Kapitel 8d

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Aus dem Verband der Kuttenträger schälte sich nun eine drahtige Silhouette, die mit langen Schritten über die Meter zwischen den Rebellen und dem Bogenschützen schwebte. Ein Mann, das Gesicht so schmal wie ein Blatt Papier aus den Büchern, die Lysander sonst so gern in den höhergelegenen Bereichen der Bibliothek seiner Heimatstadt zu durchschmökern pflegte. Im Schillern der Lichter waren die Jahresrisse auf seinem Gesicht gut erkennbar. Verästelungen und Furchen, die wie die Falten auf dem Gesicht eines Menschen davon zeugten, dass dieser Mann vor sehr langer Zeit in die Welt geboren worden war. So zahlreich und tief, dass er mit großer Wahrscheinlichkeit mehr Jahre erlebte als die Buchseiten, mit denen der Söldner sein Gesicht gleichsetzte.

Im Gegensatz zu den älteren Irdenbewohnern unter den Menschen strotzte sein Körper allerdings vor Kraft. Zwar würde Marell seinen Umriss zu den sehr schlanken Bewohnern des Kronlands zählen, doch war er sich sicher, dass unter der Kutte eine ansehnliche Menge an Muskeln schlummerte. Allein die Präzision seiner Bewegungen ließ auf einen geübten Körper schließen, sehnige Arme und Beine, die durch zahlreiche Übungsstunden auf dem Duellfeld zu tödlichen Waffen geformt worden waren. Das schnitterhafte Grinsen auf seinen Zügen schien Lysanders Vermutung noch unterstreichen zu wollen. Schmale Lippen, die ihm wie eine Klinge aus dem Repertoire des Zirkonfürstentums vorkamen.

Der Mann schritt über den Pfad, als wollte er die ungebetenen Gäste fressen.

Die Augen so stechend, dass sich der Söldner von weiteren Pfeilen durchbohrt fühlte.

Kalt. Hässlich lodernd zugleich.

Zwar mochten die Lehma des Kronlands für ihre Nächstenliebe bekannt sein, doch blieb von den liebesdurstigen Seelen rein gar nichts in den Blicken des Rebellen zu finden, der sich nun hinter der zusammengesunkenen Silhouette des Bogenschützen aufbaute. Er rollte seine Schultern mit einer bedrohlich langsamen Bewegung nach hinten und dehnte den Nacken zu beiden Seiten, als würde er sich innerlich bereits auf eine Konfrontation mit dem Söldner freuen. Tatsächlich wäre Lysander über einen gewissen Sadismus bei seiner Tätigkeit als Truppenführer der Rotkutten nicht verwundert gewesen, wenn man den Erzählungen aus den umliegenden Dörfern denn Glauben schenken wollte. Der Mann sah aus, als würde er nur zu gern dafür sorgen, Marell zu einem winselnden Häufchen Elend zusammenschrumpeln zu lassen. Nicht etwa, weil er zuvor den Bogenschützen mit harschen Worten in die Schranken wies, sondern allein, weil es ihm Freude bereiten könnte.

Das Schnitterlächeln verschärfte sich.

„Ich hoffe doch, es kam niemand zu Schaden", säuselte die Rotkutte mit einem Tonfall, der so gar nicht zu all den anderen Signalen passen wollte. Es folgte ein Blick zu Lysanders Fuß. „Wir führen gerade neue Rekruten ein. Ich bitte um Verzeihung für die ... Unannehmlichkeiten."

Unannehmlichkeiten. So nannte man das wohl in dieser Region, wenn man Pfeile auf nichtsahnende Reisende schoss. Wobei das Gesicht des Rebellenführers keinerlei Reue spiegelte.

Alles an ihm ...

Alles wirkte so ...

... ironisch.

Widerlich und süßlich. Aber auf eine Weise, die einem das Blut in den Adern gefrieren zu lassen vermochte.

Lysander würde wohl bei seiner Liebe zu Leib und Leben nicht leugnen, dass der Tonfall auch bei ihm eine nicht unerhebliche Wirkung erzielte. Doch hatte er in all den Jahren seines Lebens von seiner Wiege in den niederen Vierteln der Kronstadt bis hin zu den Diensten am Hof der Zirkonfürstin bei Weitem genug Konfrontationen erlebt. Nicht wenige davon mit Männern, die ähnliche Worte spien. Er wusste es besser, als sich einschüchtern zu lassen.

In jenen Augenblicken kramte Lysander Marell jeden Funken seiner inneren Stärke zusammen, wies seine Angst in den hintersten Winkel seines Bewusstseins zurück und streckte die Zornesgefühle nieder, die ihn bei der Begegnung sonst noch Kopf und Kragen kosten würden. Er zwang sich, die verkrampften Finger am Schaft seines Speers wieder zu lockern, sich zu entspannen, seinen Atem mit der Nacht gehen zu lassen, sodass seine Körperhaltung nicht mehr an die eines Raubtiers vor dem Sprung erinnerte. Dann fischte er in den Tiefen seines Waffenrepertoires nach dem authentischsten Lächeln, das ihn die Ausbildung an den Schulen im Zirkonfürstentum gelehrt hatte.

Beinahe glaubte er selbst, er hätte noch niemals zuvor so scheißfreundlich dreingeblickt.

„Es ist nichts geschehen", entgegnete er der Rotkutte in einem Tonfall, der wahrscheinlich eher zu einer fröhlichen Tavernenrunde als zu einer nächtlichen Waldbegegnung passen würde. „Keinerlei Unannehmlichkeiten, die vergeben werden müssten. Der Pfeil hat meinen Stiefel getroffen. Bloß ein Schuh. Das wird sich ersetzen lassen. Nicht die erste Sache, die bei der Ausbildung neuer Rekruten ... beschädigt wird. Sicher seid ihr so gütig, mir dafür einen Schadenersatz zukommen zu lassen, nicht wahr?"

Der Mann blinzelte nicht einmal. Es erschien beinahe, als würde er gar nicht atmen.

„Selbstverständlich."

Eine nun sehr kalte Entgegnung.

Lysander war sich nicht sicher, womit der rot beumhangte Rebellenführer als Erwiderung auf seine Ironie gerechnet hatte. Vielleicht mit einem ebenso süßlich ironischem Konter, eher noch mit einem Gegenüber, das in jeglichen Belangen vor der Begegnung zurückzurudern versuchte. Sicherlich nicht mit einer so ehrlich und fröhlich anmutenden Antwort, wie sie soeben von Marell in den Spannungsraum gestellt worden war.

Wäre die Lage nicht brandgefährlich gewesen, hätte der Söldner vielleicht über die Skurrilität der Ereignisse gelacht. Denn in welchen Unglückstopf musste man wohl greifen, zu nachtschlafender Zeit ausgerechnet mit einer Chrysoberyll auf eine Horde Rebellen zu stoßen, die gerade ihre jüngsten Mitglieder in der Kunst des Bogenschießens zu unterweisen versuchten? Und in welch einer ironischen Schöpferschrift befand sich unter den jungen Männern dann auch einer, der es für eine gute Idee hielt, die herannahenden Reisenden mit einem Brandpfeil vor der Übung zu warnen? Mit einem Brandpfeil, der dann wiederum einen der Reisenden genau in den Stiefel traf? Und wie sehr musste man dann in der Scheiße wühlen, um ausgerechnet einem Mann wie diesem Rotkuttenführer zu begegnen?

Jeder andere wäre Lysander lieber gewesen.

Jeder. Sogar der Vasenna-Soldat, der ihn im Verlauf des Abends beinahe vor dem Wegehaus von Rabenwalde erwürgt hätte.

Es wäre leichter gewesen, ihn um Gnade zu bitten.

Oder mit einem Esel zu verhandeln.

Der Rebellenführer vollführte eine winkende Bewegung mit der Hand, ohne sich überhaupt zu seinen Gefolgsmännern umzudrehen. Es wären auch keine großen Erklärungen vonnöten gewesen, zumal selbst Lysander die ziemlich universelle Geste seines Fingerschwungs zu deuten wusste.

Fesselt sie.

Etwas in Lysander erstarrte. Er wusste, es hätte wohl nicht weitergeholfen, sich in seiner Unglückslage gegen eine solche Menge an Rotkutten zu wehren. Dass ein Kampf gegen so viele Rebellen schlicht zu einem unausweichlichen Tod geführt hätte und dass da überhaupt nichts gewesen wäre, dass er dann noch für die Juwelendiebin mehr hätte ausrichten können. Zur selben Zeit wusste er, dass seine Möglichkeit auf eine Verhandlung im Lager der Rebellen verschwindend gering war. Noch geringer, sollte man sich auf dem Weg durch die Bäume der Tatsachenlage gewahr werden, dass sich eine Chrysoberyll unter dem Sonnenschal der Juwelendiebin verbarg.

Dennoch gab es da nichts, dass er mit Worten oder Taten an der Situationslage zu verändern vermochte.

Der Rotkuttenmann hatte längst entschieden.

Er war es, in dessen Händen nun das Schicksal lag.

„Unsere Gäste wünschen eine Unterkunft für die Nacht", ließ der Rebellenführer zuckerig über Lysanders Kopf hinweg verlauten, „... und besseres Schuhwerk."

Marell war, als hielte Flordelis den Atem.

Keine zwei Sekunden, ehe eine Gruppe Rebellen bereits mit Seilen in den Händen auf sie zustapfte.

Das war es dann wohl, dachte Lysander.

Er sandte eine stumme Bitte an die Schöpfer unter den Bergen, dass zumindest sein Freund Mo keine unüberlegte Entscheidung traf. Falls sein eigenes Lebensglück nun im Lager der Rebellen vollständig verlöschen sollte, dann wünschte er, der Falke möge sich nicht unnötig in solche Gefahren begeben. Mo sollte leben. Er wünschte ihm von Herzen all das Glück und den Geschmack der Freiheit in seinen Schwingen und betete, betete mit all seiner Seele, dass sich der Falke nicht in die gefährlichen Auswüchse der Rebellion begab. Denn falls die Männer erkannten, was sich unter den Federn verbarg ...

Marells Herz verkrampfte sich.

Was sie mit Flordelis anstellen würden, erschien kaum vorstellbar. Aber Mo ...

Nein. Das durfte niemals geschehen.

Ein Schwert aus Rabenblut: Der Durst einer SeeleWhere stories live. Discover now