44. Kapitel

1K 116 38
                                    

Kelly sah mich einfach nur an. Ihr Blick trug Reue und Furcht. Sie hatte mich schon richtig verstanden. Sie war mir wichtig. Viel zu wichtig für einen Therapeuten. Und ich wusste, dass dies ein Problem war. Aber was hatten sie auch anderes erwartet?

Ich meine, ich hatte selbst für Bayton gewissen Sympathie gehabt. Genau deswegen hatte ich mich ja auch so gegen ihn gesträubt. Ich hatte keinen weiteren Vater im Leben gebraucht, der mich nur wieder verlassen würde.

Aber bei Kelly... Sie... Keine Ahnung, sie hatte sich an mich gewandt, obwohl sie die Gefahren erkannt hatte. Sie wusste, dass es so enden könnte. Ich hatte eine Bindung zu ihr, sie war mir wichtig und ein Gehen ihrerseits würde schwere Wunden hinterlassen.

Ich hatte nicht nur Bangen davor, von Noè verlassen zu werden. Nein, ich fürchtete mich auch davor, von Lex und Karin, Marco, Giacomo, Gio und sogar dem System fallen gelassen zu werden. Auch, wenn das System mich in vielen Hinsichten gehindert hatte, verdankte ich ihm doch mein Leben.

Ich meine, wer weiß, was aus mir geworden wäre, wäre ich niemals von meiner Mutter weggenommen worden. Sie hätten Mom niemals in den Entzug gesteckt, ihr nicht mit den Schulden geholfen. Es hätte alles so viel schlimmer ausgehen können. Also, es war jetzt auch eher scheiße, aber was hätte ich zu Gesicht bekommen, wenn ich in dieser Drogenhütte aufgewachsen wäre?

Ich hatte damals schon mehr als genug gesehen. Mittlerweile hatte ich auch realisiert, dass meine Mutter aufgrund ihrer damaligen Schulden beinahe auf den Strich gegangen wäre. Das hätte ich alles sehen und hören können. Ja, das, was ich stattdessen durchgemacht hatte, war nicht ideal weder noch schön gewesen, doch ich könnte tot sein. Obwohl, das würde mich manchmal gar nicht stören.

Man konnte nicht wissen, wie es mir und Mom jetzt gehen würde, wenn man uns nicht ins System aufgenommen hätte, aber es war klar, dass einer von uns beiden mittlerweile nicht mehr leben würde. Wenn nicht sogar beide.

Ich musterte meine Handrücken und erinnerte mich an Moms alte Mitbewohner. Was, wenn die eines Tages nicht nur Zigaretten auf mich ausgedrückt hätten und noch weiter als die Prügeleien gegangen wären? Was, wenn ihr Dealer mich wirklich in die Finger gekriegt hätte und das mit mir gemacht hätte, was er Mom gedroht hatte? Ich hätte schon viel früher ein Opfer sexueller Gewalt werden können...

Man, ey. Ich kniff meine Augen zu und rieb mir seufzend die Stirn. Es gab so viele Dinge, die ich noch gar nicht offenbart oder aufgearbeitet hatte. Ich wusste, dass ich hierfür mit Mom darüber zu reden brauchte, doch ich war nicht bereit. Dads Seite war mittlerweile klarer und einfacher zu verstehen als die von meiner Mutter. Er hatte mich verstört und verzogen aufgenommen und wurde mich dann nicht mehr los. Aber so verstört und verzogen musste man erst mal noch werden. Und mir war das in den ersten 3 Lebensjahren bei Mom widerfahren.

Painkiller 2.0Where stories live. Discover now