T W E N T Y T H R E E

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Wir fuhren auseinander. Noch nie war ich so schnell aus meinem Bett aufgestanden, wie eben. In meinen Ohren klang das dumpfe Geräusch unserer Eingangstüre, die ins Schloss fiel. Dann mein Name, der durchs ganze Haus trällerte. Und der von Lewis. Ich blieb abrupt stehen und überlegte. Wie zum Teufel, soll es nicht falsch aussehen, dass Lewis noch hier ist?

„Warte, ich hab was!" Zischte ich und machte auf der Stelle kehrt. „Du gehst jetzt runter und sagst was weiß ich, dass ich schlafe oder so, okay?" Noch bevor er irgendwelche Einwände einlegen konnte, schob ich mich an ihm vorbei und legte mich zurück in mein Bett. Warf mir die Decke über und hoffte einfach nur, dass mein Vater nichts merkt. In der Zwischenzeit war Lewis schon gegangen und hatte leise die Türe hinter sich geschlossen. Anhand dessen, dass mein Vater nicht mehr zu mir hochkam und es nur wenige Minuten brauchte, bis ich hörte wie Lewis aus unserer Auffahrt fuhr, war ich guter Dinge.

*

Der kühle Abendwind wehte mir entgegen. Mein Blick verlor sich in dem schönen Sonnenuntergang, der sich über den Dächern Northamptons abspielte. Wo die Farben von rot in orange, von orange in gelb - und von gelb in sachtes blau übergingen.
Es war perfekt.
Für einen Augenblick, schloss ich alle Gedanken aus meinem Kopf. Alles was es gab, war dieser Sonnenuntergang, die Decke in die ich mich kuschelte und das Gefühl der Freiheit. Immer wieder zog ich an meinem Joint. Und mit jedem Zug durchflutete mich erneut eine Welle an Frieden. Plötzlich war alles so leicht, so unbeschwert. Natürlich waren meine Probleme dadurch nicht gelöst, gäbe es ein Gras was meine Probleme lösen könnte, würde ich wohl kaum noch Tage damit verbringen, mir über alles Gedanken zu machen... Aber für einen Augenblick waren sie unbedeutend. Ich dachte nicht mehr an meinen Vater, mit dem ich in der letzten Zeit nur zu oft aneinander geraten war. Nicht mehr an Lewis, zu dem ich gestern eine Nähe hatte, die ich wünschte gerade spüren zu können und auch an sonst nichts mehr. Ich schloss sie aus meinem Leben aus und konnte mich glücklich fühlen. Genauso wie ich meine Augen schloss und einfach nur hörte.

Das leise Geräusch von Autos, die unten auf den Straßen fuhren und ab und an Hupten. Das Zwitschern der Vögel, die ihre letzen Runden am Himmel drehten und die Stille. Sie lag wie ein Rauschen in meinen Ohren. Aber es war keinesfalls unangenehmes Rauschen. Es war eher... befreiend. Als der Joint irgendwann nur noch so vor sich hin glühte, schnipste ich ihn weg. Er fiel im hohen Bogen über die bröckelige Kante des Operngebäudes. Nun konzentrierte ich mich nur noch darauf, die kühle Frühlingsluft ein - und wieder auszuatmen. Ruhig und entspannt.

Ich war so in meinen Gedanken gefangen, dass ich gar nicht bemerkte, dass ich schon längst nicht mehr alleine hier oben war. Meine Augen verfolgten noch immer, die letzten Sonnenstrahlen welche sich am Horizont abfärbten, aber meine Ohren lauschten Schritten. Sie näherten sich, langsam und schwer. „Hier ist es sehr schön..." Ertönte eine sanft klingende Stimme. Ich wusste natürlich sofort wer dieser jemand war, weshalb ich meinen Blick vom ersten Stern löste, der am Himmel funkelte. Umgeben von seidenen Blautönen, strahlte er in voller Pracht. Mein Kopf glitt langsam zu Lewis, der sich gerade neben mich hockte. Sein Blick verankert im Himmel. Ich musterte ihn einmal und unauffällig. Er trug einen weißen Hoodie, seitlich an den Ärmeln standen chinesische Schriftzeichen. Was sie bedeuteten wusste ich nicht, aber in irgendeiner Weise faszinierten sie mich. Sie waren einfach da. Die wahrscheinlich wenigsten kannten ihre Bedeutung - und doch, waren sie einfach auf ihre eigene Weise schön. Aber um ehrlich zu sein ist dieses Prinzip doch eigentlich scheiße, oder nicht?

Ich meine, sie sind schön, solange man ihre wahre Bedeutung nicht kennt. Und so ist es bei Menschen doch auch. Nach außen hin erweckt man immer den Anschein, dass alles so schön und perfekt ist. Und solange dieses Erscheinungsbild nicht zerstört wird, geben sich die Leute damit zufrieden. Alles was zählt, ist, wie es nach außen getragen wird. Dass es perfekt scheint, nahezu Bilderbuchmäßig ist. Keinen interessiert es, wie es wirklich ist. Sie wollen nur das schöne sehen und bloß nicht das schlechte. Und nun frage ich mich, ob das bei meinem Vater auch so ist. Ob er so zerstört ist, dass er versucht das perfekte nach außen zu zeigen und dabei völlig aus den Augen verliert, wie die Wahrheit eigentlich aussieht. Die ist nämlich nicht, dass ich mich plötzlich doch für die Formel eins interessiere und gerne mit ihm auf diese Rennen gehe. Und sie ist auch nicht, dass ich diese perfekte Tochter bin. Aber sieht er das überhaupt noch? Vielleicht ist er so in seinem Wunsch gefangen, alles perfekt zu haben, dass er nicht mehr zwischen Realität und Traum unterscheiden kann?!

„Woher wusstest du, dass ich hier bin?" Brachte ich nach einiger Zeit der Stille hervor, woraufhin sich der Brite zu mir wandte. Auf der Stelle vergaß ich, was ich gefragt hatte. Mein Herz begann wie wild zu klopfen, obwohl ich entspannter denn je sein müsste. Und das ganze nur, weil er mich ansah. Neben mir saß, so nah, dass ich den Stoff seines Pullis durch meinen und die Decke spüren konnte. Die Hitze, die sein Körper haben musste, an meinem spürte. Vielleicht war ich ja auch diejenige, die nicht mehr zwischen Realität und Wusch unterscheiden konnte?

Er zuckte gleichgültig mit den Schultern und wendete seine Augen wieder von mir ab. „Ich wusste es einfach..." Resigniert ließ ich diese Aussage so im Raum stehen. Stattdessen wunderte ich mich darüber, warum er überhaupt hier hergekommen ist. „Ich wollte dich eben einfach sehen..." Erklärte er sich, wobei seine Stimme so ruhig und beherrscht war, dass es mir fast schwer fiel, ihm nicht zu glauben. „Und dann? Da weiter machen, wo wir gestern aufgehört haben?" Fragte ich und musste leicht lachen, da das natürlich absurd war.

Es sollte in unserem beiden Interesse liegen, dass mein Vater schlimmeres verhindert hat. Ich kann natürlich nicht mit einer einhundertprozentigen Sicherheit sagen was passiert wäre, wenn wir nicht unterbrochen worden wären, aber ich würde es jetzt sicher bereuen. Mein rational denkendes Ich, würde es auf alle Fälle bereuen. Mein bekifftes Ich bestimmt nicht. Auch nicht, wenn wir jetzt tatsächlich da weiter machen würden, wo gestern nichts mehr war...

„Das wäre eine Möglichkeit..." Fing er an und ließ seinen Blick über mein Gesicht gleiten. „Und was wäre die andere?" Wollte ich daraufhin wissen, wobei ich mir nicht so ganz sicher war, ob ich das wirklich wollte. „...Dich fragen, wie es dazu kommt, dass du ganz alleine hier oben Sitz und Gras rauchst." Ein warmes Lächeln huschte über seine Lippen, er schien fast ein wenig amüsiert darüber zu sein, mich so zu konfrontieren... Allerdings war mir heute nicht danach es zu verleugnen. Ich meine, Lewis ist wohl der letzte dem ich etwas vormachen kann, was ich jetzt ja schon des Öfteren gemerkt habe...

„Ich weiß nicht..." Ich zuckte unwissend mit den Schultern. „Wie du schon gesagt hast, es ist eben sehr schön hier oben..."

„Also gibt es sonst keinen Grund?" Ich schüttelte den Kopf, was auf einigen Ebenen gelogen war. Natürlich gab es Gründe und er war einer davon.

Toxic Love - When hate becomes Love | Lewis Hamilton FFحيث تعيش القصص. اكتشف الآن