Kapitel 3c

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Die Kopfgeldjägerin

Flordelis wollte die Welt verfluchen.

Sie wollte diesen Mann verfluchen.

Sie wollte den Tag verfluchen.

Aber am allerliebsten wollte sie sich selbst verfluchen.

Zwar mochte ihr der Söldner aus dem Süden nach der verhängnisvollen Berührung wohl keine echte Gefahr mehr sein, doch würde sich nun eine Begegnung mit den anderen Häschern als unvermeidbar erweisen. Und wo der Mann noch vor wenigen Sekunden die ersten Gewissensbisse unter ihren Wutgefühlen hervorkitzelte, da wichen nun all die Gedanken an Schuld einem Kloß in ihrer Kehle.

Keine Zeit mehr für Selbstvorwürfe.

Keine Zeit mehr für wütende Predigten.

Keine Zeit mehr, mit bissigen Worten über die eigentlichen Empfindungen hinwegzutäuschen.

Vor dem orangegelben Lichtschein der geöffneten Wegehaustür zeichneten sich nun die Silhouetten von drei Männern, die mit einer gefüllten Provianttasche aus den Gasträumen traten. Die schlanken Schemen tauchten wie Geistwesen aus einer Pforte der Anderswelt in die Nacht und hielten ihre Hände bereits am Griffstück ihrer Waffen, als würden sie zu einer schöpfergegebenen Hinrichtung schreiten. Schwach spiegelten sich die Lichter der Taverne auf ihren Uniformen, entsandten unheimliche Irrlichtreflexionen in die Abenddämmerung des Waldes, während die Nebel vor ihren Schritten auseinanderzuweichen begannen. Alle drei hielten sie den Blick auf die Kopfgeldjägerin und den Söldner gerichtet. Sie wandten sich nicht einmal um, als die Tür hinter ihnen in die Verankerung schlug.

Die Szenerie erinnerte Flordelis an die erste Begegnung in den Schankräumen des Wegehauses, nur dass ihr die zweite Begegnung noch um einiges dämonischer erschien.

Sie kamen, um ihren Kopf zu nehmen.

Doch dieses Mal war da kein schützendes Wegehaus, das ihr Spielraum für eines ihrer Manöver gab. Diese Konfrontation würde sich nicht so leicht mit einem Verwirrtrank lösen lassen und sich stattdessen zu einem Kampf auf Leben und Tod entwickeln. Da die Fenster des Wegehauses von Rabenwalde aus Buntglaselementen zusammengesetzt worden waren, hätte man den Kampf vermutlich nur in unmittelbarer Nähe zu den Wänden verfolgen können. Die Lautstärke der Schankräumlichkeiten hätte wohl selbst das Schnarchen eines Donnerschöpfers übertönt und würde die Geräusche eines Kampfgetümmels auf der Waldlichtung erst recht verschlucken, sodass sich die Häscher der Fürstin Bele nicht unbedingt mit weiteren Verwicklungen herumschlagen mussten. Zudem wussten die Männer, wie man lautlos mordete. Wie man jemanden ergriff, ihm die Kehle durchschnitt und die Leichen im Wald verschwinden ließ.

Flordelis würde sich wehren. Dennoch bezweifelte sie, dass der Kampf durch Gäste gestört werden könnte. Und sie war sich sicher, dass auch ein gewisser Lysander Marell nicht mit diplomatischen Formulierungen gegen das Lechzen ihrer Klingen würde angehen können.

Beim Anblick der heranschreitenden Gestalten verkrampfte sich der Söldner aus dem Süden und wich ein paar Schritte nach hinten, um sich mit einem festen Griff an seinem Speer neben der Kopfgeldjägerin zu positionieren. Das verhängnisvolle Atmosphärenknistern folgte ihm wie ein Mantel aus Gewitterwolken zu seiner Verteidigungsposition, belud die feuchtkühle Abendluft über ihren Köpfen mit der Energie von tausenden Blitzen und veränderte sich in ihren Grundnoten zu etwas Neuem, das sich eindeutig auf die Männer aus dem Wegehaus zu richten begann. Fliederfarbenes Abenddunkel zerrte mit verschlingender Dunkelheit an den Schatten in seinen Zügen und zog etwas aus dem wütenden Glimmen in seinen Augen, bis nur noch die Noten der Anspannung übrig blieben.

O ja, der Mann war mehr als nur angespannt.

Er besaß auch allen Grund dazu.

Offensichtlich hatten die Männer bei der ersten Begegnung in der Taverne eine Auseinandersetzung zwischen ihnen vermutet und den Geschmack des gestohlenen Glücks mit ihren aufmerksamen Sinnen wahrgenommen, sodass sie ganz genau wussten, dass Marell ihnen keinen fordernden Kampf mehr bieten konnte. Entweder wurde er von den Häschern als lästiges Hindernis bei der Ergreifung ihrer Juwelendiebin betrachtet oder er wurde tatsächlich als ihr Begleiter wahrgenommen. So oder so ... Er stand ihnen im Weg, stellte sich an Flordelis' Seite.

Vermutlich, weil sie seine einzige Möglichkeit war, um sein Glück wiederzuerlangen.

Am liebsten hätte die Kopfgeldjägerin den Söldner mit beiden Händen an seinem Sonnenschal gepackt, ihn angeschrien, ihn noch einmal verflucht und ihm dann gesagt, er solle seinen südlichen Arsch besser in das Buschwerk hinter ihnen verfrachten. Mit seiner Pechsträhne würde er ihren Angriffen doch nur direkt in die Klingenbahn stolpern oder schlimmstenfalls ihre Verteidigung gegen die anderen Männer behindern. Aber beim Anblick der düster dreinschauenden Augen konnte sie seine Entschlossenheit förmlich auf der Zunge schmecken, sah auch die umschattete Linie seiner Lippen, die vermutlich nur Widerworte für ihren Befehl finden würde. Scheinbar wollte er lieber stehend in den Untergang blicken, als hinterrücks von seinen Verfolgern erschlagen zu werden. Sie leugnete nicht, dass sie zumindest den Wunsch respektierte.

Sie würde sich wohl von seinem Speer fernhalten müssen. Möglich, dass sie ihn auch einfach als Schild benutzte.

Verdient hätte er es. Ein wenig zumindest.

Flordelis legte ihre Finger um das Griffstück ihres Schwerts und vergrößerte den Abstand zwischen ihr und dem Söldner um einen Schritt, ohne dem darauf folgenden Seitenblick des Mannes größere Beachtung zu schenken. Stattdessen fixierte sie ihre Blicke auf die drei Gestalten im Spätabendnebel und scherte den Matsch unter ihren Füßen mit den Sohlen ihrer Stiefel zur Seite, um sich einen rutschfesteren Stand in der aufgeweichten Erde zu verschaffen. Unter dem Nebel wich der Waldboden schmatzend vor ihrem Schuhwerk auseinander, als hätte sich der Regen des vergangenen Tages bis in die untersten Schichten der Erde gefressen.

Kein geeigneter Boden für das, was da kam.

Doch die Kopfgeldjägerin verteilte ihr Körpergewicht so kontrolliert, dass sie zumindest das Beste aus den bescheidenen Gegebenheiten würde herausholen können.

Ihre Hände schlossen den Griff an ihrem Schwert nun etwas fester und lösten das Parierstück von der ledernen Halterung an ihrem Gürtel, sodass sie die Waffe im Falle eines Angriffs ohne Verzögerungen aus der Scheide zu befördern vermochte. Die Knie verfielen ohne einen zusätzlichen Gedankenbefehl in eine federnde Stellung, die ihr einen flexiblen Halt in Angriff und Verteidigung ermöglichen würde. Wie die Trommeln eines Kriegslieds stimmte ihr Herz in den Takt des kommenden Kampfes ein und gab einen schnelleren Rhythmus vor, den Flordelis mit einem bewussten Atemzug auf ein Tempo zügelte, das ihr zwischen Adrenalin und Anspannung noch das richtige Maß an Kontrolle ermöglichte.

Ihr Körper bereitete sich auf den entscheidenden Moment vor. Ein weiteres Aufeinandertreffen, das nur noch wenige Schritte entfernt war.

Im Gegensatz zu ihren durcheinanderfeuernden Gefühlen bei der Begegnung mit Marell, hielt sie ihre Empfindungen jedoch dieses Mal unter Kontrolle. So, wie es hätte sein sollen. Immerhin hing ihr Leben daran.

Flordelis stahl sich einen tiefen Atemzug und zählte.

Fünf Schritte.

Vier.

Drei.

Zwei.

Eins.

Dann standen die Männer vor ihr.

»Guten Abend«, säuselte der größte mit grauselig grinsend gefletschten Zähnen.

»'N Abend, die Herren«, entgegnete Flordelis kalt.

Und so begann er, der Kampf, der über Tod oder Leben entschied.

Ein Schwert aus Rabenblut: Der Durst einer SeeleWhere stories live. Discover now