel, was ich noch nicht getan habe, als dass ich jetzt gehen kann. Lewis wird nie wissen, was ich für ihn empfinde, wenn ich jetzt sterbe. Max wird niemals wissen, dass ich seine Gefühle nicht erwidere, wenn ich jetzt gehe. Mein Vater wird nie wissen, wie sehr ich ihn doch liebe, trotz unseren Streitigkeiten, wenn ich jetzt loslasse.

Du darfst nicht loslassen! Halte durch! Schrie mein Herz, was wohl das einzige war, was noch nicht benebelt war. Plötzlich riss mich etwas zurück an die Oberfläche. „Liv, Liv!" Drangen Worte an mein Ohr, doch sie schafften es nicht durch die Wand aus Watte. „Livia!" Verzweifelte Stimmen. Ich spürte Arme die mich umklammerten, doch mein Körper war schwach.
Durch einen erneuten Impuls, kam ich wieder etwas zu Bewusstsein. Schwerlich versuchte ich meine Lieder zu öffnen, nur ein ganz kleines Stück, bevor sie wieder zu vielen. Aber ich war mir sicher, dass es Max war, dessen Umrisse ich vor mir wahrnahm.

Allmählich wurde mir wärmer. Ich fing an gefallen an der Dunkelheit zu finden, und sie war definitiv gemütlicher als das helle Licht, als ich blinzelte. Unscharfe Umrisse setzten sich zu unbekannten Formen zusammen. Wo war ich? Wo waren die anderen? Meine Erinnerung war brüchig - bis gar nicht vorhanden. Was war passiert? Mit jedem Atemzug, wurde die Realität wirklicher und greifbarer. Mit jedem Atemzug, realisierte ich mehr und mehr, dass ich es geschafft habe. Ich habe nicht losgelassen.

*

Müde ließ ich mich in den Sitz des Fliegers sinken. Im selben Moment fielen auch schon meine Augen zu und ich genoss die Ruhe. So wirklich realisiert, was die letzten Tage passiert ist, hatte ich noch nicht. Umso erdrückender war es darüber nachzudenken. Seit Mittwoch ist die ganze Welt verstummt, kaum ein Geräusch drang durch meine OverEar Kopfhörer. Eine nicht auskurierte Gehirnerschütterung. Das war es. Nicht mehr und nicht weniger. Mein Zusammenbruch war die lächerliche Folge einer nicht auskurierten Gehirnerschütterung. Und das habe ich jetzt davon, einen Hörsturz der mich halb taub gemacht hat und das unendliche Liegen in einem Krankenhausbett. Über diese zwei Tage, in denen ich förmlich ans Bett gefesselt war, habe ich genau einmal das Tageslicht gesehen, dementsprechend freute ich mich jetzt auch endlich nachhause zu können.

Ein leichtes tippen an meiner Schulter ließ mich aufschrecken. Ich fuhr herum. Ich blickte in zwei Schokoladenbraune Augen und sank zurück.
Lewis hielt mir sein Handy hin.
<Darf ich mich zu dir setzen?>
Ich las das was in seinen Notizen stand und nickte anschließend, woraufhin er sich auf den leeren Platz gegenüber von mir pflanzte, der eigentlich meinem Vater gehörte. Da dieser aber geschäftlich bedingt noch eine weitere Woche an Monaco gebunden war, konnte er leider nicht mitfliegen. Stattdessen musste ich mich damit zufrieden geben, die nächsten sieben Tage bei meinen Großeltern zu verbringen und Lewis wird mich netterweise nach dem Flug direkt dorthin fahren. Ich weiß nicht ob es Zufall war oder Gott es so wollte, aber der Formel eins Fahrer wohnte nur einen Blog neben ihnen. Was ich davon halten sollte, wusste ich selbst nicht, aber ich denke, es war mir egal. Ich hatte im Moment definitiv andere Sorgen, als Lewis in meiner Nachbarschaft zu haben...

Der zwei stündige Flug zurück nach Northampton verlief ziemlich ruhig und ohne Probleme. Lewis und ich nutzten die Zeit und führten ein Gespräch übers Handy. An sich hatte ich kein Problem zu reden und ich konnte auch hören, aber es war anstrengend. Meine Ohren schmerzten nach wie vor und die Geräusche des Flugzeuges sollte ich meiden, weshalb ich froh war, dass es die Erfindung des Handys gab.

Nach dem Flug machte ich mich mit Lewis zusammen auf den Weg zu meinem Großeltern, zu unserem Glück war der Weg nicht besonders weit und so hielten wir schon zwanzig Minuten später vor ihrem Grundstück. Ein typisch englisches Vorstadt Häuschen. Die äußeren Mauern bestanden aus rotem Backstein, die Fensterrahmen waren mit einem dünnen, weißen Rand bemalt und an der Fassade wuchsen hohe Efeuranken empor. Der Vorgarten war ebenso typisch wie das Haus an sich. Rote und weiße Rosen schmückten den Bogen über dem Tor und neben dem kleinen, gepflasterten Weg waren bunte Blumenbeete gepflanzt. Ich stieg aus dem Auto und atmete einmal tief durch. Das hatte ich vermisst, diese Ruhe. In Monaco gibt es das selten, dass alles still und friedlich ist, weshalb ich auch nichts dagegen hatte wieder hier zu sein.

Während Lewis so nett war und meinen Koffer aus dem Kofferraum holte, ging ich meine Großeltern begrüßen. Die beiden Senioren warteten bereits auf der überdachten Veranda. Sie hatten sich kein Stück geändert. Oma trug ihre Haare immer noch in einem weißen Bob und Opa hatte sich seine Frise wie immer nach hinten gekämmt. „Unsere Liv, schau sie dir an!" Gluckste die alte Dame und schlug sich die Hände vor den Mund. Ich nahm mir die Kopfhörer von den Ohren, da zog sie mich auch schon in eine liebevolle Umarmung. „Ich hab euch auch vermisst..." Murmelte ich in ihre Halsbeuge, ihr Griff wurde fester. Einen Moment verweilten wir einfach so, es war schon viel zu lange her, dass ich die beiden in die Arme schließen konnte! „Was machst du nur für Sachen..." Wir lösten uns und sie strich mir eine Haarsträhne hinter die Ohren. In ihren Augen glitzerten Freudentränen, es zerriss mir das Herz sie so zu sehen. „Mensch was bist du groß geworden..." Auch mein Opa zog mich einmal in seine Arme, selbst das fühlte sich an wie damals, als ich elf war. Genauso fest und er roch immer noch nach dem selben Parfum.

„Und du hast sogar jemanden mitgebracht..." Sie sah zu Lewis, der gerade meinen Koffer hertrug und als er bei uns angekommen war, stellte ich ihm meine Großeltern vor. „Lewis, das sind meine Großeltern." Ich wendete mich zu den beiden Senioren. „Oma, Opa, das ist Lewis. Er-" Die weiß haarige unterbrach mich, bevor ich ihr erklären konnte, wer er überhaupt ist. „Mensch, was ein Goldstück!" Sie grinste über beide Ohren. „Ich bin Brigitte. „ Sie deutete zu meinem Opa. „Und das ist mein Mann Hermann." Sie streckte dem größeren ihre Hand hin, welcher erst ihre und dann die meines Großvaters schüttelte. „Ich bin Lewis. Freut mich Sie kennenzulernen." Der Brite lächelte freundlich, was mir irgendwie das Herz erwärmte. Aber ich fragte mich wirklich, wie jemand so ein Arschloch und gleichzeitig so herzlich sein konnte. Wie ist das möglich?

„Na wie wär's. Du kommst einfach noch kurz mit rein, auf einen Kaffee vielleicht?" Mischte sich nun auch mein Opa mit ein, der meine Begleitung fragend ansah und meine Oma nickte nur heftig. Und so geschah es. Meine Großeltern freundeten sich mit Lewis an... Hätte es noch komischer werden können?

Toxic Love - When hate becomes Love | Lewis Hamilton FFWhere stories live. Discover now