Kapitel 6a

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Die Kopfgeldjägerin

Zu neugierig.

Marell war eindeutig zu neugierig für ihren Geschmack.

Als sie den Söldner auf seinem Beobachtungsposten in der Ecke des Wegehauses wahrgenommen hatte, wäre ihr beim Anblick der verschwiegenen Züge nicht einmal ansatzweise der Gedanke gekommen, dass sich hinter diesen Lippen derart viele Worte auf seiner Zunge zusammenbrauen könnten. Nicht, dass der Mann ein gewöhnliches Plappermaul aus der nächstbesten Taverne bei Rabenwalde gewesen wäre oder Spaß an belanglosen Diskussionen über das Wetter finden würde. Aber seine Fragereien erinnerten die Kopfgeldjägerin an einen Bluthund, der seine Witterung bis an den Rand der bekannten Welt verfolgen würde.

Lysander verschleierte seine Worte nicht.

Er versuchte es gar nicht erst.

Er bohrte so direkt, dass es beinahe an Dreistigkeit grenzen wollte.

»Also ... der Juwelendiebstahl ...«, führte er soeben mit einem offensichtlichen Seitenblick aus. »Kommen wir auf die interessanten Fragen zurück.«

Seine Zähne klapperten bei jedem Wort.

Flordelis konnte selbst durch die dicken Lagen seiner Uniform erkennen, dass sich sein Körper mit jedem weiteren Schritt gegen den Marsch durch die Kälte wehrte. Das Adrenalin hatte bereits vor einer Weile seine Dienste im Sinne des Lebenserhaltungstriebs aufgegeben und ein sehr klares Körpergefühl hinterlassen. Ein sehr unangenehmes, zumal sämtliche Kleidungsstücke durch seinen Sturz in den Matsch von Pfützenwasser durchtränkt worden waren.

Er verlor kein Wort darüber. Dennoch glaubte sie, die tausend Nadelstiche der Bergluft am eigenen Leib nachzuempfinden.

Auch unter den schützenden Armen der Bäume schienen die Winde von den Ebenen des Kronlands wie Messerklingen in ihre Haut zu schneiden und verbissen sich in ihrer Kleidung, nutzten jeden durchnässten Stofffetzen für einen Angriff auf ihren Körper. Grabeskälte bohrte sich durch die Sohlen ihrer Schuhe in jeden einzelnen ihrer Knochen hinein und verwandelte ihre Muskeln in funktionslose Klumpen, die den Befehlen ihres Verstandes nicht mehr so recht gehorchen wollten. Wo das Zirkonblut einen Teil ihrer Kleidung zu Stein erstarren ließ, da froren die feuchten Überreste des Pfützenwassers ihre Hosenbeine zu einer Hülle aus Eis.

Die Nähe der Berge war allgegenwärtig.

So allgegenwärtig, dass Flordelis den Schnee der obersten Wipfel auf ihrer Zunge zu schmecken glaubte.

Zwar würde das Land noch eine ganze Weile nicht in der Schneepracht des Winters versinken, doch bot die klare Bergnacht einen Vorgeschmack auf die Zeit, in der sich das Hochland in einen unwirtlichen Ort des Eises verwandelte.

Über den Wipfeln des Waldes leuchteten die Sterne.

Abertausende Lichtpunkte, die sich funkelnd und blinzelnd aus der Abenddämmerung schälten.

Das Firmament spannte die klirrenden Temperaturen der Nacht mit einer solchen Schönheit über dem Kronland auf, dass Flordelis die Umstände ihrer Wanderung am liebsten für einen kurzen Augenblick vergessen hätte.

Ihre Augen verfingen sich in den rauschenden Schemen der Bäume, die in der Dunkelheit ein ganz eigenes Lied über die Legenden des Landes anstimmten. Feingliedrige Äste zeichneten sich im Silberschein des Mondes aus dem Hintergrund hervor und verschränkten sich über den Stämmen zu einem Geflecht aus uralten Sagen, geflüsterten Stimmen und einer Melodie, wie sie nur der urtümliche Wald am Fuß der Donnerberge hervorzubringen vermochte.

Ein Schwert aus Rabenblut: Der Durst einer SeeleDonde viven las historias. Descúbrelo ahora