Kapitel 1b

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Der Fremde

Seit einer Weile saß er nun schon auf seinem Beobachtungsposten im Wegehaus von Rast zu Rabenwalde und ließ seine klingenscharfen Beobachtungen durch die Feiermenge der Gäste gehen, ohne bei seinen Gesten einen Hehl aus dem eigentlichen Ziel seiner Beschattung zu machen.

Sie war viel zu klug, um ihn nicht zu bemerken. Viel zu gut. Es erschien nicht vonnöten, es überhaupt zu versuchen. Es lag ohnehin nicht in seiner Absicht.

Ein kaum merkliches Schmunzeln huschte über den grüblerischen Ausdruck auf seinen Zügen und gestattete ihr für den Bruchteil einer Sekunde einen Blick hinter die Maske, zeigte ihr, dass er das Spiel zwischen ihren beiläufigen Kontaktaufnahmen ebenso wahrnahm wie die Juwelendiebin. Am liebsten hätte er auch seine Bewunderung für die Tatsachenlage durchblitzen lassen, dass er sie trotz seiner Auftragslage sehr für ihre Fähigkeiten respektierte. Denn abseits des Spiels war es alles andere als spielerisch.

Abseits der Funken der Spannung, die eigentlich hätte durch den Raum tanzen müssen ... Abseits der Stille, die sie stattdessen wie einen Mantel über ihre eigentlichen Gefühle stülpten ...

Abseits dessen war es eine Situation, die vor Risiko strotzte.

Sie wusste nicht, was er vorhatte. Und er wusste nicht, ob seine Fähigkeiten ausreichen würden.

Denn eines erschien ihm klar: Freiwillig würde die Juwelendiebin sicher nicht an den Hof der Zirkonfürstin zurückkehren wollen.

Obwohl sie einen großen Teil der Gefühle vor seinen lesenden Augen verbarg, konnte der Fremde die abweisende Kälte ihrer Stimmung bis in den letzten Winkel seiner Knochen nachklingen fühlen. Wie ein fremdartiges Pulsieren klopfte der arhythmische Takt durch seinen Körper und versetzte seine Gefühlswelt derart in Aufruhr, dass er ihr am liebsten tatsächlich aus dem Weg gegangen wäre. Als wäre die Ablehnung der Welt so sehr in ihren Fasern verankert, dass nicht einmal die Maske auf ihren eigentlichen Empfindungen dafür zu sorgen vermochte, den einen Unterton ihrer Gefühle vor den neugierigen Augen der Außenwelt abzuschirmen.

Da lag etwas in ihrem Blick. Etwas Eisiges, das nicht einmal von dem glühenden Braun ihrer Iris überdeckt werden konnte. Auch sonst eine Kälte, über die weder die warmen Terracottafarben ihrer Kleidung noch der wetterbeständige Wollüberwurf hinwegzutäuschen vermochten.

Hart. Messerscharf und hart war sie.

Eine Figur aus gebranntem, gesplitterten Ton.

Das orangefarbene Leuchten der Laternenlichtspender umspielte die Züge der Frau wie Feuer auf Eis und hob die Wangenknochen so sehr aus dem Schatten ihrer schwarzbraunen, locker zusammengesteckten Haare heraus, dass man meinen mochte, ihre Züge würden selbst die Dunkelheit der schwärzesten Nacht zerschneiden. Die Schminke aus dem Palast der Zirkonfürstin hob den ebenso scharfen Zug ihres Mundes zusätzlich hervor und unterstrich den Kontrast zu ihren dunkelbraun getönten Gesichtszügen mit einer noch schärferen Spitze.

Nach all den Tagen hatte sich der Zauber ihrer Verkleidung noch nicht ganz von ihren Lippen gelöst. Er verblasste, ja, doch die verbleibenden Spuren hinterließen eine interessante Komponente in ihren Zügen. Zu gern hätte der Fremde ihren Auftritt in den Gängen des Zirkonpalasts mit eigenen Augen gesehen.

Er war neugierig.

Zu neugierig für seinen eigenen Geschmack.

Die Juwelendiebin hatte ihn durchaus beeindruckt, zumal sie in den Berichten der Palastwachen viel weiter in die Mauern der Fürstin vorgedrungen war, als es eigentlich möglich sein sollte. Hätte man ihm noch vor wenigen Stunden von der Begegnung im Wegehaus erzählt, ihm gesagt, dass er dieser berüchtigten Frau noch am selben Abend über den Weg laufen würde ... Er hätte den Worten wohl wenig Glauben geschenkt. Seit Tagen verfolgte er die mehr als nur spärliche Spurenlage von Hörensagen, Instinkt und Gutglauben, sodass er es im Grunde nur einer glücklichen Fügung des Schicksals zusprechen konnte, in derselben Taverne so wenige Wegmeilen vor der Kronstadt eingekehrt zu sein.

Die Frau war ein Geist.

Wäre sie nicht so hastig aufgebrochen, hätte es vermutlich überhaupt nichts am Hof der Zirkonfürstin gegeben. Nicht einmal einen Krümel, den er als Grundlage für seine Verfolgungsjagd zu nutzen vermochte.

Sie war gut. Und sie war gründlich.

Die Begegnung? Nichts weiter als Zufall, weil er ein Bett für die Nacht gesucht hatte.

Am liebsten wäre er ohne einen Hintergedanken an den Auftragslohn zu ihr hinübergeschlendert, um ihr ein paar Fragen über den Einbruch bei seiner Geldgeberin zu stellen. Noch lieber hätte er sie nach den Beweggründen für ein solch wahnwitziges Manöver gefragt. Die Frau, die es wagte, ihren Juwelendiebstahl ausgerechnet bei der Löwin des Südens begehen zu wollen ...

Schöpfer! Welch eine Idee!

Aber es war ihm nicht möglich, zu fragen.

Er benötigte das Geld ... und sie ... sie würde nach ihrem Fehlschlag hinter den Palastmauern wohl kaum über den Vorfall plaudern.

Offensichtlich war sie sich sehr genau über die Tatsachenlage im Klaren, dass sein Besuch im Wegehaus in unmittelbarer Verbindung zu Fürstin Bele stand. Zwar schien sie auch sehr genau zu wissen, dass er sie nicht einfach vor den Augen der anderen Gäste stellen durfte, dass vor so einer großen Menge an Zeugen keine Gerüchte über Lücken in den Mauern seiner Geldgeberin entstehen durften ... Aber der Fremde wusste seinerseits genau, dass er sich ihr lieber trotzdem nicht nähern sollte.

Im Grunde hätte er ein solches Verhalten auch niemals ohne triftigen Grund riskiert.

Die Sache war nur ... Da waren noch andere.

Andere Männer, die sich bereits in den Landen der Zirkone an ihre Fersen geheftet hatten. Männer, die nicht unbedingt großen Wert darauf legten, die Zielperson lebendig bei Bele abzuliefern.

Ein Schwert aus Rabenblut: Der Durst einer SeeleWhere stories live. Discover now