Mut

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Biancas Sicht:

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Biancas Sicht:

,,Ich kann das nicht mehr'', platzte es aus mir heraus, als ich mit meiner Familie beim Abendessen gemeinsam am Esstisch saß. Niemand reagierte auf meine Worte und ich fühlte mich so klein, dass ich wieder daran zweifelte, ob ich wirklich stark genug war, meinen Eltern und meinen Schwestern zu sagen, dass ich mir in ihrer Gegenwart so wertlos und falsch vorkam. ,,Verdammt, hört mir doch bitte zu!'', machte ich mich nun etwas lauter bemerkbar und alle Tischgespräche verstummten. Nun lagen alle Blicke auf mir und es lang ganz allein an mir, ob ich es ansprechen würde oder nicht. ,,Ich habe genug davon, mich wegen euch wie ein falsches Schaf zu fühlen. Ich bin nicht weniger wert, nur weil ich rote Haare habe und längst nicht so perfekt bin wie Camila und Estelle bin. Ich werde es nicht mehr schweigend annehmen, dass ich ständig mit ihnen verglichen werde. Ich bin ich und ich habe es verdient, dass ihr mich für den Menschen seht, der ich bin. Wenn ihr immer noch nicht begreift, dass das nicht richtig ist, wie ihr mich fühlen lässt, dann ist das so. Aber ich musste das einfach mal ansprechen, weil ich mich schon viel zu lange nicht getraut habe, etwas dazu zu sagen.''

Ich hatte es tatsächlich getan. Ich hatte den Menschen, die mich mein Leben lang schon viel zu lange gekränkt hatten, klar gemacht, dass dies nicht in Ordnung war. Und es tat so gut, dass ich mich im Stillen stolz auf die Schulter klopfte und mir zujubelte.

,,Ich weiß gar nicht, weiß du meinst, Bianca. Wir sind uns keiner Schuld bewusst. Ich weiß gar nicht, wie du überhaupt solche Worte in den Mund nehmen kannst. Du solltest dich schämen. Kaum zu glauben, dass jemand wie du meine Tochter ist.''

Die Stimme meiner Mutter war eiskalt und ich war kurz davor, in Tränen auszubrechen. Sie hatte meine Worte gehört, doch sie nicht richtig verstanden. Sie schien immer noch davon überzeugt zu sein, dass ihr Verhalten keineswegs ein Problem darstellte.

Vielleicht waren nicht alle Eltern großartige Menschen. Nicht alle von ihnen waren ,,Superhelden'' und wussten es besser.

Wahrscheinlich gab es unter ihnen einige unsichere Persönlichkeiten, die ihre eigenen Unsicherheiten dadurch kompensierten, dass sie ihre Kinder auf ein niedrigeres Podest stellten und ihnen einredeten, dass sie nicht genug waren.

Und wenn man so etwas mit einer Person tat, dann zeigte man dadurch nur, dass man sie eigentlich nicht auf die Weise liebte, wie sie es brauchte.

,,Ich kann deiner Mutter nur zustimmen. Es ist Schwachsinn, was du da erzählst, Bianca'', meldete sich nun mein Vater und ich nahm mich in Gedanken selbst ganz fest in den Arm.

,,Ich kann Mom und Dad auch nur Recht geben. Iss lieber weiter und hör auf, solche Dinge zu sagen'', mischte sich Estelle ein, die mich mit einem emotionslosen Blick ansah und ich gab auf.

Es brachte nichts, ihnen von meinen Gefühlen zu erzählen, in der Hoffnung, dass mich anders behandeln würden.

Manche Menschen waren einfach so egozentrisch und sahen nicht ein, dass sie sich ändern mussten. Es war eine mehr als bittere Erkenntnis, aber sie war ebenso mehr als nötig.

,,Ihr müsst euch noch um mich kümmern, bis ich die Schule abgeschlossen habe. Und sobald ich kann, werde ich hier ausziehen und ihr werdet eure Ruhe von mir haben. Das verspreche ich euch'', zog ich eine wichtige Konsequenz, weil es nicht anders ging.

Wir trugen vielleicht das gleiche Blut und DNA, aber das machte sie nicht zu den Personen, die ich als meine richtige ,,Familie'' betiteln würde. Denn so ging man nicht mit Familienmitgliedern um. Familie mussten nicht immer die Menschen sein, mit denen du verwandt warst.

Es gab zum Beispiel meine drei besten Freundinnen, die ich zu jeder Zeit erwähnen würde, wenn man mich fragen würde, welche Person ich zu meiner wahren Familie zählte. Und es war mehr als gut, dass ich das mittlerweile wusste.

,,Tu, was du nicht lassen kannst.''

Während sie sprach, verdrehte Camila genervt und ich nahm das hin.

Die frühere Bianca wäre garantiert daran zerbrochen, dass die Menschen, die es eigentlich hätten tun sollen, ihr nicht die Wertschätzung gaben, die sie verdient hätte.

Die Bianca von heute hatte die Zeilen aus dem Lied, das sie gehört hatte, ernst genommen und war sich selbst ihr eigenes zuhause. Es war noch etwas wackelig, weil die Pfosten, die es trugen, noch sehr instabil waren.

Das war dennoch kein Grund aufzugeben. Ich würde alle Steine meines neuen Zuhauses nacheinander setzen, damit es sicher vor jedem noch so großen Sturm war.

Ich würde die Pfosten irgendwann so stark machen, dass sie gar nicht mehr ins Wackeln kommen konnten. Und wenn es soweit war, würde ich es mit Dingen einrichten, die mir wichtig waren.

Ich hatte keine Angst mehr davor, den Menschen kennenzulernen, der in mir steckte. Ich war mehr als gespannt darauf, endlich voll und ganz sehen zu können, wer denn nun die wirkliche Bianca Robinson war.

***

,,Ich finde, dass du das toll gemacht hast, Bianca'', lobte mich meine Austauschpartnerin Keila, als wir uns in meinem Zimmer befanden. Ich hatte nicht lange warten müssen, bis sie an meiner Tür geklopft hatte nach diesem eher unschönen Abendessen. ,,Ich hätte gerne etwas dazu gesagt, aber ich hatte das Gefühl, dass es eher eine Familienangelegenheit war und es hatte sich deshalb falsch angefühlt, mich dazu zu äußern. Ich möchte aber trotzdem, dass du weißt, dass du wahnsinnig stolz auf dich sein kannst. Du hast für dich selbst eingestanden und das macht dich zu einer sehr starken Person. Komm her.''

Keila streckte die Arme nach mir aus und ich ließ zu, dass mich jemand anderes einfach nur festhielt.

,,Ich danke dir, Keila. Es tut gut, so etwas zu hören. Weißt du, ich fühle mich schon so lange ungesehen und das musste einfach mal raus'', brachte ich schluchzend zustande und ließ zu, dass mich nun die Welle an Emotionen überrollen durfte.

Ich hatte mich nicht unterkriegen lassen und gesagt, was mir auf dem Herzen lag. Zwar hatte ich nicht die Reaktion bekommen, die ich mir gewünscht hätte, aber das war okay. Ich musste es niemanden recht machen und wenn sie die echte Bianca nicht haben wollten, dann war es so.

,,Ich habe mich schon viel zu lange dafür geschämt, ich zu sein. Damit ist nun Schluss. Ich habe genug davon, mich vor ihnen rechtfertigen zu müssen. Ich würde mir wünschen, dass sie eines Tages ihre Meinung ändern würden und sie es mir erlauben, zu zeigen, wer ich bin. Doch ich kann das nicht beeinflussen. Sie müssen sich selbst dafür entscheiden, einen Schritt auf mich zuzugehen. Von jetzt an werde ich dafür sorgen, dass sie mir mit ihren Worten nicht mehr weh tun können. ''

Es war hart, aber ab und zu musste man einfach eine Grenze ziehen, um sich selbst zu schützen. Ich würde nicht völlig den Kontakt zu ihnen abbrechen, aber sobald ich ausgezogen war auf das Nötigste beschränken. Ich würde endlich frei sein und mir all die Zeit der Welt nehmen, um mich selbst entfalten und kennenlernen zu dürfen.

,,Du bist gut so wie du bist. Du solltest dich niemals für jemandem verändern oder andere Personen deinen Wert bestimmen lassen.''

Keila legte einen Arm um mich und diese Geste tat so gut. Sie sorgte dafür, dass ich mich angenommen fühlte und schenkte mir etwas Trost.

Egal, wie es weitergehen würde. Ich würde nie mehr mit dem Gefühl leben wollen, dass ich nicht ich sein durfte.

Band 2 der Living Reihe - Living for the lectures you gave me ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt