Kapitel 2b

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Eins.

... fiel ihr der Mann mit ausgebreiteten Armen regelrecht um den Hals, zog sie mit einer solchen Geschwindigkeit an seine Brust, dass sie für einen kurzen Moment jeden Impuls zur Gegenwehr vergaß.

»Was zur ...?!«, stieß die Kopfgeldjägerin gerade noch aus.

Doch sie fiel in die Umarmung des Fremden hinein. Das Geplapper der umsitzenden Lehma drang mit einem Paukenschlag durch die Watte in ihren Ohren und holte sie mit einem solch machtvollen Ruck in die Realität zurück, dass es sich anfühlte, als würde sie gegen eine Wand aus harter, bitterer Realität knallen. In dieser Realität befand sie sich wieder in einem viel zu lauten Schankraum des Wegehauses zu Rabenwalde und fand keinerlei Anhaltspunkte mehr für den Grusel, der ihr gerade noch durch die Knochen bis in die Zehenspitzen gekrochen war. Da war keine Vogelsilhouette mehr hinter den Fensterstreben zu erkennen und auch kein markerschütterndes Gezeter, allgemein nichts, das noch in irgendeiner Form an die seltsamen Geschehnisse erinnerte. Stattdessen fand sie sich in den Armen eines Mannes.

Der Fremde umarmte sie!

Er umarmte sie mit solch einer Kraft, dass sie die Waffe gar nicht mehr aus der Scheide hätte befördern können. Ihr Handgelenk klemmte er mit dem Unterarm ein. Dabei kaschierte er die Bewegung auf eine derart galante Weise mit seinem Körper, dass man sie von außen wahrscheinlich gar nicht infrage stellen würde.

Der Mann war gewieft. Er wusste genau, dass Flordelis die körperliche Nähe an jedem anderen Tag in jeder anderen Situation für einen gezielten Dolchstoß nutzen würde.

Aber der Falke ...

Der Fremde.

Die Skurrilität.

Allgemein das Gefühl.

In diesem Fall fand sie sich so perplex in seinen Armen, dass sie länger als gewöhnlich mit einer Reaktion wartete. Lange genug, um ihren Gegner mit dem Gesicht an ihre Wange kommen zu lassen.

»Was habe ich dich vermisst«, grölte der Mann mit gespielt betrunkener Stimme, während er sein Gesicht an ihres presste.

Flordelis schnappte nach Luft.

Es durfte nicht sein. Die Berührung. Die Umarmung.

Aber es war geschehen. Er umarmte sie. Berührte sie.

Er musste fort! Er musste loslassen!

»Hände weg!«, fluchte sie.

Aber er löste sich nicht. Der Mann interessierte sich nicht einen Deut für den zornigen Ton in ihren Worten und schien auch die verzweifelten Unternoten in ihren Drohungen nicht zu erkennen, ignorierte all die Gefühle, die sie in ihrer Situation gar nicht mehr vor ihm zu verbergen versuchte. Er setzte sich mit seiner dreisten Körpernähe über jede Warnung hinweg, die Flordelis ihm zukommen ließ. Ja, er führte seine Lippen sogar so nah an ihr Ohr, dass sie seine geflüsterten Worte selbst über den Lärm der Taverne hinweg zu hören vermochte.

»Sei endlich still«, zischelte er ihr zu. »Oder du bist mausetot, Juwelendiebin.«

»Du bist gleich mehr als mausetot«, knurrte Flordelis zurück, »wenn du nicht sofort deine dreckigen Grabscher von mir nimmst ... Söldner

Das letzte Wort spuckte sie ihm mehr entgegen, als dass sie es wirklich gesprochen hätte. Nicht unbedingt, weil er ihr eine so unerwartete Morddrohung ausgesprochen hätte oder weil sie sich aus der bedrohlichen Situation keinen anderen Ausweg zu finden wüsste. Sicherlich hätte sie sich früher oder später eine Gelegenheit für ihren Gegenangriff gesucht, sich wie ein Wiesel mit einem geschickten Manöver aus seiner Umklammerung gewunden. Aber sie war nicht mehr in der Lage, an etwas anderes zu denken als ... Seine Berührung.

Ein Schwert aus Rabenblut: Der Durst einer SeeleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt